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Der geschichtsträchtige Grund am Kahlenberg lädt zum Wandern ein

Der Weg von Klosterneuburg nach Wien führt über die Schlachtfelder der zweiten Türkenbelagerung.
Idyllischer Blick auf den Wiener Kahlenberg
Foto: Imago Images/Volker Preusser | Idyllischer Blick auf den Wiener Kahlenberg.

Wer, wie viele Wiener es am Wochenende gerne tun, vom Klosterneuburger Bahnhof aus die Anhöhe zum neunhundert Jahre alten Chorherrenstift aufsteigt, um sich an dessen Sammlungen oder auch am Rebensaft des ältesten Weinguts Österreichs zu erfreuen, kommt auf halber Höhe an einem schlicht–eleganten Brunnen vorbei, dessen Wasserspender ein Türke mit Turban ist.

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Harmlos plätschert das Wasser, doch erinnern soll es an schlimme Ereignisse im Sommer des Jahres 1683. Die Türken standen im Lande, zum zweiten Mal nach 1529, angeführt von Großwesir Kara Mustapha. Der kaiserliche Hof war am 7. Juli geflohen, Leopold I. hatte Ernst Rüdiger von Starhemberg als Militär-Kommandanten zurückgelassen. Seit dem 14. Juli war der Belagerungsring rund um Wien geschlossen. Die Beschießung der Stadt und unterirdische Minenangriffe brachten noch keinen Erfolg, so dass die Angreifer verschiedene Orte in der Umgebung Wiens zu erobern suchten, um ihre Moral zu stärken. Klosterneuburg, unter der Dynastie der Babenberger die frühmittelalterliche Hauptstadt Österreichs, war ab Mitte Juli Ziel erbitterter Angriffe. Wer aber eben jene ,Hundskehle‘ genannte Straße nach oben steigt, kann ermessen, dass auch hier die Türken kein leichtes Spiel hatten. Hoch hängt das Stift, das damals ausschließlich aus Renaissance–Bauten bestand, über einem. Ebenso wenig wie in der Residenzstadt kamen die Angreifer weiter, doch verdoppelten sie ihre Mühen: Klosterneuburg – eine römische Gründung wie Wien – liegt gleichsam als Riegel vor dem Kahlenberg, der nördlichsten und höchsten Anhöhe vor Wien. Dort kampierten schon die türkischen Truppen, aber der Nachschub konnte nur durch wenige enge Wege aus Richtung Klosterneuburg herbeigeschafft werden, so dass die Einnahme der Stadt die Position der Osmanen gestärkt hätte.

Im September erreichte der Kampf
um Klosterneuburg seinen Höhepunkt
und wuchs sich zur regelrechten Schlacht aus.

All das mag dem Wanderer von heute in den Sinn kommen, der mittlerweile den hübschen Rathaus–Platz erreicht hat. Von links grüßt die mächtige Kuppel des Stiftes, bekrönt mit der Krone das Hl. Römischen Reiches, das damals in so großer Gefahr schwebte. Auch die meisten Chorherren waren, unter Mitnahme des Archivs und der Reliquien, geflohen, doch ein Priester und ein Laienbruder harrten bei der Stadt–Bevölkerung aus. Letzterer, Marzelin Ortner, der in Friedenszeiten als Stiftsschreiner arbeitete, erwies sich nun als besonders fähiger Kämpfer, war ihm doch als Nicht-Priester das Führen eines Schwertes erlaubt. Im September erreichte der Kampf um Klosterneuburg seinen Höhepunkt und wuchs sich zur regelrechten Schlacht aus. Beiden Seiten war die strategische Bedeutung des Ortes nur zu bewusst, er bildete quasi den Schlüssel zu Wien.

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Im September schien es so, dass die Widerstandskraft der Eingeschlossenen ermattete. Die Unterstadt war schon eingenommen und weitgehend abgebrannt. Doch in letzter Sekunde wurde die Katastrophe abgewendet. 300 Dragoner unter Oberst Donath Heissler, dem bereits formierten Entsatzheer zugehörig, hatten als Ouvertüre ein türkisches Lager auf dem Kahlenberg – den der Wanderer in Klosterneuburgs Oberstadt schon mit Augen erblicken kann – überfallen. Die erbeuteten 248 Kamele trieben die Österreicher in die Babenberger-Stadt, wo sie als Proviant hoch willkommen waren. Die empörten Osmanen setzten sofort nach und so kam es am 8. September zum letzten Akt der Belagerung Klosterneuburgs, das nun von 5000 Feinden berannt wurde – aber standhielt. Die Tatsache, dass Klosterneuburg gehalten werden konnte, ermöglichte den kaiserlich-alliierten Truppen unter Jan III. Sobieski von Polen weiter zum Kahlenberg zu ziehen, um gleichsam von oben her den türkischen Belagerungsring um Wien aufzusprengen. Am 12. September zogen sich die geschlagenen Türken Richtung Ungarn zurück, drei Monate später wurde Kara Mustapha in Belgrad mit einer seidenen Schnur erdrosselt.

Chorherrentorte, Melange, Heurigen - ein weiter Weg

Der heutige Besucher Klosterneuburgs wird nun auch seinen Kragen gelockert haben, nachdem er im Stiftscafé – was jedenfalls zu empfehlen wäre – ein Stück Chorherrentorte samt Melange zu sich genommen hat. Er hat noch einen weiten Weg vor sich in Richtung Wien und muss zunächst entscheiden, ob er – immer in Richtung Kahlenberg gehend – in der Agnesstraße bei einem der zahlreichen Heurigen einkehrt, die auch die Wiener anziehen. Klosterneuburg ist eine uralte Winzerstadt und wie in Wien bieten die nach dem jungen, dem heurigen Wein benannten Gaststätten die Möglichkeit, einfache Mahlzeiten von reschen Weißweinen begleiten zu lassen. Es liegen doch noch zweieinhalb Kilometer vor ihm und ein Höhenunterschied von fast 300 Metern. Erst einmal geht der Wanderer weiter und orientiert sich am grün markierten sogenannten Josefsteig, der den Weg angibt. Repräsentative Villen aus der Kaiserzeit legen Zeugnis dafür ab, dass Klosterneuburg ab dem 19. Jahrhundert zu einem bevorzugten Vorort Wiens wurde, dass damals wie heute viele, die es sich leisten konnten, es vorzogen, in der Großstadt zu arbeiten und im Grünen zu wohnen. Sogar osteuropäische Oligarchen mit Hubschrauber-Landeplatz neben dem Haus gibt es mittlerweile. Von rechts grüßt das Weidlingtal; auf dem Friedhof der Klosterneuburger Teilgemeinde liegen der

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Dichter Nikolaus Lenau und der Diplomat und Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall begraben. Der Weg nach Wien führt jetzt zügig bergauf, die Häuser, die man noch sieht, werden immer neuzeitlicher, die Grundstücke aussichtsreicher. Der wiederholte Blick zurück lohnt, der ausgedehnte Komplex des Stiftes Klosterneuburg, dessen barocker Idealplan nur zu einem Viertel verwirklicht werden konnte, gibt immer neue Details preis. Egon Schiele ist nur einer der vielen Maler der Neuzeit, der sich diesem wohl österreichischsten Kloster des Landes widmete. Die Höhenstrasse, ein in der Zeit des Ständestaates zur Arbeitsbeschaffung vollendetes Projekt und mit 15 Kilometern die längste Wiener Gemeindestraße, will überquert werden. Hier laufen nun verschiedene Wanderwege zusammen. Der Wienerwald, der eine wichtige Erholungsfunktion für die immer weiterwachsende österreichische Hauptstadt hat, ist als östlichster Ausläufer der Nordalpen zu sehen, die hier – je nach Perspektive – an ihr Ende kommen oder beginnen. Zu Ende ist unsere Wanderung am großen Parkplatz am Kahlenberg, wo es als Belohnung einen atemberaubenden Blick auf Wien gibt. Die Wiener Linien – Beweis dafür, dass kommunal–geführte Verkehrsbetriebe pünktlich verkehren können – bringen einen dann weiter. Der erste Stadtteil Wiens, das pittoresk niedliche Kahlenbergerdorf, bietet wiederum Heurige, die stark frequentiert sind. Der Wanderer hat nun genug geleistet und mag bei einem Backhuhn und einem Viertel Gemischten Satz über die alten Zeiten nachdenken.

1000 Kaffeehäuser

Von den Kamelen des unglücklichen Kara Mustapha hat sich nur eines, ein schwarzes erhalten: Eines der ältesten Wiener Restaurants heißt so. Vielleicht hat das Kamel jenen Sack mit schwarzen Bohnen getragen, der nach der Belagerung liegen blieb und nach ein paar Experimenten zu einem Heißgetränk wurde, das den 1 000 Kaffeehäusern der Stadt den Namen gegeben hat.

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Urs Buhlmann Chorherrn Leopold I. Osmanen

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