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Philosoph: Kommerzielle Sexualmoral vereint Prostitution und Puritanismus

Die postmoderne Virtualisierung menschlicher Beziehungen führt zu einer postsexuellen, puritanischen Stimmung, meint der französische Autor und Philosoph Fabrice Hadjadj. Welche Rolle die Kirche angesichts dieses Trends einnehmen muss.
Postmoderne Sexualität
Foto: Imago Images | In den Beziehungen zwischen Männern und Frauen gehe es somit nicht mehr um die Frage des sexuellen Verlangens oder der Hingabe, sondern um die optimale Wahl aus einem rational bewerteten Angebots, so Hadjadj.

Nach Ansicht des französischen Autors und Philosophen Fabrice Hadjadj muss die Kirche Sexualität und Fruchtbarkeit verteidigen. Im Gespräch mit der Tagespost erklärt er, dass man heute offenbar an Gott als den Schöpfer und Retter glauben müsse, um so offensichtliche Dinge zu sagen wie „Es gibt Männer und Frauen“, „Ein Kind wird von einem Mann und einer Frau geboren“ oder „Sexualität ist eine natürlich fruchtbare Polarität“. Im gegenwärtigen Zeitalter des technokratischen Paradigmas, in dem alles zur Fabrikation und zur Ware werde, müsse man „an das Übernatürliche glauben, um die Natur zu verteidigen“, so der 49-Jährige.

Virtualisierung menschlicher Beziehungen

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Die Postmoderne sieht Hadjadj geprägt von der Virtualisierung menschlicher Beziehungen. „Das führt im Grunde zu einer postsexuellen, puritanischen Stimmung.“ Eine digitale Puppe sei besser als ein Mensch aus Fleisch und Blut, der Brutkasten effizienter als die natürliche Kopulation der Tiere.

Kritisch beurteilt Hadjadj auch die Rolle der 68er-Bewegung: So habe beispielsweise das „Ungehindert genießen“ vom Mai '68 zur #meToo-Bewegung geführt. „Wenn alles erlaubt ist, ist offenbar nichts mehr vor Gewalt sicher“, so der zum katholischen Glauben konvertierte Sohn jüdischer Eltern.

Die sogenannte sexuelle Befreiung, so der Philosoph weiter, habe in Wirklichkeit zu einer Gesellschaft der Vereinzelung geführt, in der sich die Menschen nicht mehr auf den Anderen hin überschreiten und wirklich verbinden wollten. „Eine Unisex-Gesellschaft, in der jeder mit dem anderen in Konkurrenz steht und in der die Beziehungen nicht durch Begehren beseelt werden, sondern durch einen Vertrag geregelt sind.“ Der fleischliche Akt werde auf einen „Akt des Konsums“ reduziert,

Die optimale Wahl aus einem rational bewerteten Angebot

In den Beziehungen zwischen Männern und Frauen gehe es somit nicht mehr um die Frage des sexuellen Verlangens oder der Hingabe, sondern um die optimale Wahl aus einem rational bewerteten Angebot. „Man könnte sagen, dass in dieser neuen, kommerziellen Sexualmoral Prostitution und Puritanismus zusammenfallen.“ Es gehe nicht mehr um die Anziehung des Anderen als des Anderen, „sondern um eine einvernehmliche Transaktion, bei der jede Partei bei sich bleibt, fixiert auf den eigenen Vorteil“.  DT/mlu

Wie die Kirche diesen Trends gegensteuern kann, und ob die Kultur einer Epoche nach Ansicht Hadjads stets auch deren menschliche Sexualität prägt, erfahren Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

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