Wer fragt sich nicht gelegentlich, ob Deutschland die Sicherungen durchbrennen. Die Vernunft hat einen schweren Stand, wenn Gefühlschaos herrscht und Ideologien die Oberhand gewinnen. Der Physiker und Kabarettist Vince Ebert funkt mit Schalk dazwischen. In seinem neuen Buch „Wot Se Fack, Deutschland?“ lotet er aus, wie Verstand und Gefühl, Staunen und Skepsis miteinander schwingen. Im Gespräch bedauert er, dass sich die Mehrheit am Nasenring durch die Manege ziehen lässt und erklärt, warum es Zeit ist für Widerstand.
Herr Ebert, gestern haben die beiden Kumpels Hass und Hetze mal wieder über Sie gelästert: „Der Ebert hat rechts ‚ne kurze Zündschnur und links riecht er Lunte.“ Was sagt denn die gute alte Vernunft dazu?
(lacht) Ich kann ja mit den beiden gar nix anfangen. Die Deutschen – Klischee! – haben immer dieses duale Denken: Wenn du nicht links bist, dann bist du rechts! Ich sehe mich als einen klassischen Liberalen, fast schon Libertären – gegen kollektivistische Strukturen, für Individualismus, für Eigenverantwortung. Die pauschale Einordnung in links und rechts ist mir viel zu simpel. Der Vorwurf zieht aber: Viele Bürgerliche halten die Fresse, weil sie sich eingeschüchtert fühlen. Dabei sind diejenigen, die Hass und Hetze schreien, nur gut organisierte ideologisierte Minderheiten. Die große Mehrheit lässt sich am Nasenring durch die Manege ziehen. Das ist der eigentliche Skandal: Die Narren haben das Schiff übernommen und die Vernünftigen stehen daneben und können es nicht fassen.
Dann sprechen wir mal Physik: Deutschland kommt mir derzeit vor wie ein überlastetes Stromnetz. Die Spannung steigt, Sicherungen springen raus, Resonanz geht verloren. Wie kam’s denn zu dieser brenzligen Situation?
Stromnetz ist eine gute Metapher, weil ein Stromnetz hochkomplex und zugleich relativ resilient ist. Wenn das Stromnetz stabil ist, können überall ein paar kleine Störungen passieren und es stabilisiert sich trotzdem. Das war lange Zeit der Fall. Dann hat man Stück für Stück das Stromnetz fragilisiert, immer mehr Kraftwerke abgebaut. Man hat die Balance komplett verloren und jetzt können kleine Gruppen das ganze System zum Kollabieren bringen. Wir sehen das in Hamburg, wo eine gut organisierte Gruppe von Freaks den Klimaentscheid durchgedrückt hat. Das ist aber selbstverschuldet, weil die Bürgerlichen sich nicht aufgerafft haben.
In der Physik gilt, dass Materie ihren Aggregatzustand ändert bei einer bestimmten Energiezufuhr. Was bedeutet das für unsere erhitzte Gesellschaft: Haben wir den Siedepunkt erreicht oder verdampfen wir schon?
Prognosen sind immer schwer, besonders wenn sie die Zukunft betreffen (lacht), aber die Zeichen stehen auf Diffusion. Ich habe keine große Hoffnung, dass wir das Ding gedreht bekommen. Geopolitisch spielen wir neben den großen Mächten USA und China nur mehr eine Nebenrolle, weil wir uns selbst ins Aus geschossen haben. Es schmerzt mich, dass wir die abendländische Kultur, die westlichen Werte hingeworfen haben. Ich glaube, dass das so weitergehen wird und wir den Kipppunkt schon erreicht haben. Die abendländische Kultur war aber schon immer ganz gut in ihrer Korrekturfunktion. Ich hoffe, dass sich der Stimmungswechsel, der derzeit stattfindet, endlich in Aktion umsetzt.
Wenn die Vernunft unser innerer Thermostat ist, der Emotionen im Gleichgewicht hält, dann ist dieser wohl seit geraumer Zeit defekt. Gibt’s eine Do-it-yourself-Anleitung oder muss der Fachmann ran?
Ein Thermostat ist ja ein selbstorganisierendes System, ein in sich geschlossener Regelkreis, der sich in die andere Position einpendelt, wenn es zu extrem wird. Der aktuelle Wahnsinn wird aber erst zurückgehen, wenn die Kohle weg ist. Viele können sich noch irgendwelche spinnerten Gedanken leisten, weil sie sich keine fundamentalen Gedanken über die Miete machen müssen, weil im Supermarkt noch die Milch und der Käse da sind. Wir sind in der Wohlstandsverwahrlosung gelandet. Gefühle waren früher mit Kirche und Religion verbunden. Heute aber sucht man sich Ersatzreligionen. Man kauft sich mit Emissionszertifikaten frei von Klimasünden. Der Verlust der Religion hat das Problem nicht gelöst, sondern verschärft.
Nicht alles aber ist schlecht an hochgekochten Emotionen: Empörung ist zwar nicht ganz sauber, aber als gesellschaftliche Energie billig und reichlich verfügbar. Wie aber kanalisieren wir diese Energie so, dass sie konstruktiv statt destruktiv wirkt?
Empörung ist psychologisch gesehen eine Form von Narzissmus. Man empört sich über etwas und zeigt, wo man moralisch steht, Probleme aber löst man nicht. Leute, die Probleme lösen möchten, wissen nicht, wohin mit ihrer Energie. Das verpufft alles, sodass in letzter Konsequenz nur Empörung und Wut bleiben. Unsere Gesellschaft hat die Kanäle so zugemacht, dass einem nur Lethargie bleibt – oder die Energie verpufft in Entropie. Das System lässt leistungsfähigen Menschen keinen Raum lässt. Wenn ich eine Firma gründen will, dann sind tausend Bürokraten da, die einem das verleiden.
Sie selbst sind ein Spezialist für Humor und ein Facharbeiter im Weinberg des Verstands. Ein Witz ist für Sie „ein Fehler im System“, der aber zu Erkenntnis führt. Über Humor schreiben Sie: „Die Trennlinie zwischen einer freien und einer unfreien Gesellschaft verlief schon immer an der Humorgrenze.“ Stehen wir schon mit einem Fuß im Gefängnis?
Ich finde schon. Juristenposten werden schon nach Ideologie besetzt, Klimaschutz steht im Grundgesetz. Das ändert sich nicht mit einem Regierungswechsel. Die Trennung von Judikative und Exekutive verschwindet immer mehr, das ist ein Kennzeichen für den Übergang in eine autoritäre Gesellschaft. Wenn man Begriffe, verbietet – siehe Schwachkopf – macht man den Gegner mundtot. Wenn das Wort, das ich benutze, eine andere Bedeutung hat per Gesetz, dann kann ich mich argumentativ nicht mehr artikulieren. Mit Sprache will man Kontrolle ausüben. Das war in der DDR schon so: Wenn man Deutschland sagte, war man suspekt.
Ganz nach Mao: Bestrafe einen, erziehe hundert. Für viele ist das ein Indiz dafür, dass man bestraft wird, wenn man seine Meinung äußert. Von Grünen oder Linken heißt es dann: Die bilden sich das ein, man kann doch alles sagen! Das ist arrogant, man kann dieses Gefühl der Mehrheit nicht einfach abtun. Ich habe mir irgendwann gesagt, ich spiel‘ dieses Spiel nicht mit und geh‘ auch nicht in die Rechtfertigung. Ich hab‘ ja ein Publikum, das sehr heterogen ist, da sitzt die Mitte der Gesellschaft und feiert das total ab. Auch die Statistiken zeigen ja, dass achtzig oder neunzig Prozent der Leute sich diesen klaren Menschenverstand wünschen würden. Die aber sind sehr leise.
Welche Leiche haben Sie denn im Keller?
Das müssen Sie das Innenministerium fragen. Ned dass ich wüsst‘, aber meine Regierung weiß es mit Sicherheit besser.
Nicht jeder Witz wird mit Lachen belohnt, manchmal schluckt man auch oder ist verdattert. Wann haben Sie das letzte Mal gestutzt?
Baff war ich von einer Zahl, als ich für mein Buch recherchierte: Siebenunddreißig Prozent aller Gewerbegebiete in Deutschland werden von Bürgerinitiativen verhindert. Ein großer Teil der Bevölkerung hat sich vom Leistungs- und Fortschrittsgedanken verabschiedet, also nicht nur ideologisierte Freaks. Wir bremsen – das ist das Motto der Generation Lastenfahrrad. Bloß kein Risiko mehr eingehen! Ich habe gerade eine Doku über Gary Cooper gesehen. Da fiel der Begriff des Rugged Individualist, ein Menschentypus, der auf Eigenverantwortung und Unabhängigkeit setzt und staatliche Bevormundung ablehnt. Der Glaube, dass man es von sich aus schaffen kann, fehlt heute. Die sind alle in dieser bräsigen Konformität.
Beim Staunen sind wir schon tief drin in der katholischen Tradition. Staunen ist der Weg zur Demut. „Wer staunt, erkennt, dass er nicht alles weiß“ heißt es bei Thomas von Aquin. Im Staunen erkennt er auch den Beginn der Philosophie. Bedarf es in unserer Gesellschaft wieder mehr dieses Staunens, um gute Vibes, pardon, Schwingungen zu erzielen?
Das Staunen und die Demut kenne ich ja aus der Wissenschaft. Da kommt man permanent an die Grenzen. Ein Ergebnis ist das Destillat von hunderttausend gescheiterten Theorien und wenn man etwas herausgefunden hat, ploppen sofort fünf andere Probleme auf und man ist wieder genauso doof wie vorher. Demut und das Wissen um das Nichtwissen kennen nicht nur gläubige Menschen, sondern auch Wissenschaftler. Uns fehlt es an Demut heutzutage – ich weiß aber nicht, wie man das wieder in die Leute reinkriegt.
Herr Ebert, am Schluss bittschön noch eine Superformel für Politiker. Wenn Sie die elektrische Schaltung Deutschlands optimieren könnten, was würden Sie empfehlen: Mehr Spannung oder mehr Widerstand – oder brauchen wir einfach bessere Sicherungen?
(lacht) Die Vernünftigen müssen mehr Widerstand leisten. Sicherungen haben wir in den letzten dreißig Jahren zu viele eingebaut. Ein guter Politiker ist einer, der zwei, drei vernünftige Rahmenbedingungen schafft und dann seinen Laden zusperrt und sagt, jetzt geh ich in die Kneipe. Wenn man Menschen lässt, dann sind sie erstaunlich fähig, Probleme zu lösen.
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