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Anthony Barrett: War Nero doch kein Brandstifter?

Der amerikanische Althistoriker Anthony Barrett nimmt Roms Brand und Neros Rolle neu unter die Lupe und bringt einen Mythos ins Wanken.
Die Darstellung des Klassikers „Quo vadis“ prägt unser Bild von Kaiser Nero.
Foto: tzu | Die Darstellung des Klassikers „Quo vadis“ prägt unser Bild von Kaiser Nero. Das neue Werk des Historikers Anthony Barrett bringt dieses Klischee ins Wanken.

Es gibt ikonische Katastrophen, die sich dem Gedächtnis der Menschheit eingeprägt haben. Ein solches unvergessliches Schreckensereignis ist der große Brand von Rom im Jahre 64 nach Christus. Dank der „Quo Vadis“-Verfilmung von 1951 verbindet damit wohl jeder das Bild von Peter Ustinov, der als Nero unter grässlichem Gesang das Feuer besingt, das er in seinem Cäsarenwahn selbst hatte entfachen lassen.

Weder Hollywood noch der Schriftsteller Sinkiewicz als Autor der Romanvorlage haben dieses negative Nero-Bild erfunden. Letztlich stützt sich die populäre Erinnerung an den „Brandstifter Nero“ auf antike Historiker wie Tacitus und Sueton. Aber kann man solchen Quellen einfach unbesehen trauen, sollte man sie nicht besser kritisch lesen? Und am besten selbst nachforschen, was damals eigentlich geschehen ist? Doch wie sollte das nach fast 2 000 Jahren noch möglich sein?

 

Auch Tacitus muss mit Skepsis und Vorsicht begegnet werden

Der amerikanische Althistoriker Anthony Barrett führt am Beispiel des großen Brandes musterhaft vor, wie man so weit zurückliegende Ereignisse verantwortungsvoll rekonstruiert. Eine große Rolle spielen dabei archäologische Befunde, die Barrett möglichst vorurteilsfrei in den Blick nimmt.
Nero wird in der modernen Forschung wesentlich differenzierter beurteilt als in früheren Zeiten. Man ist heute nicht mehr geneigt, senatorischen Geschichtsschreibern wie Tacitus unbesehen alles zu glauben, denn seine Motive für eine unsympathische Darstellung der julisch-claudischen Kaiser sind durchsichtig. Dass der normale Durchschnitts-Römer Nero positiver sah, ist schon lange kein Geheimnis mehr.

Ein sicheres Indiz dafür sind die zahlreichen Hochstapler, die in den Jahrzehnten nach dem Sturz des Kaisers auftraten und vorgaben, er selbst zu sein. Solche Versuche politischer Intrige sind nur begreiflich, wenn Neros Person sich beim Volk in der Rückschau grundsätzlich eines guten Rufs erfreute. Dazu hat sicher auch beitragen, dass seine unwiderlegbaren Schandtaten und Schrullen (wie die Ermordung seiner Mutter und seine öffentlichen Auftritte als Schauspieler) dem einfachen Mann auf der Straße letztlich herzlich egal sein konnten, da sie ihn persönlich nicht negativ trafen.

„Die historische Wahrheit, soweit sie sich rekonstruieren lässt,
mag weniger pittoresk gewesen sein als ein Roman oder ein Monumentalfilm;
weniger spannend ist sie deshalb gewiss nicht“

Für Barrett ist Nero sicher kein moralisch mustergültiger Charakter, aber eben auch kein Brandstifter, und er weiß dies mit guten Argumenten zu begründen. Das unmittelbar am meisten einleuchtende: Der Hauptgeschädigte des Brandes unter den römischen Grundstückeigentümern war eindeutig Nero selbst. Auch war sein Verhalten während des Brandes bei näherer Betrachtung alles andere als tadelnswert: Nero beteiligte sich aktiv an der Brandbekämpfung, wie es im Kaiserhaus bereits gute Tradition war. Eine nerofeindliche Geschichtsschreibung gab sich freilich alle Mühe, die historische Erinnerung an die Maßnahmen des Prinzeps während der Katastrophe zu manipulieren: So wurden Feuerwehrleute, die Brandschneisen geschlagen hatten, zu kaiserlich beauftragten Brandstiftern umdefiniert.

Nach der Katastrophe erließ Nero sinnvolle Bauverordnungen (etwa zur Maximalhöhe von Gebäuden), die künftig solche Ereignisse verhindern sollten. Nur wenige Jahrzehnte nach seinem Tod hatte man diese Vorsichtsmaßnahmen freilich wieder vergessen. Wenn Nero sich während des Brandes und danach durchaus verantwortungsvoll verhielt, woher kam dann all der Hass, woher die dunklen Gerüchte? Die Gründe dafür waren wohl, wie so oft, finanzieller Natur. Um den Wiederaufbau der Stadt zu finanzieren, mussten Vermieter den Gegenwert einer Jahresmiete als Sondersteuer entrichten. Zudem führt das wirtschaftliche Krisenmanagement zu einer Verschlechterung des Silbergehalts in den Münzen und damit zu einer veritablen Währungskrise.

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Kein Nachfolger hatte ein Interesse an einem fairen Umgang

Die Hauptleidtragenden dieser Abgaben und der Finanzkrise waren die oberen Zehntausend der römischen Gesellschaft. Den Mord an seiner Mutter hatten sie Nero nachgesehen, solange er ihren Wohlstand garantierte. Dass er sie im Interesse der Allgemeinheit zur Kasse bat, konnten sie ihm nicht verzeihen. Vier Jahre später wurde Nero gestürzt und beging Selbstmord. Die aus den Wirren des Drei-Kaiser-Jahres 68 als Sieger hervorgehenden Flavier sahen es gerne, dass sich mit dem Namen des letzten Vertreters der Vorgängerdynastie das lügenhafte Gerücht verknüpfte, er habe Rom in Brand gesteckt. Sie selbst aber gingen nie so weit, öffentlich einen Vorwurf zu formulieren, den sie nie hätten beweisen können.

Mit dem Brand des Jahres 64 ist die Erinnerung an die erste große Christenverfolgung verbunden, denn wie bei Tacitus beschrieben, warf man ihnen Brandstiftung vor. Barrett neigt dazu, die Historizität dieses Berichtes zu negieren. Entweder habe Tacitus hier zwei Vorgänge verbunden, die in der historischen Realität nichts miteinander zu tun hatten (den Brand und eine temporäre Unterdrückung der Christen) oder Teile des Berichts seien eine spätere Einfügung aus dem vierten Jahrhundert.

Geschichtsverfälschung durch selektive Wahrnehmung

Barrett räumt ein, dass beide Erklärungsversuche nicht zufriedenstellen, und so überrascht es, dass er ihnen so großes Gewicht beimisst. Immerhin kann man seine skeptische Position gegenüber dem Bericht des Tacitus als wichtigen Debattenbeitrag begreifen, der gewisse Schwierigkeiten der Überlieferung in Erinnerung ruft; besonders auffällig ist, dass christliche Autoren erst im fünften Jahrhundert beginnen, den Brand ausdrücklich mit der Bestrafung von Christen in Verbindung bringen.

In einer populären Sichtweise à la „Quo Vadis“ hat Nero durch seine Dekadenz den Untergang Roms mitverursacht; dass das Kaiserreich ihn mindestens vier Jahrhunderte überlebte, wird dabei ausgeblendet. Die historische Wahrheit, soweit sie sich rekonstruieren lässt, mag weniger pittoresk gewesen sein als ein Roman oder ein Monumentalfilm; weniger spannend ist sie deshalb gewiss nicht. Wer historische Tatsachen höher schätzt als schöne Erzählungen, wird an Barretts gründlich ausgearbeitetem und gut lesbarem Buch seine Freude haben.


Anthony A. Barrett, Rom brennt! Nero und das Ende einer Epoche, Darmstadt 2021,
WBG Theiss, Hardcover, 399 Seiten, ISBN 978-3-8062-4340-6, EUR 29,-

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