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Fastenzeit im Christentum: Warum fasten?

In der Österlichen Bußzeit besinnen sich Christen auf das Wesentliche: Ihr Inneres. Der Verzicht auf bestimmte Nahrungs- oder Genussmittel oder das Einschränken von Lebensgewohnheiten ist dabei nur Mittel zum Zweck.
Fastenzeit im Christentum
| Fastenzeit im Christentum.

Fasten spielt als Technik der Besinnung auf das Wesentliche nicht nur im Christentum, sondern in allen großen Religionen eine rituelle Rolle. Bekannt sind der islamische Ramadan (Fasten als eine der fünf Säulen des Glaubens), das jüdische Fest Jom Kippur (Fasten als dankbare Erinnerung an den Versöhnungstag, an dem der Priester im Heiligtum für die Sünden des ganzen Volkes sühnte, Lev 16, 29–31) oder auch die Rede vom Nutzen des Fastens im Buddhismus (Fasten als Beitrag zu einem ungetrübten Geist).

Die Bibel ist voller Begebenheiten, die den Wert des Fastens ausdrücken. Dabei geht es insbesondere um Buße und Befreiung von Schuld und Sünde. So versuchen die Einwohner der Stadt Ninive ihrem Untergangsschicksal durch „Fasten und Buße“ zu entgehen: „Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und ließen ein Fasten ausrufen und zogen alle, groß und klein, den Sack zur Buße an“ (Jon 3, 5). Ferner ist das Fasten damit auf die Beschwichtigung Gottes gerichtet – als Alternative zum Opfer. An anderer Stelle wird diese Intention noch deutlicher: „Dann rief ich dort am Fluss bei Ahawa ein Fasten aus; so wollten wir uns vor unserem Gott beugen und von ihm eine glückliche Reise erbitten für uns, unsere Familien und die ganze Habe“ (Esr 8, 21). Man erwartet sich von Gott etwas, wenn man fastet, Missverständnisse eingeschlossen (Jes 58, 3–11).

Gefahren des Fastens

Auch auf die Gefahren und Unannehmlichkeiten des Fastens wird verwiesen. In den Psalmen heißt es einmal „Ich nahm mich durch Fasten in Zucht, doch es brachte mir Schmach und Schande“ (Ps 69, 11) und an anderer Stelle: „Mir wanken die Knie vom Fasten, mein Leib nimmt ab und wird mager“ (Ps 109, 24). Entscheidend für die Tradition des Fastens in der christlichen Kirche ist jedoch, dass Jesus Christus selbst 40 Tage in die Wüste ging, um sich fastend auf seine Mission vorzubereiten (Mt 4, 1-11). Hier ist der Bezug zum Alten Bund erkennbar, denn die Israeliten zogen nach der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei auf dem Weg in das verheißene Land 40 Jahre durch die Wüste.

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Viele Heilige, die sich in die Nachfolge Christi begeben haben, stellten das Fasten in den Mittelpunkt ihrer Berufung, etwa Hildegard von Bingen oder Franz von Assisi. In einem Brief an die heilige Klara formuliert Franziskus Grundsätze des Fastens. Der Brief selber ist leider nicht erhalten, doch schreibt die heilige Klara von Assisi an die selige Agnes von Prag über diesen Brief. Daraus lässt sich ableiten, dass Franz von Assisi den gesunden Schwestern riet, das ganze Jahr hindurch zu fasten – außer an Sonntagen und an Weihnachten.

Fasten, um die Welt zu retten

Heute erreicht die Verzichtskultur zudem den Status einer Modeerscheinung, die getragen wird von Gesundheitstrend, Schlankheitswahn und dem Wunsch nach Aufbruch und Befreiung, dessen Erfüllung man sich für Körper und Seele gleichermaßen erhofft. Für viele Menschen, die heute fasten, überwiegt dieser Aspekt des Verzichtens und der damit verbundenen positiven Folgen für das Befinden. Das ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Schon Hippokrates hat das Fasten aus gesundheitlichen Gründen empfohlen: „Wer stark, gesund und jung bleiben und seine Lebenszeit verlängern will, der sei mäßig in allem, atme reine Luft, treibe täglich Hautpflege und Körperübung, halte den Kopf kalt, die Füße warm und heile ein kleines Weh eher durch Fasten als durch Arzneien.“ Fasten, um sich zu retten.

„Ich nahm mich durch Fasten in Zucht, doch es brachte mir Schmach und Schande“
(Ps 69, 11) 

Angesichts der düsteren Prognosen zum Klimawandel fordern immer mehr Menschen – auch solche, von denen man es kaum erwartet – einen weitreichenden Verzicht auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens: Verzicht auf das Auto, Verzicht auf Fleisch. Oder gar auf tierische Produkte insgesamt. Fasten, um die Welt zu retten.

Also: Auch wenn man den religiösen Motivationen nicht folgt und insoweit nicht schon im Fasten selbst den Grund erkennt, so hat das Fasten schon als Verzichtsübung im Hinblick auf die Buße, Umkehr und Neuorientierung zwei entscheidende säkulare Aspekte: Solidarität und Freiheit.

Fasten aus Solidarität

Zum einen ist das Gefühl der Solidarität mit denen, die nicht freiwillig entsagen, sondern einfach nicht genug haben von dem, auf das wir verzichten, ein bestimmendes Moment des Fastens. Aus der Verbundenheit im Verzicht erwächst die tätige Hilfe, nicht nur in der Anteilnahme an der Not des Mitmenschen, sondern im Teilen des Materiellen, so dass die Not gelindert werden kann. Hier wirkt sich das Fasten ganz konkret aus, in der Welt.

Diese Solidarität ist zunächst ein Akt des Einzelnen, der aus dem persönlichen Verzicht heraus zum Teilen befähigt wird. Aus der individualistischen Fastenlehre hat sich jedoch auch eine christliche Konsumethik entwickelt, die sich nicht nur positiv auf das körperliche Befinden und das Seelenheil dessen auswirkt, der sich ihr verschreibt, sondern die auch systematisch gesellschaftliche Veränderung herbeiführen kann. So ist es nach Max Weber („Askese und kapitalistischer Geist“) ironischerweise gerade diese innerweltliche Askese, die eine große historische Rolle bei der Schaffung des modernen Wohlstandes gespielt hat. Ein bescheidener Lebenswandel, die Bereitschaft zum Reinvestieren von Gewinn und der Wille zum Lernen prägten eine Ausrichtung auf die diesseitige Welt, in der das verantwortliche Ausüben weltlicher Aufgaben mit Blick auf das Jenseitige und Ewige idealisiert wurde; Gott als letzter Zweck, auch der Wirtschaft.

Kern der Unternehmer-Askese ist bei Max Weber der Gedanke, nicht um des möglichen Genusses, sondern um der Ehre Gottes willen fleißig zu sein und reich zu werden: „Das sittlich wirklich Verwerfliche ist nämlich das Ausruhen auf dem Besitz, der Genuss des Reichtums mit seiner Konsequenz von Müßigkeit und Fleischeslust, vor allem von Ablenkung von dem Streben nach ,heiligem‘ Leben. Und nur weil der Besitz die Gefahr dieses Ausruhens mit sich bringt, ist er bedenklich. [...] Der Reichtum ist eben nur als Versuchung zu faulem Ausruhen und sündlichem Lebensgenuss bedenklich und das Streben danach nur dann, wenn es geschieht, um später sorglos und lustig leben zu können. Als Ausübung der Berufspflicht aber ist es sittlich nicht nur gestattet, sondern geradezu geboten.“

Fasten für mehr Freiheit

Zum anderen ist da die Idee der Freiheit, die das Fasten motiviert. Doch was hat Verzicht mit Freiheit zu tun? Eine Antwort lautet: So wie uns der Zwang zum Konsum, dem wir häufig unterliegen, die echte Freiheit raubt und uns nur die Spur einer Scheinfreiheit lässt, so kann uns umgekehrt der Verzicht auf Konsum die Freiheit zurückgeben. Es ist die Freiheit, etwas nicht zu haben, nicht haben zu müssen. Wer gelernt hat, dass der Konsumzwang einengt und der Verzicht befreit, wird sich weniger schwer tun zu teilen als der, der diese Erfahrung nicht hat machen können. Das wiederum hat eine Rückwirkung auf die Bereitschaft zur Solidarität. Das Unverständnis gegenüber der Radikalität vieler Heiliger ist ein wenig auch der mangelnden Erfahrung geschuldet, wie viel Freude es macht und wie befreiend es wirkt, auf die äußeren Vergnügungen und Lebensinhalte wie Reichtum, Ruhm und Karriere zu verzichten und sich ganz Gott und dem Mitmenschen zuzuwenden.

Die Komplexität des Fastens schildert eine Stelle aus dem Buch Jesaja, in dem die beiden Aspekte Solidarität und Freiheit eine zentrale Bedeutung haben (Jes 58, 3–11): „das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen“. Der Verzicht führt demnach nicht nur zur Befreiung des eigenen Körpers („deine Wunden werden schnell vernarben“) und der eigenen Seele („Wenn du dann rufst, wird der Herr dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: Hier bin ich.“), sondern hat auch angenehme Folgen für die gesellschaftliche Wohlfahrt: der Hungrige wird satt, der Nackte bekleidet und der Obdachlose erhält eine Unterkunft.

Ein bisschen einfach, oder? Was hat schon mein Verzicht mit der Lage des Anderen zu tun? Bei näherer Betrachtung: eine ganze Menge. Das erschließt sich heute insbesondere mit dem Blick auf diejenigen, die unsere Konsumartikel unter unmenschlichen Bedingungen herstellen, die für unsere Billigpreise bezahlen – mit Arbeitszeit, Lebensqualität und Würde.

Kurz gefasst

Fasten spielt nicht nur im Christentum, sondern in allen großen Religionen eine Rolle. Doch ist das Fasten heute längst nicht mehr an religiöse Intentionen wie dem Streben nach Heiligkeit gebunden, sondern steht als populäre Alltagsauszeit zwischen Gesundheitstrend, Schlankheitswahn und dem Befreiungsakt, den man sich für Körper und Seele erhofft. Fasten ist dabei stets Einübung in Solidarität und Freiheit. Konsumverzicht kann heute eine Form des gottgefälligen Fastens nach Jes 58 sein.

 

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