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Frankreich diskutiert: Marode Kirchen verfallen lassen?

Der Vorschlag der französischen Ex-Kulturministerin, baufällige Gotteshäuser nicht mehr zu renovieren und damit dem Verfall preiszugeben, löst Fassungslosigkeit aus.
Französischer Journalist Stéphane Bern
Foto: IMAGO/Blanquart C/Andia.fr (www.imago-images.de) | In einem Interview mit dem Magazin „Famille chrétienne“ präzisiert Stéphane Bern seine Kritik an den Äußerungen von Roselyne Bachelot.

In der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ plädieren der Journalist Stéphane Bern, der sich für die Bewahrung des französischen Kulturerbes einsetzt, und der Archäologe und kommunistische Senator, Pierre Ouzoulias, für den Erhalt des religiösen Erbes Frankreichs. Anlass für ihren Gastbeitrag ist die Stellungnahme der Ex-Kulturministerin Roselyne Bachelot, die in ihrem gerade erschienenen Buch „682 jours, le bal des hypocrites“ ihren Nachfolgern „viel Mut“ wünscht, „um zu einer unüberlegten Rettung einer Kirche, die für das Kulturerben nicht von Interesse ist, Nein zu sagen“, auch wenn diese „emotional und symbolisch aufgeladen“ sei. In einem Interview zu diesem Thema erklärte Bachelot sodann, „dass es in Zukunft schwierig sein wird, bestimmte Kirchen zu retten – insbesondere das kultische Erbe des 19. Jahrhunderts, das von keinem großen Interesse ist“.

Erhalt von mehr als 3.000 Bauwerken unsicher

In ihrem Beitrag für den Figaro räumen Bern und Ouzoulias den schlechten Zustand zahlreicher französischer Gotteshäuser ein: „Das Observatoire du patrimoine religieux schätzt, dass die Erhaltung von 3.000 oder 4.000 religiösen Bauwerken, die nicht als historische Gebäude geschützt sind, in den nächsten zehn Jahren unsicher ist“. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichteten Kirchen mit Materialien, die in Bezug auf ihren Erhalt problematisch seien, wie etwa Zement, Eisen und Marmor, und die im Sinne heutiger ästhetischer Maßstäbe wenig geschätzt würden, seien am meisten bedroht. Dennoch sei es falsch, diese Kirchen dem Verfall preiszugeben, betonen die beiden Autoren.

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So ungleich ihre Herangehensweise auch sei, fänden sich beide doch in ihrem Kampf für den Erhalt der Kirchen mit Abbé Grégoire wieder, dem Bischof und Politiker zur Zeit der Französischen Revolution. Dieser verteidigte am 31. August 1793 vor dem Nationalkonvent einen Bericht gegen den Vandalismus, der die modernen Grundsätze zum Schutz des historischen Erbes formulierte.

So habe Abbé Grégoire mit Leidenschaft „den neuartigen Fanatismus“ gegen die Kunstwerke und gegen den Umsturz von Statuen verurteilt. Er meinte, dass die Denkmäler der Nation gehörten, da sie über deren Geschichte belehrten. Abbé Grégoire schloss mit den Worten: „Beschriften wir daher, wenn möglich, alle Denkmäler und schreiben wir diesen Satz in alle Herzen ein: ‚Die Barbaren und die Sklaven hassen die Wissenschaften und zerstören die Kunstdenkmäler: die freien Menschen lieben und erhalten sie‘“.

Folge der Entchristlichung des Landes

In einem Interview mit dem Magazin „Famille chrétienne“ präzisiert Stéphane Bern seine Kritik an den Äußerungen von Roselyne Bachelot. Seiner Meinung nach ist der schlechte Zustand der Kirchen „eine Folge der Entchristlichung unseres Landes“. In den Gemeinden wolle man das Geld lieber für andere Dinge als für die Renovierung maroder Kirchen ausgeben: „Die Einwohner möchten lieber, dass in ihrem Ort ein Fußballstadion gebaut wird, als dass an ihrer Kirche Bauarbeiten durchgeführt werden. Doch ich sehe nicht ein, warum man etliche Millionen Euro für die Erneuerung der Leitungen des Centre Pompidou ausgeben und nicht imstande sein sollte, ein paar Hunderttausende Euro für eine Kirche aufzutreiben.“ 

Das Thema betreffe im Übrigen nicht nur die Katholiken, führt Bern weiter aus. Es handle sich nicht nur um ein Problem des (katholischen) Kultes, sondern „noch mehr um ein kulturelles Problem. Die Kirche ist oftmals die Seele einer Ortschaft. Im Allgemeinen ist dies auch der erste Kontakt, den die Kinder zu dem Schönen haben und zu dem, was die Seele erheben kann, ob man nun katholisch ist oder nicht. Die Aufgabe oder die Zerstörung dieser heiligen Stätten würden uns dieser Erfahrung berauben“.

Eintritt für Gotteshäuser?

Als eine mögliche Lösung schlägt Bern vor, für den Besuch einer Kathedrale außerhalb der Gottesdienstzeiten Eintrittsgelder zu erheben. Obwohl diese Empfehlung bei vielen Menschen große Emotionen hervorrufe, sei dies in der Mehrzahl der großen Kathedralen Europas bereits der Fall, „und niemanden schockiert das. Die Städte haben oftmals nicht die Mittel, ihr religiöses Erbe zu unterhalten. Wir müssen ein kollektives Bewusstsein schaffen und gemeinsame Lösungen finden“. Schließlich repräsentiere jede einzelne unserer Kirchen „unsere Geschichte, unsere Zivilisation, unsere Orientierungspunkte“. Ihre Verteidigung sei eine „zivilisatorische Herausforderung“, unterstreicht Bern. Unsere heutige Gesellschaft sei „nicht durch eine Gefahr von außen bedroht, sondern durch unsere eigene Gleichgültigkeit! Ich kann es nicht ertragen, dass man eine Kirche niederreißt, und ich glaube, dass die Franzosen dieses Gefühl teilen. Jede zerstörte Kirche ist ein Eingeständnis des Versagens“.  DT/kks

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