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Die Anwältin des Lebens

Umfangreich und umfassend begleitet „Die Tagespost“ seit Jahrzehnten bioethische Streitfragen und Debatten, liefert verlässliche Information und sorgt für solide Orientierung. Warum eigentlich? Von Stefan Rehder
Genetic engineering. Scientific innovative  research cloning
Foto: (50679218) | SONY DSC

Wenn Zeitungen ein Herz haben, schlug das der „Tagespost“ stets im gleichen Takt wie das Herz der Kirche. Was diese lehrte, verpflichtete auch die Zeitung:

„Der Mensch ist zu einer Lebensfülle berufen, die weit über die Dimension seiner irdischen Existenz hinausgeht, da sie in der Teilhabe am Leben Gottes selber besteht. Die Erhabenheit dieser übernatürlichen Berufung enthüllt die Größe und Kostbarkeit des menschlichen Lebens auch in seinem zeitlich-irdischen Stadium. Denn das Leben in der Zeit ist Grundvoraussetzung, Einstiegsmoment und integraler Bestandteil des gesamten einheitlichen Lebensprozesses des menschlichen Seins.“

„Selbst in Schwierigkeiten und Unsicherheiten vermag jeder Mensch, der in ehrlicher Weise für die Wahrheit und das Gute offen ist, im Licht der Vernunft und nicht ohne den geheimnisvollen Einfluß der Gnade ihm ins Herz geschriebenen Naturgesetz (vgl. Röm 2, 14-15) den heiligen Wert des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick bis zu seinem Ende zu erkennen und das Recht jedes Menschen zu bejahen, daß dieses sein wichtigstes Gut in höchstem Maße geachtet werde. Auf der Anerkennung dieses Rechtes beruht das menschliche Zusammenleben und das politische Gemeinwesen.“

„,Der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt‘ (Gaudium et Spes, Nr. 27). Denn in diesem Heilsereignis offenbart sich der Menschheit nicht nur die unendliche Liebe Gottes, der ,die Welt so sehr geliebt (hat), daß er seinen einzigen Sohn hingab‘ (Joh 3,16), sondern auch der unvergleichliche Wert jeder menschlichen Person.“

„Jeder Mensch ist auf Grund des Geheimnisses vom fleischgewordenen Wort Gottes (vgl. Joh 1,14) der mütterlichen Sorge der Kirche anvertraut. Darum muß jede Bedrohung der Würde und des Lebens des Menschen eine Reaktion im Herzen der Kirche auslösen, sie muß sie im Zentrum ihres Glaubens an die erlösende Menschwerdung des Gottessohnes treffen, sie muß sie miteinbeziehen in ihren Auftrag, in der ganzen Welt und allen Geschöpfen das Evangelium vom Leben zu verkünden.“

Die zitierten Passagen finden sich in der Einführung der Enzyklika „Evangelium vitae“, mit der sich der heilige Papst Johannes Paul II. am 25. März, dem Hochfest der Verkündigung des Herrn, 1995 an „alle Menschen guten Willens“ wandte. Die „Frohbotschaft des Lebens“ über „den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“ bildet gewissermaßen auch die „Magna carta“ für die umfangreiche Berichterstattung der „Tagespost“ über biotechnologische Entwicklungen, bioethische Streitfragen und Debatten sowie über die in Gesetzen geronnene Biopolitik.

Bis zum Ende der 90er Jahre beschränkte sich diese vornehmlich auf Themen, die im Zusammenhang mit Abtreibung und Euthanasie standen. Erinnert werden kann hier etwa an die Verabschiedung der Fristenregelung im Jahr 1974, die 1975 vom Bundesverfassungsgericht – weil grundrechtswidrig – kassiert wurde und 1976 zur sogenannten Indikationsregelung führte. Ein Vorgang, der sich gewissermaßen wiederholte, als die Wiedervereinigung eine einheitliche Regelung der unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen erforderlich machte, die in West- und Ostdeutschland gegolten hatten. Damals verwarf, wenn auch aus anderen Gründen, das Bundesverfassungsgericht zunächst erneut die vom Gesetzgeber im Jahr zuvor gefundene Regelung und legte mit seinem Urteil vom 28. Mai 1993 den Grundstein für die vom Deutschen Bundestag am 21. August 1995 beschlossene Regelung, die nun eine Fristenregelung mit Beratungspflicht vorsah. Deren konkrete Gestalt führte letztlich zum Streit um den Beratungsschein (siehe Seite 20).

Auch den jahrelangen Zwist um die Zulassung der vom französischen Pharmahersteller Roussel-Ucalf entwickelten Abtreibungspille Mifegyne, vielen besser bekannt als RU 486, begleitete die „Tagespost“ vergleichsweise engmaschig. Nicht zu vergessen das Gesetzgebungsverfahren, das zu dem Anfang 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz führte, um das Deutschland – bevor es durch die Abkehr von der sogenannten Dreierregel ethisch entkernt wurde – im Ausland vielfach beneidet wurde. Die Vorarbeiten zu dem 1997 erlassenen Transplantationsgesetz entfachten eine auch in der „Tagespost“ ausgetragene Debatte darüber, ob der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt werden könne. Eine, die seitdem immer wieder aufkeimt und an der sich bis heute auch Geister scheiden, zwischen die in anderen Lebensrechtsfragen kein Blatt Papier passt.

Eine Zäsur, die auch die Gestalt solcher öffentlich ausgetragenen Debatten veränderte, markierte die Geburt des Klonschafes „Dolly“. Von der erfuhr die Öffentlichkeit, obgleich sie bereits am 5. Juli 1996 in einem Stall bei Edinburgh erfolgt war, nämlich erst ein halbes Jahr später durch einen Artikel, den seine Schöpfer im Wissenschaftsmagazin „Nature“ am 27. Februar 1997 veröffentlichten. Am selben Tag konstatierte die „Tagespost“ unter der Überschrift „Der Klonbau zu Edinburgh“, britische Wissenschaftler hätten „die magische Grenze, die bisher zwischen Wirklichkeit und Science-Fiction lag, überschritten“ und einen „Damm gebrochen“, von dem noch nicht klar sei, „vor welchen Flutwellen er uns bislang verschonte“.

Der nachfolgende Wettlauf, in dem sich Forscher überall auf der Welt beim Klonen zahlreicher Säugetierarten mittels der bei Dolly zum Einsatz gekommenen Methode des somatischen Zellkerntransfers zu übertreffen suchten und die nach Ansicht vieler damals auch das Klonen von Menschen in greifbare Nähe rückte, wirkte wie ein Katalysator. Einer, der – wie der mediale Hype, mit dem beinah jede neue Fingerübung der Biobastler so kritiklos wie überdimensioniert als wissenschaftlicher „Durchbruch“ gefeiert wurde – der schwindenden Ehrfurcht vor der Schöpfung und dem Menschen als ihrer „Krone“ schweren Schaden zufügte.

Und noch etwas war anders geworden. Die Wissenschaftler verließen – nicht selten gedrängt von der Politik – ihre „Elfenbeintürme“. Sie beschränkten sich nicht länger darauf, in Labors zu forschen und ihr Wissen in Hörsälen weiterzugeben, sondern gründeten Firmen, schrieben Business-Pläne und begannen in Wertschöpfungsketten zu denken. Nach Ansicht der „Tagespost“ war das weitverbreitete Klischee, Naturwissenschaftler seien leicht zerstreute, ein wenig weltfremde, aber herzensgute Menschen, deren Leidenschaft für ihr Fachgebiet aus dem Drang nach Erkenntnis und der Sorge um das Allgemeinwohl gespeist werde, nicht mehr nur naiv, sondern angesichts der Gestaltungsmacht, die sie sich in den Biowissenschaften anzueignen begannen, auch gefährlich geworden.

Wie tödlich zeigte sich, als der Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle Ende 2002 damit begann, mit aus dem Ausland importierten embryonalen Stammzellen zu arbeiten. Aus diesen Zellen entwickeln sich im Laufe der embryonalen Entwicklung sämtliche Zell- und Gewebetypen des menschlichen Organismus. Gelänge es, den Entwicklungsprozess dieser Zellen auch im Labor ablaufen zu lassen und zu steuern – so die Idee der Forscher, die sich mit dem „Tissue Engineering“ befassten – wäre es möglich, unbegrenzt spezifisches Ersatzgewebe und sogar ganze Organe für den Reparaturbetrieb am Menschen zu züchten. Das Problem: Um die oft auch als „Alleskönner“ bezeichneten Zellen zu isolieren, mussten Embryonen, die ursprünglich für künstliche Befruchtungen erzeugt worden waren, getötet werden.

Ermöglicht wurde deutschen Forschern der Einstieg in die embryonenverbrauchende Forschung durch das „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen“, das der Deutsche Bundestag nach einer mehr als ein Jahr andauernden Debatte am 25. April 2002 verabschiedete. Das auch als „Lex Brüstle“ bezeichnete Gesetz erlaubte, embryonale Stammzellen zu importieren, wenn die Embryonen, denen sie entnommen wurden, im Ausland vor dem 1. Januar 2002 getötet worden waren und der Antragsteller „wissenschaftlich begründet darlegt“, dass die Arbeiten mit ihnen „hochrangigen Forschungszielen“ dienten. In der Lesart seiner Initiatoren handelte es sich um ein Regelwerk, das den Import grundsätzlich verbot und vermied, „dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen veranlasst wird“.

In Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall. „Tagespost“-Leser konnten sich bereits am Tag der Verabschiedung des Stammzellgesetzes davon überzeugen, dass dieses ein „Trojanisches Pferd“ war, mit welchem sich der Gesetzgeber „auf Treu und Glauben denjenigen auslieferte, die ein kommerzielles Interesse an der Ausfuhr embryonaler Stammzellen“ besaßen: „Weder der Zeitpunkt der tatsächlichen Etablierung von Stammzellstrukturen, noch zu welchem Zweck die Embryonen, aus denen diese isoliert werden, erzeugt wurden, noch unter welchen Umständen die Exporteure der Stammzelllinien das Verfügungsrecht über die Embryonen erlangen, wird sich zweifelsfrei klären lassen.“

Als „Anwältin des Lebens“ leuchtete die Berichterstattung der „Tagespost“ sämtliche relevanten Aspekte des neuen Forschungszweiges aus. Dazu zählte auch die andernorts lautstark beschwiegene Tatsache, dass embryonale Stammzellen außerhalb ihrer natürlichen Umgebung – also des intakten Embryos – Tumore ausbildeten. Und dies mit solcher Regelmäßigkeit, dass die „Diagnose Krebs“ in Tierversuchen von Forschern als Beweis dafür betrachtet wurde, dass dem Versuchstier auch tatsächlich embryonale Stammzellen verabreicht worden waren.

Den Rechtsstreit, den die Umweltschutz- organisation „Greenpeace“ 2002 gegen ein Patent Brüstles angestrengte und der in den folgenden Jahren bis zum Europäischen Gerichtshof führen sollte, begleitete die „Tagespost“ durch alle Instanzen. Mit dem Patent DE 197 56 864 C1, das später in wesentlichen Teilen für „nichtig“ erklärt werden sollte, hatte sich Brüstle bereits 1999 die exklusiven Verwertungsrechte an dem aus embryonalen Stammzellen gezüchtetem Gewebe zu sichern gesucht. Unter der Überschrift: „Wandlungsfähig wie eine Stammzelle“ widmete die „Tagespost“ dem Forscher-Chamäleon, das in kürzester Zeit vom Grundlagenforscher zum Geschäftsführer eines von Bund und Land üppig geförderten „Inkubators für Industriepartner und Start-ups“ mutierte, am 6. März 2003 ein auch die „Ethik des Heilens“ entlarvendes Porträt.

Aufmerksam begleitete die „Tagespost“ auch das jahrelange Ringen um eine Anti-Klon-Konvention der Vereinten Nationen und zeigte, nachdem ihr ein sogenanntes „non-paper“ zugespielt worden war, wie deutsche und französische Diplomaten das Mühen um eine internationale Ächtung des Klonens von Menschen erfolgreich hintertrieben.

Anteil nehmen konnten „Tagespost-Leser“ auch an dem kometenhaften Aufstieg und tiefen Fall des südkoreanischen Klonforschers Hwang Woo Suk. Der hatte 2004 mit der Behauptung, ihm sei es gelungen, aus geklonten menschlichen Embryonen embryonale Stammzellen zu isolieren, weltweit für Aufsehen gesorgt und eine Goldgräberstimmung entfacht. Als sich seine Publikationen als Fälschungen herauszustellen begannen, zeigte sich die Wissenschaftsgemeinde überrascht und entsetzt. Nicht so die „Tagespost“. Sie fragte am 20. Dezember 2005: „Warum sollte, wer Menschen klont und tötet, (...) eigentlich vor Lüge und Betrug zurückschrecken?“

Bei all dem und vielem anderem (Künstliche Befruchtungen, Präimplantationsdiagnostik, Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug bei Wachkoma-Patienten, et cetera), auf das hier nicht eigens eingegangen werden kann, bot die „Tagespost“ stets auch jenen ein Forum, die sich tatkräftig am Aufbau der von Johannes Paul II. gewünschten „Kultur des Lebens“ beteiligten: namhaften Klerikern, Lebensrechtlern, Politikern und Wissenschaftlern. Und auch in Zukunft wird die „Tagespost“ – gelegen oder ungelegen – auf „jede Bedrohung der Würde und des Lebens des Menschen“ reagieren und dabei auch weiterhin all jenen eine publizistische Plattform bieten, die auf die eine oder andere Weise das stets aktuell bleibende „Evangelium vom Leben“ verkünden.

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