Medienkritik

Norbert Bolz: Medienpranger als Beichtstuhl

Wie die Medien mit Schuld umgehen, sei ästhetisch geschmacklos und theologisch beurteilt „Sündenstolz“, schreibt der Philosoph und Medienexperte.
soziale Medien
Foto: Yui Mok (PA Wire) | Wer seine eigene Schuld in den sozialen Medien bekennt wird mit Klicks belohnt.

Der Philosoph und Medienexperte Norbert Bolz macht sich im Feuilleton der „Tagespost“ Gedanken über den Umgang mit Schuld in den modernen Medien. „Über die Talkshows des Fernsehens wie über die Blogs des Internet ergießt sich der neue Exhibitionismus der Schuld“, schreibt Bolz. Das Intimste werde in die Öffentlichkeit gebracht. „Angefangen hat das wohl mit David Letterman, Tiger Woods und Bill Clinton, die ihre eheliche Untreue beichteten – und zwar vor einem Millionenpublikum. Ethisch beurteilt ist das Heuchelei, ästhetisch beurteilt ist es Geschmacklosigkeit, theologisch beurteilt ist es Sündenstolz.“

Das Schuldbekenntnis der Moderne

Dabei durchleuchtet der Wissenschaftler das Phänomen mit etwas Sarkasmus: „Einen Vorteil hat der Sünder am Medienpranger: Er wird von vielen angeblickt. Deshalb drängen sich heute viele Menschen auf den Schauplatz des Medientribunals, um sichtbar zu werden in ihrer Schande; denn das wirkt echt.“ So werde der Schauprozess gegen sich selbst zur ultimativen Form einer „authentischen“ Selbstdarstellung.

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Das öffentliche Schuldbekenntnis, analysiert Bolz, „soll die eigene Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen“. Es gehe dabei aber nicht um die Wahrheit, sondern um das bloße Gefühl der Wahrheit. Eine extreme Form des Kults um den Wert der Ehrlichkeit sei das politische Bußritual: „Man bekennt sich schuldig, man entschuldigt sich für XY. Der Medienpranger wird zum Beichtstuhl.“  DT/mee 

Professor Norbert Bolz über den medialen Umgang mit Schuld. Lesen Sie den ganzen Text in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

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