Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Global in Nürnberg

In der alten Reichsstadt wird Weltgeschichte illustriert

Das Germanische Nationalmuseum wirft einen Blick auf die Netzwerke der frühen Neuzeit. Glanz und Elend der Globalisierung werden gleichermaßen beleuchtet.  
Der Dürersaal im germanistischen Nationalmuseum. Hier findet die Ausstellung „Nürnberg global“ statt.
Foto: GNM, Georg Janßen | Der Dürersaal im germanistischen Nationalmuseum. Hier findet die Ausstellung „Nürnberg global“ statt.

Wer die Welt in einem Durchmesser von 51 Zentimetern gewissermaßen auf den Punkt gebracht betrachten will, ist bei dem im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg ausgestellten Globus von Martin Behaim an der richtigen Stelle. Im Auftrag des Nürnberger Rates unter Behaims Leitung von verschiedenen Handwerkern erstellt, sollte er sowohl das geographische Wissen seiner Zeit sichtbar machen als auch dem Fernweh ansprechende Ziele bieten. Der Globus kam als kunsthandwerklich-wissenschaftliches Objekt der Begierde schnell in Mode, der sogenannte “Schöner-Globus” von Hand des Pfarrers, Mathematikers, Astronomen, Kartographen und Kosmographen Johannes Schöner wurde zum Markenartikel. Er war zugleich Kunstwerk und Wissensspeicher seiner Zeit.

Der Zimtbaum mit kleinem Äffchen aus dem Öllinger Pflanzenbuch von 1553.
Foto: dpa | Der Zimtbaum mit kleinem Äffchen aus dem Öllinger Pflanzenbuch von 1553.

Globalisierung ist, wie man an dem Ende des 15. Jahrhunderts in dunkelgrün und leuchtendem Gelb farbenprächtig gestalteten Erdapfel sehen kann, nicht nur ein Phänomen unserer Zeit. Denn schon die Menschen in der Antike, im Mittelalter und der frühen Neuzeit waren international vernetzt. In Nürnberg kann man die Motive für und die Auswirkung der globalen Kontakte nun wie in einem Brennglas studieren. Denn die neue, faszinierende und aussagekräftige Ausstellung „Nürnberg GLOBAL 1300-1600“ ermöglicht den Besuchern einen Blick auf die Zusammenhänge, aber auch die Widersprüche, die sich aus dem Netzwerk der Handelsbeziehungen und der politischen oder aus religiösen wie kulturellen Motiven geknüpften Kontakte ergaben.

Weltbilder: Mekka und Jerusalem

Eindrucksvoll sichtbar werden die ganz unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bei einem Blick auf die Karten. Wurden sie von einem Christen gezeichnet, steht Jerusalem im Zentrum der bekannten Welt. Entstand sie in einem muslimischen Skriptorium, fällt der Blick an dieser Stelle auf Mekka. Immer sind es die jeweils gesetzten Axiome und die persönlichen Sichtweisen, die das Weltbild bestimmen. So geht der Behaim-Globus von der europäischen Perspektive aus. Zugleich macht er deutlich, dass das christliche Weltbild seine Dominanz zu diesem Zeitpunkt bereits verloren hat. Denn die Welt ist auf diesem Globus nicht mehr als Pilgerweg zu sehen, der von der Sintflut über Bethlehem und Jerusalem bis zum Jüngsten Gericht verläuft. Er zeigt die Erde vielmehr auch als Handelsplatz für weltweit verfügbar gemachte Ressourcen und wird so zu einem Zeugnis für den Wandel von einem überwiegend spirituell-religiösen zu einem merkantil-kapitalistischen Weltverständnis.

Die den vernetzten Welten gewidmete Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums ist Teil des Themenjahres „Global“, in dem Objekte globaler Relevanz aus allen Sammlungsbereich zusammengeführt werden, um die Komplexität der Globalisierung über die Zeiten hinweg und in konkreten geografischen Räumen zur Diskussion zu stellen. Manche Exponate, wie die als Zahlungsmittel im Versklavungshandel eingesetzten und eigens für diesen Zweck genutzten Armreife haben ihre eigene, facettenreiche Geschichte. Hier geht es auch um die Macht der Worte, die zu beachten Teil einer globalen Ethik ist und die die Ausstellungsmacher in der Offenlegung des Wandels der Begriffe - in diesem Fall von „Primitivgeld“ zu „Manillen“ - verdeutlichen. Dass der heute im Ethnobereich allgegenwärtige, als typisch afrikanisch wahrgenommene Schmuck eine eigene, menschenverachtende Geschichte hat, ist ein wichtiges Stück Aufklärungsarbeit und macht bewusst, dass Reflexion und historische Forschung wesentlich zu einem respektvollen Miteinander dazugehören.

Die Ausstellung mit ihren zahlreichen Exponaten aus den Beständen des GNM und den hochkarätigen Leihgaben wie etwa dem Prachtexemplar des reich mit Ultramarin kolorierten 1524 in Nürnberg gedruckten Plans von Tenochitlán, der aus der Österreichischen Nationalbibliothek entliehen wurde, oder den Zeugnissen der frühen Rezeption Albrecht Dürers durch Künstler in Südasien öffnet die Augen und weitet den Blick. Und das gilt nicht nur für die in ihren vielen Facetten porträtierte Stadt Nürnberg, deren führende Stellung auf den Gebieten Kunst, Handel und Ökonomie deutlich wird. Die hier sichtbar gemachten Netzwerke zwischen West und Ost, die sich über die Alpen bis ins Heilige Land und über die Iberische Halbinsel bis nach Amerika erstreckten sind ebenso faszinierend wie die ambivalente Nachbarschaft, die Nürnberg mit dem Osmanischen Reich verband.

Schattenseiten der Globalisierung

Faszinierend sind die globalen Netzwerke mit ihren kulturellen Verflechtungen, in denen die Wege der Künstler, Pilger, Gelehrten und Diplomaten über Ländergrenzen hinweg verwoben waren. Die Ausstellungsmacher verschweigen dabei nicht die Schattenseiten der Globalisierung Nürnbergs zwischen 1300 und 1600. Denn auch in der frühen Neuzeit ging es bereits um Machtstrukturen, die keineswegs immer zum Wohle der Menschen eingesetzt wurden, es ging um Waffenkäufe und Sklavenhandel. Menschenrechtsverletzungen vielfältiger Art gehörten dazu, den modernen Begriff dazu und das heutige Denken darüber waren noch nicht vorhanden.

Die Tomatenpflanze war damals noch kein Balkongewächs, ihre Früchte gehörten nicht zur Alltagsküche. Abbildung aus dem Öllinger Pflanzenbuch von 1553.
Foto: dpa | Die Tomatenpflanze war damals noch kein Balkongewächs, ihre Früchte gehörten nicht zur Alltagsküche. Abbildung aus dem Öllinger Pflanzenbuch von 1553.

Das Germanische Nationalmuseum trägt nicht nur durch die ausgezeichnete Kuratierung und die sorgfältige Zusammenstellung der vielfältigen Exponate zu einer nachdenklich machenden Erfahrung bei. Die Ausstellung ist auch von der Ausstellungsarchitektur beeindruckend. Die Bewegung durch historische Räume gibt den Besuchern das Gefühl, die Geschichte der Globalisierung zu durchschreiten. Dieser vermittlungsintensive und zugleich unterhaltsame Zeitreiseeffekt vertieft die Reflexion und kann wesentlich zu einem offeneren Blick für die globalen Netzwerke unserer Tage, ihre Chancen, Risiken und ihre langfristigen Wirkungen beitragen.

Wer künftig in der Gemüseabteilung des Supermarkts unter verschiedenen Tomatensorten auswählt oder bei den Gewürzen die Zimtstangen für den Glühwein der bevorstehenden Adventszeit herausfischt, mag sich an die Ausstellung erinnern. Die Zöllinger-Farbtafeln mit den exotischen, roten Paradiesäpfeln und dem kräftigen Zimtbaum erzählen von einer Zeit, als diese botanischen Schätze noch keine bekannte Selbstverständlichkeit waren. Der empfehlenswerte Ausstellungs-Katalog von Benno Baumbauer, Marie-Therese Feist und Sven Jakstadt kostet 48 Euro.


Die Ausstellung ist noch bis zum 22. März 2026 zu sehen. Das Germanische Nationalmuseum ist von Dienstag bis Sonntag zwischen 10:00 und 18:00 Uhr, am Mittwoch bis 20:30 Uhr geöffnet. Führungen und Highlighttouren ermöglichen einen intensiveren Blick auf das Gesamte und ausgewählte Einzelstücke.

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