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Drohende Bildungskrise nach der Pandemie

Experten warnen vor einer Bildungskrise nach der Pandemie.
International hat die Pandemie zu schulischen Problemen geführt
Foto: IMAGO / ZUMA Wire | International hat die Pandemie zu schulischen Problemen geführt, wenn, wie hier in Kafr Dariyan in Nordsyrien, Schulen und Elternhäuser nicht optimal auch technisch ausgerüstet sind.

Die Pandemie hat vieles durcheinandergebracht. Alltagsabläufe, die vollkommen selbstverständlich schienen, sind weggebrochen, ganze Berufszweige in ihrer Existenz gefährdet und auch die verlässliche Vermittlung von Bildung ist in Gefahr. Experten warnen vor einer keineswegs temporären, sondern vielmehr anhaltenden Bildungskrise nach der Corona-Pandemie.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze nahm den Internationalen Tag der Bildung zum Anlass, auf die drohende Verdunstung der Erfolge der vergangenen Jahrzehnte im Hinblick auf die Bildung hinzuweisen. „Auf der ganzen Welt sind Schulen geschlossen, und es ist zu befürchten, dass viele Schülerinnen und Schüler nicht mehr da sein werden, wenn sie wieder öffnen“, sagte Schulze. Ihre Sorge besteht zu Recht. Denn im Gegensatz zu Deutschland, wo die Schüler zwar klare Defizite durch den verpassten Präsenzunterricht der vergangenen Monate aufweisen, durch die Schulpflicht aber früher oder später wieder in einen regelmäßigen Lernrhythmus hineinkommen, werden Eltern in anderen, vor allem in ärmeren Ländern andere Entscheidungen für ihre Kinder treffen.

Drastisch verschlechterte Bildungssituation

Vor allem die Bildungssituation für Mädchen wird sich drastisch verschlechtern, denn viele von ihnen müssen befürchten, anstatt zur Schule zurückzukehren, verheiratet zu werden oder als unbezahlte Haushaltskräfte in der Familie bleiben zu müssen. Für Kinder in Krisengebieten und aus armen Familien ist digitales Lernen ohnedies keine Alternative. Denn in den Familien fehlen vielfach die dafür notwendigen Geräte oder werden, sofern sie in geringer Zahl vorhanden sind, den Kindern nicht zur Verfügung gestellt.

Ähnliche Beobachtungen machten auch Lehrer hierzulande. Manch ein Rektor, der von einer flächendeckenden Versorgung seiner Schüler ausgegangen war, musste sich von besser informierten weil näher mit den Schülern verbundenen Lehrern korrigieren lassen, denen bewusst war, dass keineswegs alle Kinder unbeschränkten Zugang zu einem PC hatten. In der Praxis bedeutete dies, das Partizipation am Digitalunterricht auch dann nur sehr eingeschränkt möglich war, wenn dieser ohne feste Zeitfenster angeboten wurde. Denn wenn schon die Eltern gezwungen sind, sich zu einigen, wer den Familien-PC wann für seine Arbeit im Homeoffice nutzen kann, müssen sich die Kinder hinten anstellen, was zeitlich eine umso größere Bedrängnis bedeutet, wenn mehrere Kinder ihre Aufgaben digital erledigen sollen. Die Folgen dieser Situation sind klar. Im besten Fall handelt es sich um Lerndefizite, die langfristig ausgeglichen werden können, im schlimmsten Fall um eine exponenzielle Vermehrung von Analphabeten weltweit. Die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK), Maria Böhmer, warnte deshalb davor, dass die Auswirkung der Schulschließungen „zu den kostspieligsten Folgen der Pandemie“ zählen könnten. „Hunderte Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hatten schon zuvor keinen Zugang zu Schulbildung. Diese Situation hat sich noch deutlich verschärft“, so Böhmer.

Schule bleibt wichtigster Lernort

Die Präsidentin der Deutschen UNESCO Kommission ist überzeugt: „Die Schule als Lernort bleibt durch nichts zu ersetzen.“ Die Erfahrung, dass die Pandemie wie in einem Brennglas vorhandene Fähigkeiten, das Netzwerk der Unterstützer und die Motivation zum Lernen sichtbar werden lässt, machen auch Lehrer in anderen Bereichen wie beispielsweise dem der Musik. Auch hier zeigt sich: Im Digitalunterricht fehlt vielen Schülern die persönliche Motivation durch die wöchentliche Begegnung mit dem Lehrer, die auch durch Zoomtreffen nicht wirksam ersetzt werden kann. Macht man dazu noch den radikalen Motivationstest und stellt den Unterricht komplett auf die Stellung digitaler Aufgaben um und bittet um Rückmeldungen auf demselben Weg, reagieren viele Schüler mit komplettem Rückzug. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass dies nicht nur eine Nebenwirkung der Pandemie, sondern auch der Tatsache geschuldet ist, dass die den Kindern durch die Schule auferlegten Lasten in den vergangenen Jahren deutlich zu hoch waren. Gymnasiasten hatten nicht selten täglichen Nachmittagsunterricht bis 16.00 oder 17.00 Uhr und wurden zusätzlich durch Hausaufgaben in mehreren Fächern belastet, sodass 50 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche keine Seltenheit waren.

Es gibt auch einzelne Erfolgsgeschichten

Wenn dann ambitionierte Eltern noch verlangten, dass die Kinder zusätzlich Hobbys nachgingen, die weitere zeitliche Verpflichtungen mit sich brachten, kamen die auf diese Weise gewiss wohlmeinend terminierten, aber eben doch fremdbestimmten Stunden auf dem Zeitzähler noch hinzu. Dass die so überreizten Kinder und Jugendlichen die Pandemie genutzt haben, um nicht nur einen, sondern gleich mehrere Gänge herunterzuschalten und einfach einmal zur Ruhe zu kommen, ist mehr als verständlich, es ist eine gesunde Reaktion auf eine ungesunde Überforderung. Tatsächlich geben inzwischen auch viele Eltern zu, dass sie sich nicht mehr vorstellen können, in den vorpandemischen Alltag mit seinen ständigen terminlichen Verpflichtungen und Fahrdiensten zurückzukehren.

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Dennoch bleibt festzuhalten, dass lernschwache Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern nicht langfristig ohne qualifizierte Begleitung bleiben dürfen, will man nicht ganze Generationen von Schülern ohne ausreichende Bildung aufwachsen lassen. Dass Bildungserfolg und Bildungsgrad immer noch vom Einkommen der Eltern abhängen, ist eine traurige Tatsache. Darum schreiben sich kirchliche Organisationen wie die Caritas Österreich die Hilfe für die Kinder und Jugendlichen auf die Fahne, die in dieser Situation wirksame Unterstützung benötigen. Die katholische Hilfsorganisation steuert dem Bildungsmangel nun mit Lerncafés entgegen, einem Projekt mit 62 Standorten österreichweit, an denen für über 2 000 Kinder kostenlose Nachhilfe und Nachmittagsbetreuung angeboten werden. Natürlich ist die Caritas nicht nur in Österreich für Kinder- und Jugendbildung aktiv. Weltweit werden insgesamt 70 000 Kinder durch Bildungsprojekte der Caritas unterstützt, freut sich Anna Parr, die Generalsekretärin der österreichischen Caritas. Dass diese Hilfe nicht nur in ärmeren Ländern notwendig ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen.

80 Prozent der zehn- bis 14-jährigen Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten in Österreich besuchen die Hauptschule. Die Pandemie hat die Situation dieser Kinder noch deutlich verschärft. Denn wer in einem Umfeld lebt, in dem Armut und Arbeitslosigkeit das Leben prägen, ist schwerer zu motivieren, selbstständig zu lernen. Bildung stellt einen Rettungsanker dar, wenn es darum geht, der Armut zu entfliehen, aber der Anker muss eben auch in Form von konkreter menschlicher Hilfe bereitgestellt werden.

Dies gilt weltweit, wie Erfolgsgeschichten wie die von Chantamma zeigen. Das Mädchen aus einem indischen Dorf arbeitete wie seine Eltern als Tagelöhnerin auf einem Feld, bevor eine Mitarbeiterin des Don Bosco-Zentrums die Eltern motivieren konnte, Chantamma zur Schule zu schicken. Dort belegte das Mädchen zunächst einen Alphabetisierungskurs, besuchte dann die Schule und erhielt schließlich ein Stipendium für das Studium am profilierten Institute of Information Technology.

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