Herr Matussek, das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen von Corona, Denkmalstürmereien, Missbrauch in der Kirche und anderen heißen Themen. Sie legen nun ein eBook vor, in dem Sie erzählen, wie Sie sich das Rauchen abgewöhnt haben. Berührt Sie die Welt da draußen nicht mehr?
Gute Frage. Offenbar habe ich mich von den Erregungskonjunkturen entkoppelt ... Ich schaue zum Beispiel keine Nachrichten mehr, weil wir gerade unsere einst christliche Kultur und die Errungenschaften der Aufklärung vor die Wand fahren und ich da nur Regierungspropaganda höre und pausbäckige grüne Idiotie; das macht mein Blutdruck nicht mit. Ich habe ein ganz unzorniges, lächelndes Buch geschrieben.

Corona gibt es hier oben an der Ostseeküste so gut wie nicht, der Kreis Schleswig ist der günstigste in der ganzen Republik. Ich lebe enthysterisiert und spaziere mit meinem Hund durch die Felder. Und seit ich nicht mehr rauche, genieße ich das noch intensiver.
„Also, Herzinfarkt ist sehr zu empfehlen
für Leute, die aufhören wollen“
Sind Sie sicher, dass Sie nicht wieder rückfällig werden? Gerade jetzt zum Jahreswechsel scheitern gute Vorsätze bei vielen relativ schnell ...
Ja, ich bin mir sicher, denn wie geht der Witz? Aufhören ist einfach, ich habe es schon ein paar Mal gemacht? Das wirksamste Mittel, um sich das Rauchen endgültig abzugewöhnen, ist ein Herzinfarkt. Dieser Elefantentritt vor den Brustkorb aus heiterem Himmel, autsch, das ist eine Schlüsselerfahrung. Also, Herzinfarkt ist sehr zu empfehlen für Leute, die aufhören wollen und weiterleben. Das Rauchen ist die dümmste aller Süchte, denn es kennt nur das High der Befriedigung der Sucht, die es produziert. Es macht keine schönen Träume wie Opium, es stimuliert nicht wie Kokain, es verführt nicht zum Albern wie Marihuana, es produziertkeine Farbräusche wie LSD, sondern einfach nur Sucht. Und diese besondere verkürzt erwiesenermaßen das Leben, für das ich meinem Schöpfer jeden Tag danke. Der Weihrauch im Hochamt genügt mir.
Wenn man Ihr Buch "Sucht und Ordnung" liest, kann man aber den Eindruck haben, dass Sucht und Obsessionen irgendwie zu Ihrem Charakter, zum Gesamtkunstwerk Matussek gehören. Beispiel die Reise nach Indien und die dortigen Knasterfahrungen. Wie wollen Sie sich zukünftig Power geben? Allein mit Gebet?
Ja, ich bin der Suchttyp. Ich habe mal gelesen, dass das für Frühgeburten, ich bin ein 7-Monats-Kind, typisch ist. Die sind gierig nach Mehr, von allem. Meine Lieblingsszene in Dickens "Oliver Twist" ist die, wo der Kleine beim Essen einen Nachschlag verlangt und damit die ganze Heim-Ordnung erschüttert. Und wieso sollte ich einen Hehl daraus machen, dass ich schon immer gerne gekifft habe, oder dass ich als Teenager Unsinn gemacht habe, der im Rückblick absolut lustiger Erzählstoff ist. Offenheit. Der Hl. Augustinus macht in seinen umwerfenden "Confessiones", diesem brausenden Gespräch mit Gott, nichts anderes. Und beten tu ich sowieso ständig.
Kampf gegen Drogen mästet die Mafia
So ganz gelöst vom Nikotin und den Süchten haben Sie sich aber offenbar noch nicht. In Ihrem Buch plädieren Sie für die Freigabe von Drogen. Klingt nicht sehr katholisch ...
Oh doch. Zunächst mal bin ich für Ehrlichkeit. Der Kampf gegen Drogen ist nicht zu gewinnen, und er produziert hunderttausende Tote und mästet die Mafia. Eine Legalisierung, auch wenn es Konservative nicht gerne hören, verhindert größere Sünden. Das ist katholisch. Erwachsene sollten entscheiden können. Ich bin überhaupt nicht gegen Drogen. Ich habe alle ausprobiert und durchaus schöne Erfahrungen gemacht. In Thagaste, Augustinus Geburtsort, das lese ich gerade in der Biografie von Peter Brown, war Koma-Saufen an der Tagesordnung, die waren sehr rausch-affin.
Ein Kapitel haben Sie ja tatsächlich dem Hl. Augustinus gewidmet.
Weil er so unwiderstehlich menschlich ist. Im vierten Buch der "Confessiones" berichtet er von seinem Kampf mit dem Laster. Bei ihm geht es um die sexuelle Ausschweifung, aber es lässt sich auch auf andere Laster beziehen. "Wenn uns der Tod plötzlich erschliche", fragt er an einer Stelle, "wo können wir erlernen, was wir hier vernachlässigt haben." Er hat tatsächlich Angst, was zu verpassen! Berühmt auch sein Ausruf: "Gib mit Keuschheit und Enthaltsamkeit, doch gib sie mir nicht gleich". Bitte eher morgen oder übermorgen, "kras et kras".
Vom etablierten Literaturbetrieb frei gemacht
Ihr Buch ist im Selbstverlag erschienen, das Vorwort stammt von einem Zuhälter. Haben Sie die Nase voll von den großen Publikumsverlagen? Warum dieser Publikationsweg?
Also ich bin jetzt mal mein eigener Publikumsverlag. Warum sollte ich die enormen Gewinne dieses höchstwahrscheinlichen Bestsellers - da draußen sind zwölf Millionen Raucher, die sich das abgewöhnen wollen und auf mein Buch gewartet haben - an einen anderen Verlag abführen? Im Übrigen weiß ich seit meinem letzten Buch: Ich bin toxisch geworden für den Betrieb, egal, worüber ich schreibe. Ich brauche den etablierten Betrieb nicht.
In einigen Kapiteln stellen Sie Gallionsfiguren der Gegenkultur vor, die Sie beeinflusst haben, als Sie jung waren; da wären Charles Bukowski, der Säuferpoet oder William S. Burroughs, der Junkie-Veteran...
Richtig, und ich hatte die Chance, die zu besuchen, als wir alle drei aus dem Gröbsten raus waren. (lacht). Das ist das Tolle an meinem Beruf er gibt dir die Chance, deinen Idolen zu begegnen. Der Besuch bei Burroughs, dem Autor des legendären Space-Acid-Westerns "Naked Lunch", war magisch er fand zwanzig Jahre nach dem berühmten "Summer of Love" von San Francisco statt. Und sie waren alle versammelt: Neben Burroughs auch Allen Ginsberg, Timothy Leary, Hippie- und Beat-Poeten wie Ed Sanders und John Giorno, Marianne Faithful und die Frau von Jack Kerouac, und dann die damals junge Kohorte mit Keith Haring, dem Graffiti-Künstler, der später an Aids starb, und Yello Biafra und Jim Carroll, und alles endete in einem Fest da in Lawrence, Kansas, wo Burroughs lebte, und die Joints kreisten, und wir ballerten mit Burroughs beträchtlicher Waffensammlung auf eine Zielscheibe an der Scheune der Ranch, auf der Burroughs lebte. Er war über 70, aber er traf am besten, immer ins Schwarze, ins Bull s Eye. Ich hatte das für den Stern aufgeschrieben, als der Stern noch lesbar war, eine meiner schönsten Reportagen.
Eine ziemlich abenteuerliche Reportage haben Sie für den Anhang aufgehoben, da geht es um den aussichtslosen Kampf der Polizei in Rio gegen die Drogenbanden, Sie haben da mit einem sehr nervösen Killer der Drogenbande "Comando vermelho" gesprochen.
Ja, das war gefährlich, weil er mit einer geladenen Automatic in der Hand herumfuchtelte und zappelig war und plötzlich eine Polizeisirene zu hören war... Mein Buch soll ja nicht nur ein Ratgeber-, sondern auch ein Lesebuch sein. Sicher, in erster Linie geht es um den blauen Dunst, um meine Erfahrungen in der Herz-Reha, um Sachen wie die Top Ten möglicher Rückfallsituationen und um die beglückenden rauchfreien Nüchternheits-Highs, die ich hier auf dem Lande erlebe. Aber um nochmals auf Drogen zu sprechen zu kommen. Sucht und Ordnung lassen sich vereinbaren. Sollte ich Lust auf Drogen haben, sollte man mir, als erwachsenem Mann mit Lebenserfahrung, die Möglichkeit geben. Mit Recht plädierte Ernst Jünger in seinem Rauschbuch "Annäherungen" dafür, dass es erlaubt sein sollte, im Alter, wenn der äußere Lebensradius sich verengt, die innere Erlebniswelt mit Hilfe von Drogen zu vergrößern. Er denkt wohl an Opium. Aber ich stelle mir vor, dass es im Altersheim auch fröhliche Kifferrunden geben könnte die Legalisierung von Marihuana ist ohnehin nur noch eine Frage der Zeit.
Das Kultbuch für katholische Ex-Hippies
Auch die katholischen Altersheime gehören zur Zielgruppe?
Ich schätze mal, unter konservativen katholischen Ex-Hippies - und wir sind viele - wird "Sucht und Ordnung" das neue Kultbuch. Nach dem "Herrn der Ringe". Und der "Möwe Jonathan".
Matthias Matussek: Sucht und Ordnung. Wie ich zum Nichtraucher wurde und andere irre Geschichten. Neopubli, 2020, 160 Seiten,
ISBN 978-3753128344, 15 EUR, eBook: 10 EUR. Mehr Infos bei: www.matthias-matussek.de
Matthias Matussek (66), Bestseller-Autor ("Das katholische Abenteuer", "Die Apokalypse nach Richard"), Katholik mit Ecken und Kanten, Journalist. Früher beim "Spiegel" aktiv, inzwischen auch regelmäßig für diese Zeitung im Einsatz.
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