Was ist der Beweggrund, was steckt hinter dem eigentlich wahnsinnigen Trieb des Menschen, Maler und Poet zu sein, wenn nicht ein Akt der Auflehnung gegen den Sündenfall und der Wille, den adamitischen Zustand im Garten Eden wiederzuerlangen?“ (Barnett Newman, 1947)
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg wurde über die Krise der Zivilisation geklagt, deren Ende man ab den 1940-er Jahren erst recht herannahen sah. Als die USA 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintraten, wollten sie laut Präsident Roosevelt damit nicht nur politisch Verbündete vor dem Totalitarismus bewahren, sondern auch die europäische Zivilisation vor „einem Kult brutaler Tyrannei“ retten. In den Jahren des Kalten Kriegs kulminierte der Kampf, der nun zwischen drei ideologischen Leitbildern ausgetragen wurde: dem des alten Europa, dem der Sowjetunion und dem der USA. Winston Churchill warnte erstmals in einer Rede im März 1946 davor, dass „die kommunistischen Parteien oder fünften Kolonnen eine wachsende Herausforderung und Bedrohung für die christliche Zivilisationdarstellen“. Das war der politische Rahmen, in dem sich die bildenden Künste der Nachkriegszeit befanden – ein ideologisch umkämpftes Terrain, in erster Linie für Kritiker, politische Kommentatoren und staatliche Institutionen.
Ein Neubeginn ohne Vergangenheit
Die europäischen, vor allem die deutschen Künstler waren jahrelang von internationalen Kontakten ausgeschlossen gewesen, aktuelle Ausstellungen gab es im zerstörten Deutschland zunächst kaum. Frankreich, Großbritannien und die USA erkannten schon bald die Bedeutung von Kulturangeboten zur Umerziehung. In den ersten Nachkriegsjahren waren es die Amerika-Häuser und der British Council, die Ausstellungen organisierten und so dem kulturellen Einfluss der Sowjetunion entgegensteuerten.
Nelson Rockefeller rief im Museum of Modern Art (MoMA) das International Program ins Leben, das er als eine Art Marshallplan für die Kultur verstand. Das dazugehörige Aufsichtsorgan, der International Council, hatte die Aufgabe, das kulturelle Ansehen der USA zu fördern und Ausstellungen amerikanischer Künstler nach Europa zu schicken. Auch die CIA finanzierte insgeheim Kunstzeitschriften in Europa, die mediale Wirksamkeit bei der politischen Einflussnahme hatte man dort früh erkannt. Das ist der Hintergrund, vor dem „Die Form der Freiheit“ im Museum Barberini zu sehen ist.
Viele Künstler mit jüdisch-europäischen Wurzeln
Zum ersten Mal wird der transatlantische Dialog zwischen „Abstraktem Expressionismus“ der USA (mit Künstlern wie Jackson Pollock, Lee Krasner, Barnett Newman, Mark Rothko, Willem de Kooning, Joan Mitchell und Sam Francis) und „Informel“ – wie die nichtgegenständliche europäische Malerei der Nachkriegszeit mit Zentrum in Paris bezeichnet wurde und zu der Wols, Antoní Tàpies, Pierre Soulages, Maria Lassnig und Emilio Vedova gezählt werden – dargestellt. Dass diese beiden wichtigsten Strömungen der Nachkriegszeit keineswegs so unbeeinflusst voneinander waren, wie oft behauptet wird, verdeutlicht die Potsdamer Ausstellung. Etliche der in Amerika arbeitenden Künstler hatten jüdisch-europäische Wurzeln, viele hatten über den Surrealismus zur Abstraktion gefunden.
Mit Ende des Krieges 1945 war die figürliche Kunst im Westen diskreditiert. Zu sehr hatte sie sich vor den jeweiligen ideologischen Karren von Faschismus und Kommunismus spannen lassen. Neue Formen sollten den bisherigen Rahmen sprengen und Freiheit, Individualität, eine Hinwendung zum Geistigen und zur Transzendenz ausdrücken.
Ein Neubeginn, losgelöst von der Vergangenheit, sollte es sein, wie es der französische Existenzialismus formulierte: „Die Vergangenheit existierte nicht. Überhaupt nicht. Weder in den Dingen noch in meinem Denken.“ (Jean Paul Sartre: „Der Ekel“, 1938).
Alle Aspekte des Themas sind sinnlich erfahrbar
Bewegt man sich durch die großartig gestalteten Ausstellungsräume, verschwimmt der Unterschied zwischen Amerika und Europa. Neue Maltechniken gab es auf beiden Seiten des Atlantiks; in Paris hatten bereits die Surrealisten ein semiautomatisches Verfahren entwickelt, um eine unmittelbare dynamische Malerei zu gestalten, die amerikanischen Künstler des „Action Painting“ ließen sich davon inspirieren.
In zehn „Kapiteln“ wird der Besucher durch alle Aspekte der Thematik geleitet, die vom Kurator Daniel Zamani auch sinnlich erfahrbar wahrzunehmen ist. Vom „Abstrakten Expressionismus“ über das „Action Painting“, dessen Anhänger sich häufig vom „kollektiven Unbewussten“ C.G. Jungs tragen ließen; die Farbfeldmalerei Mark Rothkos und Barnett Newmans bis zum „Staining Prozess“, eines von Helen Frankenthaler entwickelten Farbgebungs-Verfahren, das die Elemente von Action Painting und Farbfeldmalerei zusammenbringt; die Kapitel „westdeutsche Nachkriegsabstraktion“ (als Gegenprogramm zum sozialistischen Realismus in der DDR) bis zu „Farbe oder Form?“ beleuchten zahlreiche Aspekte des Themas ausführlich.
Die „Befreiung“ der Farbe von der Form
Die „Nichtexistenz“ der Vergangenheit ist natürlich eine Schimäre. Auch und gerade der Kunstschaffende wird von der Vergangenheit geprägt. Der Raum „Auf den Spuren Monets. Abstrakter Impressionismus“ zeigt Werke von Joan Mitchell und Sam Francis, die beide viele Jahre in Frankreich gelebt haben und von Monets Seerosen fasziniert waren. Die Befreiung der Farbe von der Form war bereits in der französischen Landschaftsmalerei des späten 19. Jahrhunderts ein Thema. Bei Mitchell und Francis beginnt die abstrakte Malerei nicht bei null – die Seerosen fließen erkennbar in ihre Werke ein.
Im Kapitel „Die westdeutsche Nachkriegsabstraktion“ finden sich drei der farbexplosiven und doch zarten Gemälde von Ernst Wilhelm Nay, die allein schon einen Besuch der Ausstellung wert sind.
Unter den 52 Künstlern finden sich neben den „Stars“ der 1950-er Jahre (Antonio Sauras „Kreuzigung“ ist zu sehen) aber auch Unbekanntere wie Janet Sobel, Hedda Sterne, Jean Degottex und Jack Tworkov, die es neu zu entdecken gilt – stehen sie doch auf Augenhöhe im Raum mit den prominenten Malern.
Der Katalog ist empfehlenswert
Es ist allerdings sinnvoll, sich vorab ein wenig mit den künstlerischen Nachkriegsjahren zu beschäftigen, damit sich die Werke dem Betrachter erschließen und nicht nur als kraftvolle Farb- und Liniengebilde erscheinen („Eva“ und „Adam“ als Farbfelder von Barnett Newman). Freie Assoziationen sind möglich und faszinierend, hier drückt sich aber auch eine ganze, von den Zeitumständen gequälte Künstlergeneration aus und möchte verstanden werden.
Zur Vertiefung sei der ausführliche Katalog empfohlen, den der Kurator Daniel Zermani mit großem Sachverstand und eigenen Texten erstellt hat, eingeleitet durch einen ausgezeichneten Essay von Jeremy Lewison, mit einer Chronologie und Äußerungen von Künstlern der Nachkriegszeit im Anhang.
– Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion ab 1945, noch bis zum 25. September 2022.
Museum Barberini, Humboldtstr. 5–6, 14467 Potsdam.
– Katalog: Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945.
200 farbige Abbildungen. Herausgegeben von Ortrud Westheider,
Michael Philipp, Daniel Zamani. Prestel Verlag, 256 Seiten, 42,– Euro im Buchhandel,
in der Ausstellung 34,– Euro
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