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Der Kampf um Kunstfreiheit

Ästhetik spielt keine Rolle mehr. Darf es noch eine Kunst jenseits ihrer Politisierung geben? 
Freiheit oder Cancel Culture : Wie politisch muss Kunst am Ende sein?
Foto: via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Freiheit oder Cancel Culture - auch in der Kunst stellt sich diese Frage. Wie politisch muss Kunst am Ende sein?

Die Macht und die Freiheit der Kunst sind wieder ein großes Thema geworden. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat ihm eine ganze Seite gewidmet in einem Interview mit dem Markus Gabriel und Wolfgang Ulrich unter dem Titel „Die Kunst ist mächtiger denn je“. Gabriel ist Philosoph an der Universität Bonn, dem manch einer wegen seiner Ausrichtung des Realismus so viel Kredit geben mag, dass er ihn für mit dem Christentum kompatibel hält, auch wenn er dann auf der atheistischen Internetseite edge.org geschrieben hat. Und Ulrich ist unter anderem wegen seiner Auseinandersetzung aus politischen Gründen mit dem Künstler Neo Rauch öffentlichkeitswirksam bekannt geworden ist. 

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Autonomie der Kunst

Der „Zeit“ ist zuzustimmen, wenn sie das Interview mit dem Hinweis einleitet, es gehe heute beim Thema Kunstwelt um Politisierung, nicht mehr um ästhetische Fragen, sondern eher um Gender und Rassismus. Und Gabriel wie Ulrich stimmen genau in diesen Mainstream ein. Für Gabriel ist es klar, dass die Kunst an der „moralisch fortschrittlichen Gesellschaft“ andockt. Mache man aber nicht durch Politisierung die Autonomie der Kunst kaputt, fragt Gabriel, die Ulrich gar nicht für autonom hält, weil sie im Fluss der Interpretationen umgedeutet werden kann. Aber sind das wirklich Kriterien, sich der Kunst und den Geschmacksurteilen anzunähern? Was heißt hier Autonomie und was überhaupt Kunst? Und wer der Kunst mit Moralkategorien kommt, befindet sich leicht im Umkreis der Frühaufklärers Gottsched, der in seiner Regelpoetik forderte, dem Kunstwerk einen moralischen Lehrsatz voranzustellen und es danach zu konstruieren; der „Sterbende Cato“ war das Ergebnis. 

Sicher, der Künstler soll nicht tun dürfen, was seine Mitmenschen nicht dürfen. Autonomie der Kunst ist für Gabriel kein Sonderrecht. Das sind aber eher soziologische Beschreibungskategorien zur Kunstwelt, die nichts über Kunst und ihre Wirkmacht aussagen, wie die Überschrift doch ankündigt mit der Frage, warum Kunst mächtiger bleibt, als wir es sind, wie Gabriel meint.

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Der freiheitliche Skandal

Kunst ist aber auch noch auf einem anderen Schauplatz ein Thema. Die letzte 15. Documenta gab hierzu den Anstoß; in der Diskussion ging es um Politisierung, Antisemitismus und Rassismus, was eine breite mediale Diskussion auslöste. Inzwischen aber hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth den Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers beauftragt, mit einem Gutachten zur Kunstfreiheit Klarheit darüber zu schaffen, was künftig künstlerisch akzeptabel ist und wo die Kulturpolitik sofort einschreiten sollte. Roth wird das Gutachten bald vorstellen. Hierbei wird es aber auch wieder um die beteiligten Akteure gehen, um Künstler, Institutionen wie der Documenta oder Museen und Geldgeber.

Die F.A.Z. kennt schon die Schlusspointe des Gutachtens: „Die Freiheit der Kunst kann auch in Fällen rassistischer oder antisemitischer Tendenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vor staatlichen Zugriffen schützen. Das ist der freiheitliche Skandal der grundgesetzlichen Ordnung.“

In beiden Fällen der Diskussion um Kunst ist über diese schon eine modernistische Vorentscheidung gefallen. Kunst wird nur noch im Rahmen ihrer Politisierung begriffen, was zu dem Schluss verleitet, Kunst habe auch nur als politische ihr Recht. Gabriel hatte es auf den Begriff gebracht, dass für ihn Freiheit (des Künstlers) immer schon soziale Freiheit sei. Dann aber ist das Urteil, was noch Kunst sein darf, im Sinne des heutigen politisierenden Mainstreams gefällt.

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