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Vaishnavi Sundar: Gecancelt vom Mainstream

Wenn das Milieu, das sich selbst zu den Guten zählt, wieder gnadenlos zuschlägt, bleibt schon mal eine Kämpferin für Frauenrechte auf der Strecke: Die feministische Regisseurin Vaishnavi Sundar erlebt gerade den Boykott ihrer Dokumentation über sexuelle Belästigung. Begründung: Sie sei transphob, weil sie auf Twitter die Anwesenheit von Transfrauen - also genetischen Männern - in Fraueneinrichtungen und im Frauensport thematisiert hatte.
"Dysphoric": Animationssequenz verdeutlicht die Benachteiligung mit dem weiblichen Bild in einem Männerkopf.
Foto: IN | In einer Animationssequenz behandelt „Dysphoric” die Benachteiligung von Frauen und Mädchen in Indien. Deshalb wünschen sich viele Mädchen, ein Junge zu sein.

Der Begriff mag neu sein, aber die sogenannte Cancel Culture hat sich insbesondere in den Medien und in der akademischen Welt in letzter Zeit äußerst schnell verbreitet. Die Gegner der Meinungsfreiheit handeln immer wieder nach demselben Muster: Demjenigen, der mundtot gemacht werden soll – denn nichts anderes ist die Cancel Culture –, werden irgendwelche „Anti-Haltungen“ oder „Phobien“ vorgeworfen.

Auch die feministische Regisseurin Vaishnavi Sundar, die sich als „Filmemacherin, Autorin und Aktivistin für Frauenrechte“ selbst bezeichnet, wurde Opfer der Cancel Culture: Mit ihrem Regiedebüt „But What Was She Wearing?“ drehte sie den bislang einzigen abendfüllenden Dokumentarfilm über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz in Indien.

Eine Woche vorher kommt die Ausladung

Im Sommer 2020 hielt sich die Filmemacherin in den Vereinigten Staaten auf, um „But What Was She Wearing?“ in verschiedenen Städten vorzuführen. Geplant war auch eine Vorführung in New York, die vom Polis Project – einem Zusammenschluss von Forschern und Journalisten, bei dem etliche Personen indischer Herkunft arbeiten – veranstaltet wurde. Eine Woche vor dem Termin wurde Vaishnavi Sundars Film jedoch ausgeladen. Als Begründung wurden deren „transphobe Ansichten“ ins Feld geführt.

Die inkriminierten „transphoben Ansichten“ bezogen sich auf einen Twitter-Thread, in dem es um Transfrauen und deren Anwesenheit in Frauenhäusern, Gefängnissen, Badezimmern und Frauensport ging. Darüber schrieb Vaishnavi Sundar selbst in einem Beitrag für das britische Online-Magazin „sp!ked“ („spiked“): Das Polis Project habe „die Vorführung eines Films über ein drängendes Thema, das Frauen quer durch alle sozialen Schichten der Gesellschaft betrifft“, deshalb abgesagt, „weil die Filmemacherin glaubt, dass das biologische Geschlecht kein soziales Konstrukt ist, dass die geschlechtsspezifische Unterdrückung von Frauen real ist, dass die Unterbringung von Menschen mit männlichen Genitalien in Räumen mit Opfern männlicher sexueller Gewalt für weibliche Insassen erschütternd sein kann, dass psychische Krankheiten wie Autogynephilie und andere Dysphorien gefährliche, unwiderrufliche Schäden verursachen können, und dass Gender-Theoretiker Frauen auslöschen, ähnlich wie es das Patriarchat tut.“

„Ihnen wird vorgegaukelt,
dass es eine Zeit lang ein wenig schmerzhaft sein wird,
aber dass die Transition ihre Probleme lösen wird.“

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Damit spricht die indische Filmemacherin den Streit an, der zwischen „klassischen“ Feministinnen und Transgender-Befürwortern zurzeit tobt. Davon können etwa Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling, die das biologische Geschlecht als identitätsstiftendes Merkmal hervorgehoben hatte, oder Martina Navratilova, die sich gegen die Teilnahme von „Transfrauen“ am Frauen-Spitzensport ausgesprochen hatte, ein Lied singen. Sie werden als TERFs („Trans-Exclusionary Radical Feminism“, deutsch: „Trans-ausschließender radikaler Feminismus“) angefeindet beziehungsweise der „Transmisogynie“ bezichtigt.

Zu den Vorwürfen führt Vaishnavi Sundar aus: „Für die Sicherheit von Frauen einzutreten, sei ,anti-trans‘, dessen Bedeutung ich immer noch nicht verstehe. Ich bin gegen nichts, außer gegen die endlosen abgeleiteten Formen der Frauenfeindlichkeit.“ Seitdem lehnen die Medien, in denen sie früher geschrieben hatte, ihre Beiträge ab: „Es scheint, dass indische Trans-Rechts-Aktivisten meinen Namen gegoogelt haben und an jedes Medium geschrieben haben, in dem ich jemals veröffentlicht habe, um ihnen von meinen ,TERF‘-Tweets zu erzählen.“

In den meisten Medien totgeschwiegen

Gecancelt vom Mainstream wird ebenfalls Sundars neuester Dokumentarfilm „Dysphoric – Fleeing womanhood like a house of fire“, den kein Filmfestival zeigen wollte, weshalb er in vier Teilen auf YouTube veröffentlicht wurde, ja über den „kein einziges Medium in Indien“ berichten wollte – so die Regisseurin in einer Email an die „Tagespost“.

Die klassische Medizin bezeichnet Dysphorie (als Gegenteil von Euphorie) als Affektstörung: „Die Betroffenen sind unzufrieden, missmutig, schlecht gelaunt, gereizt, mürrisch oder verärgert und strahlen diese Stimmung nach außen ab“, so ein Medizinlexikon. Inzwischen wird der Begriff aber verkürzt als Empfindung einer Person, wenn die Umwelt „sie in einem falschen Geschlecht wahrnimmt, oder wenn ihre eigenen Vorstellungen von ihrem Geschlecht nicht zu ihrem eigenen Aussehen, Verhalten und Sein passen“ (so „queer-lexikon.net“).

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Transition: eine Modewelle?

Vaishnavi Sundar stellte fest, dass der Wunsch, die eigene Geschlechtszugehörigkeit zu ändern, gerade bei Jugendlichen explosionsartig zugenommen hat. In „Dysphoric“ verdeutlicht sie das anhand einer Grafik: Haben in den Vereinigten Staaten 2009 weniger als 100 Minderjährige den Wunsch geäußert, das Geschlecht zu wechseln, so sind es 2016 fast 1 000 gewesen, die sich als Transgender identifizieren. Darüber hinaus lernte sie mehrere Trans-Menschen kennen, die „gezwungen wurden, Pubertätsblocker zu nehmen und sich irreversiblen Körperverstümmelungen zu unterziehen“ und sich nun „geoutet und eine ,De-Transitioners‘-Community gegründet“ haben.

Deshalb fängt der Film die Erfahrungen von Frauen ein, die unter der Krankheit leiden. In dem Film werden Interviews mit Transfrauen geführt, die ihre Transition (Umwandlung) gestoppt oder versucht haben, sie rückgängig zu machen. Es sind sogenannte Desisters und Detransitioners.

Die Methoden wirken kriminell

Die von Vaishnavi Sundar interviewten Psychiater und anderen Fachleute äußern die Befürchtung, dass „dysphorischen“ Kindern vorschnell eine Transitions-Behandlung angeboten wird. Denn die Verabreichung von Pubertätsblockern und andersgeschlechtlichen Hormonen ist schon eine Form der Konversionstherapie. Dazu führt sie selbst aus: „Die Frauen, die eine Transition wollen, werden belogen. Ihnen wird vorgegaukelt, dass es eine Zeit lang ein wenig schmerzhaft sein wird, aber dass die Transition ihre Probleme lösen wird. Nach einer teuren medizinischen Behandlung stellen sie fest, dass das Problem nicht gelöst ist.“ So können Pubertätsblocker und sogenannte „Cross-Sex“-Hormone das Risiko von Herz-, Nieren- und Lebererkrankungen erhöhen.

 

Hätte sich die Regisseurin als queer bezeichnet und für die „Transition“ Partei ergriffen, würde ihr Film weltweit auf Festivals vorgeführt. Weil sie sich kritisch damit auseinandersetzt, weigern sich die Transgender-Verfechter sogar, den Film anzusehen. In einem Interview mit dem Online-Magazine „Lesbian and Gays News“ sagt sie dazu: „Es gibt Widerstand, selbst gegen den Vorschlag, den Film zu sehen. Diejenigen, die glauben, dass ich transphob bin, tun den Film als transphobisch ab. Aber ich habe das Gefühl, wenn sie ihn sich ansehen, auch wenn sie ihn ,hassen‘, gibt es vielleicht Raum für Gespräche.“

Die Szene mobbt die „Schwester“

Obwohl sie sich in dem Film „sehr klar ausgedrückt habe, damit mir niemand Transphobie vorwerfen kann“, erlebt sie nun die Folgen der Cancel Culture am eigenen Leib.

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Andrea Schultz Frauenrechte Pubertätsblocker

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