Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Wissenschaft

Michael V. Dougherty befasst sich mit der Plagiatskrise

Der Philosoph und Plagiatsforscher Michael V. Dougherty, Ohio Dominican University (USA), befasst sich mit der Plagiatskrise an der Päpstlichen Universität Gregoriana.
Päpstliche Universität Gregoriana in Rom
| Die päpstliche Universität Gregoriana in Rom, eine der renommiertesten kirchlichen Hochschulen Europas, ist im Fokus des Plagiatsforschers Michael V. Dougherty.

Was ist ein Plagiat, Herr Dougherty?

Bei Plagiaten in akademischen Veröffentlichungen handelt es sich „um eine substanzielle Aneignung von Wörtern, Bildern oder Formeln mit unzureichender Quellenangabe, die den Anschein von Autorenschaft erweckt“. Plagiate führen dazu, dass gewisse Leute unverdientermaßen zu Professuren, Beförderungen und Auszeichnungen gelangen; es entsteht also dadurch in akademischer und sozialer Hinsicht eine gewaltige Ineffizienz. Wenn plagiiert wird, werden ja die ursprünglichen Autoren um die Anerkennung ihrer Forschungsresultate gebracht, zugleich werden die Leser von plagiierten Veröffentlichungen in die Irre geführt, was die wahre Herkunft eines Textes betrifft.

Wie wird man als Philosoph zum Plagiatsforscher?

Ich hätte nie erwartet, dass ich einmal auf dem Gebiet der Forschungsintegrität veröffentlichen würde. Zu Beginn meines Studiums an der Catholic University of America in Washington konzentrierte ich mich auf altgriechische Philosophie, und später schrieb ich an der Marquette University meine Dissertation über den heiligen Thomas von Aquin. 2009 stieß ich bei der Arbeit an einem Buch über die mittelalterliche Theorie des moralischen Dilemmas auf einen plagiierenden Artikel. Seitdem arbeite ich mit Kollegen daran, dass betrügerische Arbeiten in der Philosophie und verwandten Disziplinen zurückgezogen werden. Ich habe zwei Bücher über akademische Plagiate in einer Buchreihe über Forschungsethik verfasst, die eine theoretische Grundlage für die Betrachtung von akademischen Plagiaten bieten und ausgewählte Fallstudien vorlegen. Das Publizieren in diesem Bereich hat natürlich Arbeit von meinen traditionellen Forschungsbereichen abgezogen. Wenn ich danach gefragt werde, antworte ich gewöhnlich: „Es ist schwer, im Garten zu arbeiten, wenn das Haus brennt.“

Aktuell ist die päpstliche Universität Gregoriana in Rom, eine der renommiertesten kirchlichen Hochschulen Europas, im Fokus Ihres Interesses. Was hat Sie als Plagiatsforscher an die Gregoriana geführt?

2019 hat mir Pater Alkuin Schachenmayr OCist (Hochschule Heiligenkreuz) seinen Aufsatz „Concerns about Bishop Stephen Robson's Dissertation“ (Analecta Cisterciensia 2019) zur Verfügung gestellt: ich fand seine Darstellung sehr überzeugend. Pater Alkuin hat der wissenschaftlichen Community als solcher und der Päpstlichen Universität Gregoriana einen großen Dienst erwiesen, indem er die Unzuverlässigkeit von Bischof Robsons preisgekrönter Dissertation aufzeigte. Als die Gregoriana dann später eine Pressemitteilung herausgab, in der sie behauptete, in der Dissertation Robsons würden keine Plagiate vorliegen, beschloss ich, das unabhängig zu prüfen und meine Ergebnisse zu publizieren. Dann begann ich, auch andere veröffentlichte Dissertationen der Gregoriana aus den Bereichen Theologie, Philosophie und Kirchenrecht zu untersuchen. Ich wollte herausfinden, ob Bischof Robsons Dissertation nur ein Ausreißer oder repräsentativ für ein größeres Problem ist.

Aufbauend auf den Untersuchungen von Pater Alkuin Schachenmayr haben Sie letztes Jahr eine ausführliche Analyse der relevanten Dissertation von Bischof Robson publiziert „Plagiarism in the Sacred Sciences: Three Impediments to Institutional Reform“ Was waren die Resultate dieser Analyse?

Ich habe Robsons Dissertation durchgearbeitet und bestätigt, dass Schachenmayr in allen Punkten richtig lag. Pater Alkuin hatte behauptet, dass „Dutzende“ von Passagen kopiert wurden; in Wirklichkeit ging es um ein Vielfaches davon. Ich bin davon überzeugt, dass der Doktorand aus Büchern und Aufsätzen kopiert hat, ohne dabei die grundlegende akademische Praxis von Anführungszeichen und genauer Quellenangabe einzuhalten. Ein Leser der Robson-Dissertation kann aus dem Text selbst also nicht erkennen, was original ist und was nicht. Und das, obwohl die Gregoriana eigentlich ausgezeichnete Richtlinien in Bezug auf akademische Plagiate hat. Die Situation erinnert mich an eine Stelle in Aristoteles' Nikomachischer Ethik über „eine Stadt, die für alle richtigen Verordnungen stimmt und ausgezeichnete Gesetze hat, sie aber nicht anwendet.“

Lesen Sie auch:

Was ist der aktuelle Stand der Dinge?

Ich habe mein Manuskript zu Bischof Robsons veröffentlichter Dissertation zunächst beim „Gregorianum“ eingereicht, der Zeitschrift der Gregoriana, aber dort wurde es prompt abgelehnt. Nachdem es später in der Zeitschrift „Philosophie und Theologie“ veröffentlicht worden war, schickte ich im Juli 2021 eine Kopie davon mit einem Brief an die Gregoriana. Ich forderte 1. die Aberkennung von Robsons Doktortitel, 2. den Entzug des Premio Bellarmino und 3. den online-Widerruf des 2004 veröffentlichten Buchs. Bis heute habe ich keine Antwort erhalten. Übrigens habe ich in dieser Angelegenheit auch an die Vatikanische Bildungskongregation geschrieben.

Ist es nicht auf die Dauer fatal, wenn betroffene Institutionen eine „Vogel-Strauß-Politik“ verfolgen?

Wie manche Plagiatsforscher betonen, heilen sich Plagiate nicht von selbst – sie verschwinden nicht einfach im Laufe der Zeit, wenn man sie nicht beachtet. Universitätsdekane, Redakteure und Buchverleger haben also die Wahl: Entweder sie kümmern sich um das Plagiatsproblem oder sie werden als diejenigen bekannt, die das Problem ihren Nachfolgern überlassen haben. Ich verstehe natürlich die Versuchung, die Probleme zu ignorieren, denn Reformen und Korrekturen sind immer schwierig. Es braucht die richtigen Leute dazu.

Was wäre Ihrer Ansicht nach die notwendige Reaktion einer Universität im Falle eines erwiesenen Plagiats?

Die veröffentlichten Fassungen aller plagiierenden Dissertationen müssen zurückgezogen, die - eigentlich unrechtmäßigen - akademischen Grade widerrufen und alle Preise entzogen werden. Alles andere bedeutet, ein Fehlverhalten zu sanktionieren und sich mitschuldig zu machen. Meiner Ansicht nach ist die Situation an der Gregoriana besonders brisant. Es wird dort von hervorragenden Professoren und Doktoranden über Theologie, Philosophie und Kirchenrecht geforscht und publiziert. Nicht wenige Absolventen dieser Universität üben als Priester, Bischöfe und Kardinäle großen Einfluss auf die Weltkirche aus. Um eine echte Reform einzuleiten, bedarf es ihrer Unterstützung. Ich habe die Aberkennung der akademischen Grade für zwei veröffentlichte Dissertationen an der Gregoriana beantragt, beide in Theologie, und werde in Kürze Anträge für vier weitere in den Disziplinen Theologie, Philosophie und Kirchenrecht stellen. Die entsprechenden Beweise werde ich veröffentlichen, da eine klare Dokumentation bei dieser Art von Forschung unerlässlich ist. Wenn eine Hochschule nicht in der Lage ist, echte von unechten Dissertationen zu unterscheiden und letztere sogar mit Preisen auszeichnet, dann haben wir es mit einer Institution in der Krise zu tun.

Welche präventiven Maßnahmen könnten Plagiate verhindern?

Dissertationsbetreuer müssen ausreichend in das akademische Leben ihrer Studenten eingebunden sein, um deren Fähigkeiten realistisch einschätzen zu können. Einige Einrichtungen würden auch davon profitieren, wenn alle Doktoranden einen Kurs über Forschungsethik und wissenschaftliches Arbeiten belegen müssten, um ein gemeinsames Verständnis der Erwartungen an akademische Arbeit zu gewährleisten. Aktuell ist es so, dass eher diejenigen, die Plagiate offenlegen, mit Repressalien rechnen müssen als die Plagiatoren: die Förderung einer akademischen Kultur, die Plagiatsforschung nicht als Bedrohung, sondern als Sicherung der wissenschaftlichen Qualität versteht, würde ebenfalls dazu beitragen, die Zahl der Plagiate zu verringern.

Michael V. Dougherty hat einen Lehrstuhl für Philosophie an der Ohio Dominican University inne. Veröffentlichungen: „Moral Dilemmas in Medieval Thought: From Gratian to Aquinas“ (Cambridge University Press, 2011), „Correcting the Scholarly Record for Research Integrity: In the Aftermath of Plagiarism“ (Springer 2018), „Disguised Academic Plagiarism: A Typology and Case Studies for Researchers and Editors“ (Springer 2020).

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Gudrun Trausmuth Aristoteles Bischöfe Hochschule Heiligenkreuz Kirchenrecht Päpstliche Universität Gregoriana Thomas von Aquin

Weitere Artikel

Zu den originellsten und bis heute diskutierten Gedanken über das Wesen der Zeit gehören ausgerechnet diejenigen des frühchristlichen Bischofs.
29.02.2024, 07 Uhr
Stefan Rehder

Kirche