Der französische Kardinal Jean-Pierre Ricard hat sich gestern wegen „verwerflichen Verhaltens“ gegenüber einem 14jährigen Mädchen selbst bei der französischen Bischofskonferenz angezeigt. In seiner heute veröffentlichten Bekanntgebung sagt der emeritierte Erzbischof von Bordeaux wörtlich: „Vor 35 Jahren habe ich mich als Pfarrer gegenüber einem 14-jährigen Mädchen verwerflich verhalten. Mein Verhalten hat bei dieser Person zwangsläufig zu schweren und dauerhaften Folgen geführt. Ich habe mit ihr darüber gesprochen und sie um Vergebung gebeten. Ich erneuere hier meine Bitte um Vergebung und bitte auch ihre gesamte Familie um Vergebung.“ Erneut erschüttert damit ein Missbrauchsfall auf höchster Ebene die katholische Kirche.
Nicht länger schweigen
Er habe sich dazu entschlossen, nicht länger zu schweigen und sich der zivilen und kirchlichen Justiz zu stellen. „Dieser Schritt ist schwierig, aber an erster Stelle stehen das Leid, das die Menschen als Opfer erfahren haben, und die Anerkennung der begangenen Taten“, so Ricard, der von 2001 bis 2007 den Vorsitz der französischen Bischofskonferenz innehatte. Aufgrund seiner Handlungen habe er beschlossen, eine „Zeit des Rückzugs und des Gebets“ anzutreten.
Kardinal Jean-Pierre Ricard ist 78 Jahre alt und einer der sechs französischen Kardinäle der katholischen Kirche. 2006 hat der damalige Papst Benedikt ihm die Kardinalswürde verliehen. 2019 nahm Papst Franziskus seinen Rücktritt als Erzbischof von Bordeaux an, da er die Altersgrenze von 75 Jahren erreicht hatte.
Geständnis vor der Presse
In einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz erklärte Eric de Moulins-Beaufort, Erzbischof von Reims und Vorsitzender der französischen Bischofskonferenz, dass auf das Geständnis von Kardinal Ricard hin Anzeige beim Generalstaatsanwalt und bei der römischen Glaubenskongregation gestellt wurde. Die französischen Bischöfe treffen sich zur Zeit in Lourdes zu ihrer jährlichen Herbstvollversammlung. Der Umgang mit sexuellem Missbrauch ist zentrales Thema des Treffens, nachdem vor einigen Wochen bekannt wurde, dass der emeritierte Bischof von Créteil, Michel Santier, wegen Machtmissbrauch zu sexuellen Zwecken bereits vor mehr als einem Jahr von der Glaubenskongregation mit Sanktionen belegt wurde.
„Diese Nachricht hat uns wie ein Schock getroffen und wir können uns vorstellen, welche Bestürzung sie in Grenoble, Montpellier und Bordeaux bei den Priestern und Gläubigen, die mit ihm zu tun hatten, auslösen wird“, so der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz wörtlich. Er bezeichnete Ricards Geständnis als einen „noch nie dagewesenen Schritt“. Insgesamt sind oder waren elf französische Bischöfe Gegenstand einer zivilen oder kanonischen Untersuchung, ließ Moulins-Beaufort wissen. Acht der Bischöfe sind namentlich bekannt. Zu ihnen gehört der 2020 vom Vorwurf der Vertuschung freigesprochene Kardinal Barbarin. Der wegen Vertuschung verurteilte Bischof Pierre Pican von Bayeux und Lisieux ist 2018 verstorben. Keiner der übrigen zehn Bischöfe ist noch im Amt. DT/fha
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