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Der Korruptionsskandal ist kein Dealbreaker

Wer sich jetzt enttäuscht von der Ukraine abwendet, weil er in Kiew das Bollwerk westlicher Rechtsstaatlichkeit sah, begeht einen Denkfehler. In Putins Krieg geht es nicht um Werte, sondern um materiale Macht.
Trump, Meloni, Merz, Macron in einer Reihe mit Präsident Selenskiy beim multilateralen Treffen im Weißen Haus.
Foto: IMAGO/Handout/White House (www.imago-images.de) | Trump, Meloni, Merz, Macron in einer Reihe mit Präsident Selenskiy beim multilateralen Treffen im Weißen Haus.

Historiker sind vielleicht zynisch, aber als Gedächtnis der Welt können sie nicht anders, als die Gegenwart unter dem Blickwinkel einer Vergangenheit zu betrachten, für die viele der Fortschritte der Moderne nur ein kurzes Augenzwinkern darstellen. Aus dieser Perspektive fällt auf, wie die westliche Haltung gegenüber dem Ukraine-Krieg rechts wie links wesentlich emotional und moralisch begründet wird: Auf der einen Seite diejenigen, welche in Pokrovsk wie vorher am Hindukusch die „westlichen Werte“ verteidigt sehen; auf der anderen die, welche in Russland den Verteidiger des konservativen Abendlands gegen alle Verschwörungstheorien der Welt ausmachen. 

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Beiden ist gemeinsam, dass sie einen schrecklichen Krieg, der vor unserer Haustür tobt, so betrachten, als ginge er Europa nur indirekt, gleichsam nur als Objekt, nicht als Subjekt der Geschichte an; je nachdem, ob man nun in Russland eine Bedrohung oder eine Befreiung des Kontinents wittert. Dass Europa in der Ukraine aber nicht nur „Werte“ zu finden hat, sondern auch ebenso legitime wie lebenswichtige Interessen, wird medial meist als „unfein“ unter den Tisch gekehrt; eine vielleicht moralisch durchaus zu lobende, aber nicht wirklich realistische Haltung, da sie entweder zu Hypokrisie oder gar zu Naivität und damit zu einer gewissen Verzerrung der öffentlichen Meinung führt, die für Europas Interessen kontraproduktiv ist. 

Wächst Moskaus Macht weiter? 

Denn wie auch immer man sich in diesem Krieg „wertemäßig“ aufstellen mag, stellt man letzten Endes vor allem die moralisch vielleicht platte, aber welthistorisch einzig entscheidende Frage, inwieweit die beträchtlichen Ressourcen des riesigen Lands am Dnjepr – man denke nur an die Getreideproduktion, die seltenen Erden und den Bergbau, ganz zu schweigen von einer kriegserfahrenen Bevölkerung – nun den Einfluss des russischen „Mir“ wesentlich erweitern und entsprechend Moskau in allen künftigen Interaktionen mit der EU stärken, oder im Gegenteil die Rolle Europas als eigenständiger Großmacht zwischen den anderen multipolaren Weltmächten festigen werden. 

Freilich: Man mag kurzfristig und sogar aus teils guten Gründen die heutige EU aufgrund ihrer ideologischen Einseitigkeit ablehnen; dies darf aber nicht dazu führen, die langfristigen Interessen unseres geopolitischen Lebensraums zu opfern, ebenso wenig, wie ein echter Patriot die Interessen der eigenen Heimat nur aufgrund einer vorübergehenden Regierung sabotieren würde. Konflikte zwischen Großreichen werden zwar nicht nur, aber doch vor allem aufgrund von handfesten materiellen und nicht ideologischen Interessen geführt, und daher mag, wer heute Russland eine neuerliche imperiale Ausdehnung zugesteht, nur weil ihm Ursula von der Leyen nicht gefällt, sich morgen übel wundern, wenn dasselbe Russland seine strategische Vormachtstellung auch gegenüber einer in der Zwischenzeit möglicherweise konservativ gewordenen EU ausspielt. 

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