Ein Landgut vier Meilen nördlich von Rom, am 9. Juni vor 1 950 Jahren: Der einstmals mächtigste Mann der Welt, Nero, liegt tot in seinem Blute; gemordet von eigener Hand. Größenwahnsinniger Tyrann, Gatten- und Muttermörder sowie erster Christenverfolger – die Liste der ihm vorgeworfenen Verwerflichkeiten könnte kaum düsterer sein. So verschlagen sein Leben war, so jämmerlich war sein Tod. Als er die Häscher herannahen hörte, musste ihm ein ehemaliger Sklave bei der ruchlosen Tat helfen. „Welch ein Künstler geht in mir zugrunde!“ soll er gejammert haben.
Für eben jene künstlerischen Ambitionen, vor allem für seinen sich dem Volk anbiedernden Populismus hatte ihn Roms Aristokratie gehasst. Ein singender Cäsar! Ein Kaiser, der bei der Unterzeichnung von Todesurteilen Tränen vergießt und lieber auf Diplomatie denn auf Waffenruhm setzt. Kaum, dass die allmächtigen Prätorianerpräfekten – die Befehlshaber der kaiserlichen Garde – die Seiten gewechselt hatten und dem 31-Jährigen die Macht entglitten war, gossen sie Spott und Häme über dem Effeminierten aus, vor dem sie sich noch kurz zuvor hatten beugen müssen. Tacitus, der dem Senatsadel entstammte, wurde nicht müde, die charakterlichen Deformationen Neros zu schildern und Sueton würzte das schaurige Bild mit abartigen Details aus dessen Sexualleben. In den Chor der adeligen Traditionalisten mischten sich auch bald die frühen Christen, die in ihm ihren ersten Peiniger sahen. All das verwob sich zu einem Geflecht, in dem historische Tatsachen und propagandistische Übertreibungen verschwammen. Zuletzt war es der geniale Peter Ustinov, der im Film „Quo Vadis“ dem umstrittenen Kaiser ein ahistorisches Monument setzte.
Nero wurde im Jahre 37 nach Christus geboren. Seine Mutter war die zielstrebige Agrippina, die in Köln geborene Schwester des Caligula. Nach der Heirat mit ihrem Onkel Claudius ließ sie ihren Geburtsort zur Colonia aufwerten – einen Status, dem die Rheinmetropole ihren heutigen Namen dankt. Aber Agrippinas Ehrgeiz ging noch weiter. Kaum, dass der ältliche Kaisergatte ihren aus einer früheren Ehe mitgebrachten Sohn adoptiert hatte, servierte sie ihm angeblich ein fatales Pilzgericht. Damit war der Weg frei für Nero, der bereits Claudius? Tochter Octavia geheiratet hatte. Doch anstelle des erst 17-Jährigen behielt dessen Mutter alle Fäden in der Hand. Sie berief fähige Berater – unter ihnen den Philosophen Seneca – und betrieb eine umsichtige Politik, um sowohl den Senat als auch das Volk von Rom zu befriedigen. Die Hochverratsprozesse, mit denen Claudius die Reihen der Senatoren gelichtet hatte, wurden ausgesetzt und das Volk erhielt zusätzliche Getreidelieferungen und Spiele, so dass die ersten fünf Regierungsjahre des Nero als die glücklichste Zeit Roms galten.
Allmählich aber entglitt Nero dem Einfluss seiner Mutter. Seit seiner Jugend loderte seine Leidenschaft für Kunst, Architektur und vor allem das Theater. Für den Uradel wäre das kein Problem gewesen, solange man derartige Ambitionen in kleinem Kreise hielt. Doch Nero wollte sich in aller Öffentlichkeit ausleben! Dazu kam, dass er sich in Poppäa Sabina verliebt hatte und diese ehelichen wollte. Die Schönheit war zwar nicht standesgemäß, doch mindestens ebenso kapriziös wie ihr Verehrer – sie badete nicht nur in Eselsmilch sondern ließ ihren 500 langohrigen Begleitern auch noch goldene Hufeisen anlegen. Noch aber war Nero mit Octavia verheiratet; glücklich war die Ehe nie gewesen. Agrippina, die ihre Machtposition in Gefahr sah, verbündete sich mit der Kaiserin gegen die gemeinsame Rivalin; offen drohte sie Nero gar mit Putsch. Das war zuviel! Die Mutter musste verschwinden. Da sie sich durch die regelmäßige Einnahme einer kleinen Giftmenge immunisiert hatte, schied Vergiften aus. Also brachte man die Schlafzimmerdecke zum Einsturz – Agrippina überlebte. Während einer Seereise zerfiel ihr manipuliertes Schiff in seine Einzelteile, doch sie war eine gute Schwimmerin. Schließlich entsandte Nero panisch seine Leibwächter, die Agrippinas Leben mit dem Schwert beendeten. Neros Künstlerkarriere stand nun niemand mehr im Wege. Noch aber scheute er sich, den römischen Stadtadel zu provozieren und ließ sich zunächst in dem mehrheitlich von Griechen bewohnten Süditalien als Sänger feiern. Nachdem sich auch sein Lehrer Seneca zurückgezogen hatte und die rechtmäßige Kaiserin beseitigt war, hielt ihn niemand mehr auf.
Das Schicksal der unglücklichen Octavia, das immer hemmungsloser zur Schau gestellte Künstlertum des Kaisers und nicht zuletzt seine Verschwendungssucht sorgten zusehends für Spannungen mit dem alteingesessenen Adel. Die außenpolitischen Erfolge Neros fanden in den Augen der Senatoren keine Gnade. Die Zahl der aufgedeckten Verschwörungen stieg und bald wurden auch die Majestätsprozesse wieder aufgenommen. Zuletzt brachen in den Provinzen offene Rebellionen aus, auf die er gar nicht oder zu spät reagierte – als ganz Judäa und halb Frankreich schon brannten, referierte Nero über seine Ideen zur Verbesserung des Orgelklangs. Nach seinem Ende ließ der Senat die offizielle Erinnerung an ihn tilgen. Doch im Volk blieb er noch lange Zeit populär. Als man im 16. Jahrhundert die Ruinen seines goldenen Palasts entdeckte, inspirierte unter anderem auch Neros Kunst die Zeitgenossen zur Renaissance.
In die Kirchengeschichte ging Nero als Antichrist ein. Im Jahr 64 hatte ein verheerender Brand große Teile Roms zerstört. Obwohl der Kaiser die Löscharbeiten persönlich beaufsichtigte und seine Paläste für die Obdachlosen öffnete, streuten Senatskreise das Gerücht, der Kaiser habe höchstselbst den Befehl zur Brandstiftung erteilt. „Um daher das Gerede zu beenden“ – so kolportiert Tacitus – „gab Nero denen, die wegen ihrer Schandtaten verhasst das Volk Christen nannte, die Schuld und belegte sie mit den ausgesuchtesten Strafen.“ Am vatikanischen Hügel, wo der Kaiser über eine private Pferderennbahn verfügte, wurden sie an Pfähle gebunden, mit Pech übergossen und bei lebendigem Leibe verbrannt – die damals in Rom übliche Bestrafung für Brandstifter. Die genaue Zahl der ersten Märtyrer – 30 Jahre nach Golgatha – ist nicht bekannt. Simon, genannt Petrus, ein Fischer aus der römischen Provinz Judäa, soll nicht unter den ersten Opfern gewesen sein. Der Überlieferung nach hatte er die Hauptstadt der Welt bereits verlassen, als er auf der Via Appia seinem Erlöser begegnete und diesen fragte: „Quo vadis, wohin gehst du Herr?“ „Nach Rom, um mich ein zweites Mal kreuzigen zu lassen.“ Daraufhin kehrte auch Petrus dorthin zurück, um sich seinem Martyrium zu stellen.
Gleich neben dem Rennplatz des Nero, in welchem die ersten Christen zu Tode kamen, erstreckte sich ein großes Gräberfeld. Ein Grab fand bald eine besondere Verehrung. Ein später Nachfolger Neros, Konstantin der Große, dessen Mutter Helena sich zum Christentum bekannt hatte, ließ das Tal mit dem neronischen Circus und den Gräbern aufwändig planieren und über der als Petrusgrab verehrten Grabstelle eine Basilika errichten – den Vorläufer des heutigen Petersdoms.