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Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“

Drogen, Prostitution, Gewalt, Sex - zuviel für ein einziges Leben und dennoch eine brutale Realität: Die Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ zeichnet in der Neuauflage, die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven.
Die Kinder vom Baahnhof Zoo
Foto: Constantin Television /Mike Kraus | Ein rauschhaftes Clubleben in Berlin: Christiane (Jana McKinnon, Mitte), Stella (Lena Urzendowsky, links), Babsi (Lea Drinda), Benno (Michelangelo Fortuzzi) und Michi (Bruno Alexander).

Die Veröffentlichung der Erlebnisse von Christiane F. als zwölfteilige Serie im Stern-Magazin 1978, die dann als Buch mit dem Titel „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ebenfalls im Stern-Verlag erschien, war ein regelrechter Paukenschlag. Denn das Buch eröffnete erstmals einem breiten Publikum Einblicke nicht nur in die Drogenszene am Berliner Bahnhof Zoo, sondern überhaupt in die Drogenproblematik bei Jugendlichen mit allem, was dazu gehört, etwa Beschaffungskriminalität und -prostitution.

Das Buch wurde nicht nur Pflichtlektüre in zahlreichen Schulen, sondern auch ein Verkaufsschlager, stand es doch 95 Wochen lang auf dem ersten Platz der Spiegel-Beststellerliste. In etwa 15 Sprachen übersetzt, erreichte „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ eine weltweite Auflage von mehr als drei Millionen Exemplaren.

Schockierende Bilder

Im Jahr 1981 wurde es mit dem Titel „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von Uli Edel größtenteils mit Laiendarstellern verfilmt. Szenen mit realistischer Darstellung und ungeschönten Details „waren so noch nie im deutschen Kino gezeigt worden und schockierten eine ganze Elterngeneration“, schrieb dazu der „Stern“ 1989. Ein Pluspunkt für die Inszenierung war die Beteiligung von David Bowie (1947–2016), der in den Jahren 1976–1978 in Berlin lebte, und dessen Konzert die echte Christiane F. besucht hatte: Die Konzertszenen wurden für den Film nachgedreht und mit Archivaufnahmen gemischt. Den Film mit der damals 14-jährigen Natja Brunckhorst in der Hauptrolle sahen mehr als fünf Millionen Zuschauer.

Nun hat Amazon zusammen mit der Constantin Television aus den „Erinnerungen und Erlebnissen von Christiane F.“ – wie es in einer Schrifttafel zu Beginn heißt – eine achtteilige Serie gedreht, die ab dem 19. Februar auf der Online-Plattform Amazon Prime Video komplett zu sehen ist.

Die Handlung ist in den späten 1970er Jahren angesiedelt, was insbesondere zu Beginn nicht nur durch Kleidung und Einrichtung, sondern etwa auch durch die Werbung oder durch Ausdrücke wie „astrein“ (allzu aufdringlich) betont wird.

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Kaputte Familien

Auch wenn „einige Personen und Ereignisse fiktionalisiert“ wurden, konzentriert sich die Serie auf sechs Jugendliche: Neben Christiane (Jana McKinnon) sind es Stella (Lena Urzendowsky) und Babsi (Lea Drinda) sowie Benno (Michelangelo Fortuzzi), Axel (Jeremias Meyer) und Michi (Bruno Alexander) – die Schauspieler sind allesamt etwa 20 Jahre alt, also schon ein paar Jahre älter als die Figuren, die sie verkörpern, dafür besitzen sie bereits schauspielerische Erfahrung.

Die mehr als 400 Minuten Zeit bieten Haupt-Drehbuchautorin Annette Hess und Regisseur Philipp Kadelbach Gelegenheit, zunächst einmal die kaputten Familienverhältnisse der Jugendlichen ausgiebig zu schildern: Christiane wohnt mit ihren Eltern und der jüngeren Schwester in einer kleinen Wohnung in der Berliner Gropiusstadt. Der Vater (Sebastian Urzendowsky) ist ein Träumer, der immer wieder irgendwelche Geschäftsideen entwickelt, aber nie umsetzt.

Alkohol und Gewalt

Dann trinkt er und wird gewalttätig – bis seine Frau (Angelina Häntsch) ihn aus der Wohnung wirft. Alkoholsüchtig ist ebenfalls Stellas Mutter (Valerie Koch), die eine Eckkneipe führt. Im Unterschied zu Christiane und Stella gehört Babsi der Oberschicht an. Sie lebt in einer Villa mit ihrer überforderten Großmutter (Hildegard Schmahl), da der Vater offensichtlich Selbstmord beging und die Mutter auf Tournee durch die halbe Welt ist.

Der Tristesse in ihrer Familie entkommen die drei Mädchen vorwiegend in einem der berüchtigten Berliner Clubs, wo nicht nur getanzt, sondern auch Drogen konsumiert werden. Benno ist ziemlich früh dem Heroin verfallen, was ihm Probleme bei der Lehre bereitet – im Gegensatz zu Alex, der sie ziemlich ernst nimmt.

„Umfassend, intensiv und schonungslos“

Laut Drehbuch-Hauptautorin Annette Hess ermögliche „das moderne serielle Erzählen“, das Leben der Jugendlichen „aus verschiedenen Perspektiven ohne Auslassungen und historisch genau abzubilden: umfassend, intensiv und schonungslos“. Jedenfalls gehören zu den unterschiedlichen Perspektiven – Christiane ist und bleibt die Hauptperson, aber die Serie bietet auch die Sicht der anderen – auch die Sichtweisen der Eltern. Der Ton der Serie wird mit jeder Folge düsterer. Überwiegen zu Beginn die Elemente einer sogenannten „Coming-of-Age“-Geschichte – Unverständnis der Eltern, gegensätzliche Gefühle, Freundschaft und Partys, erste Liebe, Identitätssuche –, so verfinstert sich die Anmutung, je mehr die Freunde in den Drogensumpf abrutschen – und damit auch nicht nur sich selbst sondern auch ihre Freundschaft zerstören.

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Ein Alptraum und Teufelskreis

Der Kontrast zwischen den anfänglichen lichten Momenten und dem Albtraum, den sie später etwa beim Teufelskreis Drogenkonsum und -beschaffung, Entzug und Rückfall erleben, macht den besonderen Reiz von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ aus. Kommt die Musik nicht unmittelbar von dem 2015 verstorbenen David Bowie, die ja in Uli Edels Film eine wichtige Rolle spielte, so haben sich die Komponisten Robot Koch und Michael Kadelbach laut Amazon von ihm inspirieren lassen.


„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Head-Autorin: Annette Hess, Regie: Philipp Kadelbach. Deutschland 2020, achtteilige Serie mit insgesamt ca. 410 Minuten.
Auf Amazon Prime ist das Video ab 19. Februar zu sehen. 

 

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