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Die fabelhaften Fabelmans

Filme, Familie, Judentum: Steven Spielbergs autobiografischer Spielfilm „Die Fabelmans“ ist Kinomagie pur.
"The Fabelmans"
Foto: Merie Weismiller Wallace (Universal Pictures) | Gabriel LaBelle in einer Szene des Films "The Fabelmans". Das autobiografische Drama kommt am 09.03.2023 in die deutschen Kinos und gewann in der Kategorie "Bestes Filmdrama" und "Beste Regie" einen Golden Globe.

Um einen Fußballerausspruch auf die Filmindustrie zu übertragen: Es gibt nur einen Steven Spielberg. 22 mal war „Hollywoods Wunderkind“ bislang für den Oscar nominiert – erhalten hat er ihn in den 1990er-Jahren jeweils für seine Regiearbeit an den Meisterwerken „Schindlers Liste“ und „Der Soldat James Ryan“. Insgesamt erhielten seine Filme, an denen er in den letzten 50 Jahren als Regisseur, Produzent oder Drehbuchautor mitwirkte, 140 Oscar-Nominierungen und konnten 35 der begehrten Trophäen gewinnen. Zudem spielte Spielberg mit seinen Filmen mehr als zehn Milliarden US-Dollar ein und gilt damit als der kommerziell erfolgreichste Regisseur der Filmgeschichte. 

Hollywoods Wunderkind prägte das Blockbuster-Kino

Er hat Hollywood  seinen filmischen Stempel aufgedrückt und Generationen von Kinofans begeistert: Mit nur 29 Jahren hat er mit „Der weiße Hai“ 1975 den ersten Blockbuster der Filmgeschichte geschaffen, nur um sich einige Jahre später 1982 mit „E.T.“ selbst zu steigern, mit der „Indiana Jones“-Reihe einen Kultstatus zu erwerben und dann 1993 noch einmal mit „Jurassic Park“ zu überbieten, der für fünf Jahre lang der erfolgreichste Film der Welt blieb, bis James Cameron mit „Titanic“ Spielbergs Urzeit-Spektakel von der Spitze verdrängte. 

In den letzten 20 Jahren hat der Meisterregisseur zwar zahlreiche weitere Filme inszeniert und produziert, jedoch konnte er mit vielen von ihnen zumeist weder kommerziell noch künstlerisch an die phänomenalen Erfolge seiner früheren Werke anknüpfen. Rechtzeitig zur Oscarverleihung am 12. März jedoch ist nun sein neuestes Werk auch in unseren Kinos gestartet. Seine deutsche Erstaufführung hatte „Die Fabelmans“ bereits im Februar bei der „Berlinale“, wo Spielberg den „Goldenen Ehrenbären“ für sein Lebenswerk erhielt. Schon bald könnte es noch mehr Preise für ihn regnen, denn sein autobiographisch geprägtes Filmdrama „Die Fabelmans“ wird weltweit von Filmkritikern gefeiert und ist für sieben Oscars nominiert, unter anderem in den Kategorien „Bester Film“, „Beste Regie“ und „Bestes Originaldrehbuch“. Jeweils einen Golden Globe für „Besten Film und Beste Regie“ hat der Film bereits gewonnen. Wird Spielberg mit diesem Film, der für ihn wahrscheinlich der persönlichste Film seiner langen Karriere ist, an die früheren Oscar-Erfolge anknüpfen können? 

Spielbergs wohl persönlichster Film

New Jersey, Januar 1952: Als der sechsjährige Sammy (Meteo Francis-DeFord), der im Film als Spielbergs Alter Ego fungiert, von seinen Eltern Burt (Paul Dano) und Mitzi Fabelman (Michelle Williams) das erste Mal ins Kino mitgenommen wird, macht dieses Erlebnis einen bleibenden Eindruck auf ihn und verändert seine Welt nachhaltig. Die rasanten Actionszenen von Cecil B. DeMilles Zirkusfilm „Die Größte Schau der Welt“ schockieren und faszinieren ihn zugleich. Er ist von der Magie der bewegten Bilder wie gefesselt. 

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Die Filmkamera seines Vaters, der Computerentwickler ist, hilft ihm schließlich dabei, die Eindrücke zu Hause zu verarbeiten, indem er Szenen aus dem Film perfekt nachdreht. Als Jugendlicher ist Sammy (nun gespielt von Gabriel LaBelle) kaum mehr von seiner Kamera zu trennen und möchte später Filmemacher werden. Für seine ersten Gehversuche hinter der Kamera müssen seine Familienmitglieder herhalten. Das reicht vom Einwickeln seiner Schwestern in Toilettenpapier für einen Mumienfilm, über amateurhafte Westernfilme, bis hin zu einem 40-minütigen Kriegsfilm, den er mit seinen Pfadfinderfreunden dreht. 

Eines Tages wird er zufällig beim Schneiden eines Familienfilms auf die Probleme aufmerksam, die zwischen seinen Eltern herrschen und mit seinem Onkel Bennie (Seth Rogen) zu tun haben. Als die Familie wegen der Karriere des Vaters nach Kalifornien umziehen muss, treten die Probleme immer mehr zu Tage, bis die Familie schließlich auseinanderbricht. 

Filmemachen als Therapieersatz

„Die Fabelmans“ ist nicht nur eine detailverliebte, von wunderschönen Bildern und zauberhafter Musik durchtränkte Liebeserklärung an das Kino, sondern auch eine zutiefst intime Familienchronik. Und so steht neben Sammys Werdegang als Filmemacher vor allem die Beziehung zu seinem gutherzigen Vater und noch mehr die zu seiner unglücklichen Mutter im Fokus. 

Gerade im Mittelteil des Films, als das scheinbare Familienidyll plötzlich erste Filmrisse bekommt, ist spürbar, dass Spielberg versucht, den eigenen Kindheitsschmerz filmisch zu fassen zu bekommen. Selbst da wo er sowohl seiner Mutter als auch seinem Vater mit liebevollem Verständnis und der ihm ureigenen menschlichen Wärme begegnet, blendet er nicht die vielen Widersprüchlichkeiten aus, die sein Verhältnis zu ihnen geprägt haben. Spielbergs Film ist dermaßen persönlich geworden, dass einem erst beim Anschauen des Dramas richtig bewusst wird, wie ungeheuer persönlich selbst die vermeintlich unpersönlichen Blockbuster von ihm waren und auch wie selbst diese reinen Unterhaltungsfilme jeweils auf ihre eigene Weise von den Erfahrungen angetrieben wurden, die Spielbergs Weg zum Erwachsenwerden allesamt geprägt haben, inklusive des Ehedramas seiner Eltern. Nach diesem Film sieht man Filme wie „Der weiße Hai“ oder „Der Soldat James Ryan“ mit ganz anderen Augen. 

Spielberg bringt mithilfe seines Films nunmehr etwas auf den Punkt, was unterschwellig von Beginn seiner illustren Karriere an immer schon in seinen Filmen zu spüren und zu sehen war, doch nie auf der Leinwand dezidiert thematisiert wurde. Was lange der persönlichen Interpretation überlassen und Subtext blieb, ist nun Text geworden und zwar sehr explizit. Denn in nahezu jedem Moment dieses Coming-of-Age-Films wird deutlich, wie sehr Spielberg die Probleme innerhalb seiner Familie und die Scheidung seiner Eltern belastet haben und das Filmemachen für ihn zur Flucht in eine andere Welt wurde, in der er die Regie führte und nicht die familiären Umstände das Sagen hatten. Das Kino diente ihm als Sprachrohr und unentbehrliches Mittel bei der Bewältigung der Realität, die auch aufgrund seiner jüdischen Religion oft schwierig für ihn war.

Eine jüdische Familie aus New Jersey

Spielbergs Alter Ego Sammy wächst in einer gläubigen und praktizierenden jüdischen Familie auf, die Wert auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder legt und mit ihnen die jüdischen Feste begeht. So wird zum Beispiel auch ausgiebig mit Gebeten, Gesängen und Geschenken das Hanukkah-Fest zu Hause gefeiert. Weil er Jude ist, wird er immer wieder von ein paar älteren Mitschülern gehänselt und muss sich von ihnen antisemitische Sprüche anhören. Einmal soll er sich vor einer Gruppe von Halbstarken sogar dafür entschuldigen, dass er, bloß weil er Jude ist, Jesus getötet hat. „Warum hast du unseren Herrn umgebracht?“ schreit ihn ein Mitschüler an und gibt die gängigen Vorurteile wider, mit denen Juden seit 2000 Jahren immer wieder als Sündenböcke herhalten müssen und als Gottesmörder angefeindet werden. 

Aber nicht alle sind ihm auf der Schule als Jude feindlich gesonnen. Insbesondere findet Monica, ein gläubiges christliches Mädchen gefallen an ihm, grade weil er Jude ist und er sie zum einen wegen seiner Abstammung an Jesus Christus erinnert und zum andern ein attraktives Missions- und Liebesversuchsobjekt darstellt. Manche dieser Szenen wirken durchaus etwas übertrieben gezeichnet, zeigen aber eindrucksvoll, welche Probleme man als religiöse Minderheit im Amerika der 1950er-Jahre haben konnte und wie man Mission oft falsch verstehen kann. 

Der Kinomagier zeigt sein Können

„Die Fabelmans“ bietet alle Zutaten, die man sich für einen Film wünscht und versprüht Kinomagie pur. Spielberg hat ein großartiges Schauspielerensemble zusammengestellt und versteht es, sein Publikum wieder einmal fantastisch zu unterhalten. Der Zuschauer erlebt in zweieinhalb Stunden die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen und wird am Ende innerlich so bewegt zurückgelassen, wie es nur leidenschaftlich bewegte Bilder im Stande sind zu tun.

„Die Fabelmans“ ist nicht nur fabelhaft: Er gehört mit zu Spielbergs stärksten und wichtigsten Filmen und unterstreicht erneut sein Ausnahmetalent als Kinomagier, der hier einige seiner großen Tricks zum Besten gibt.

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