Linker Terror

Schleyer, Stasi und vage Indizien

Neue Publikationen bieten kaum unbekanntes Material zur RAF-Geschichte, aber doch einige interessante Details.
Kinostart - "Une Jeunesse Allemande"
Foto: SWR/W-Film (SWR/W-Film) | Medienstar der besonderen Art: Szene des Kinofilms „Une Jeunesse Allemande – Eine deutsche Jugend“ mit Gudrun Ensslin.

Über 20 Jahre nach ihrer Selbstauflösung am 20. April 1998 beschäftigt die RAF weiterhin Teile der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Immer noch entfacht das RAF-Thema fast regelmäßig hohe Aufmerksamkeit in analogen und digitalen Medien. Gerade Jahrestage liefern Anlässe, sich mit der RAF zu befassen, deren Mordserie mit über 30 Opfern, darunter zehn Polizeibeamten, immer noch teilweise unaufgeklärt ist. Das gilt etwa für die Attentate der sogenannten 3. RAF-Generation auf Ernst Zimmermann 1985, auf Karl Heinz Beckurts und seinen Fahrer Eckhard Groppler 1986, auf Gerold von Braunmühl 1986, auf Alfred Herrhausen 1989 und auf Detlev Karsten Rohwedder 1991.

„Der Band veranschaulicht, wie einige Wahlverteidiger der Angeklagtenfrühzeitig versuchten,
Wahrheitsfindung und Schuldklärung im Prozess, als angeblichem Ausdruck von „Klassenjustiz“,
nicht nur zu erschweren, sondern fast vollständig zu torpedieren“

Bis heute erfahren gerade auch nicht-prominente RAF-Opfer und ihre Hinterbliebenen kaum Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, darunter die von RAF ermordeten Polizeibeamten Norbert Schmid, Herbert Schoner, Hans Eckhardt, Fritz Sippel, Reinhold Brändle, Helmut Schoner, Roland Pieler, Arie Kranenburg, Hans-Wilhelm Hansen und Michael Newrzella.

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Mehr als die RAF-Opfer und ihre Angehörigen ziehen die RAF-Täter einige Filmemacher, Journalisten, Publizisten und Wissenschaftler immer noch sogar in ihren Bann. Bereits das Abtauchen einer kleinen Gruppe junger Leute in den Untergrund, ihr terroristischer „Kampf“ gegen die weitgehend saturierte, westdeutsche Wohlstandsgesellschaft und ihre offenkundige Bereitschaft, nach dem Motto „Sieg oder Tod“ sowohl zu morden als auch selbst zu sterben, verströmen in manchen Kreisen immer noch eine „morbide Faszination“ ). Das umso mehr, weil die meisten RAF-Terroristen, insbesondere RAF-Führungspersonen, nicht als abgehängte Außenseiter aufgewachsen waren, sondern oft aus gehobenen, religiös (eher evangelisch als katholisch) und bildungsbürgerlich geprägten Milieus stammten.

Terroristen wurden als „Begabte“ gefördert

Die „Studienstiftung des deutschen Volkes“ hatte gleich drei der vier RAF-Hauptgründer gefördert: Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Horst Mahler, über den heutige RAF-Apologeten weniger gern sprechen. Um den „Makel“ ihrer Herkunft zu überdecken, pflegten viele RAF-Mitglieder einen primitiven, vulgären Jargon. Aus den sozialen Souterrains des Landes kam lediglich eine Minderheit in der RAF, darunter Petra Schelm, Inge Viett und Peter-Jürgen Boock.

Unter Beteiligung Boocks erschoss die RAF am 5. September 1977 in Köln die vier Begleiter Hanns Martin Schleyers, um den damaligen Arbeitgeberpräsidenten zu entführen, bevor sie einige Wochen später auch ihn ermordete. Bereits wenige Tage nach Schleyers Entführung lieferte ein Polizeibeamter aus Erftstadt bei Köln einen handfesten Hinweis auf das Versteck, in das die RAF ihr Opfer verschleppt hatte. Doch das entsprechende Fernschreiben 827 versackte und versandete bei der Polizei, ohne dass die Beamten die große Chance hätten nutzen können, Schleyer lebend zu befreien und zu retten.

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Berichte ohne große Fehler

Georg Bönisch und Sven Röbel schildern den „Fall Schleyer“ präzise mit vielen bekannten Details. Hierbei unterlaufen ihnen nur wenige Fehler, zum Beispiel erfolgte die Festnahme von Adelheid Schulz, Mitglied der Kommandoebene der sogenannten 2. RAF-Generation, erst 1982 und nicht 1978 (S. 190). Im Kern untersuchen sie in ihrem Buch, warum der wertige Hinweis auf das Versteck („Volksgefängnis“) in Erftstadt verschwand, ob keine schnöde Schlamperei, keine Überforderung oder kein Unvermögen, sondern eher MfS-Agenten die Nadel im Heuhaufen verschwinden ließen, weil die SED fürchtete, durch die Großfahndung nach den RAF-Tätern könnten auch gut platzierte MfS-Agenten in infiltrierten Behörden auffliegen.

Das Buch basiert eher auf bereits ausgewertetem Schriftgut als auf neuem Material. Immerhin haben die Autoren, wie sie erklären, erstmals ehemalige MfS-Zuträger aus dem Großraum der damaligen Bundeshauptstadt ausführlich interviewt, um Hintergründe der schweren Fahndungspanne im „Fall Schleyer“ auszuleuchten und aufzuhellen. Offen bilanzieren die Autoren, sie hätten keine „smoking gun“ entdeckt: „Konkrete Belege, dass nachrichtendienstliche Aktivitäten Ost-Berlins die westdeutschen Ermittlungen damals direkt beeinflussten, ließen sich keine finden“.

Das MfS hatte sich gut vernetzt in die Institutionen einsickern lassen

 

 

Für ihre Hauptthese liefern die Autoren tatsächlich keine Belege oder Fakten, sondern lediglich Spekulationen und sehr vage Indizien, darunter Wohnungen von MfS-Zuträgern in der Nähe des Verstecks in Erftstadt. Dennoch hegten die SED und ihr MfS – als dem Hauptherrschaftsinstrument der Diktaturpartei – grundsätzlich ein hohes Interesse, die Bundesrepublik durch Unterstützung der RAF zu destabilisieren, wie sich auch vor und nach 1977 zeigte. Dieser wesentliche Aspekt spielt im Buch freilich kaum eine Rolle.

Einem anderen Aspekt der RAF-Geschichte widmet sich der Band über die „Stammheim-Protokolle“. Das Buch veröffentlicht ausgewählte Passagen aus dem insgesamt rund 14 000 Aktenseiten umfassenden Wortprotokoll der Hauptverhandlung des Strafprozesses von 1975 bis 1977 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen die RAF-Spitze, die wegen des dringenden Verdachts auf Mord, versuchten Mord und Bildung einer oder Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung angeklagt war.

Die Berichterstattung war von linker Propaganda massiv beeinflusst

Die beiden Herausgeber, darunter ein Professor für Strafrecht, wollen authentisch-lebendige Einblicke in den Prozess liefern, ohne ihn juristisch zu bewerten. Kaum befassen sie sich in ihrer knappen Einleitung mit dem Realitätsgehalt der RAF-Propaganda, etwa der angeblichen „Isolationsfolter“ im Gefängnis Stuttgart-Stammheim. Doch gerade dort brach der Strafvollzug mit zwei üblichen Prinzipien, nämlich Männer und Frauen getrennt unterzubringen und Beschuldigte eines Verfahrens von einander zu separieren.

Der Band veranschaulicht, wie einige Wahlverteidiger der Angeklagten frühzeitig versuchten, Wahrheitsfindung und Schuldklärung im Prozess, als angeblichem Ausdruck von „Klassenjustiz“, nicht nur zu erschweren, sondern fast vollständig zu torpedieren. Deutlich formulierte ein RAF-Mitglied gegenüber dem Gericht: „Wir sind es nicht gewohnt, mit Leuten wie Ihnen zu reden, sondern auf Leute wie Sie zu schießen.“


Georg Bönisch/Sven Röbel: Fernschreiben 827. Der Fall Schleyer, die RAF und die Stasi,
Köln 2021 (Greven Verlag), 208 S.;
Florian Jeßberger/Inga Schuchmann (Hrsg.), Die Stammheim-Protokolle.
Der Prozess gegen die erste RAF-Generation, Berlin 2021 (Ch. Links Verlag), 432 S.

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