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„Für den Frieden lohnt es sich, das Leben einzusetzen“

In der Zentralafrikanischen Republik zeigten zwei Hirten, wie Zuhören, Dialog und Gebet dazu beitragen können, Eskalation zu verhindern. Eine Inspiration für die Friedensarbeit.
Bischof Aurelio Gazzera
Foto: Aurelio Gazzera | Mutige Vermittler in einem vergessenen Krieg: Bischof Aurelio Gazzera...

Drohugen zu erhalten, ist normal, wenn man sich für den Frieden einsetzt. Doch der Frieden ist eine so wichtige Sache, dass es sich lohnt, dafür Zeit und Leben einzusetzen“, erklärt Aurelio Gazzera, seit knapp zwei Jahren Koadjutorbischof von Bangassou in der Zentralafrikanischen Republik, gegenüber der „Tagespost“. Der italienische Karmelit ist im Land als „der Mann, der die Gewehre beugte“ bekannt – mit seinen mutigen Vermittlungen während des Bürgerkriegs gewann er vor einem Jahrzehnt internationale Aufmerksamkeit. Aufgrund seiner Erfahrungen wurde er mehrfach von der Europäischen Union konsultiert.

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Friedensarbeit ist keine „Zugabe“, sondern Teil des Evangeliums. „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). Die Kirche zeigt dies in zahlreichen kriegsgebeutelten Regionen Tag für Tag. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die Zentralafrikanische Republik: Auch wenn die Lage vielerorts weiterhin prekär ist, machen die heute spürbar verbesserten Beziehungen zwischen christlicher und muslimischer Bevölkerung deutlich, wie nachhaltig die Friedensinitiativen der vergangenen Jahre wirken.

Christliche Berufung zum Frieden

„Wir müssen unsere Berufung als getaufte Christen ernst nehmen, selbst unter dem Risiko, Märtyrer zu werden – denn der Friede wird mit unserem ganzen Wesen geschaffen“, erklärt Kardinal Dieudonné Nzapalainga im Gespräch mit der „Tagespost“. Er ist Erzbischof von Bangui und leitet damit die Erzdiözese, die die Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik umfasst. Seine Äußerungen sind keine bloßen Worte: Die pastorale Friedensarbeit von Kardinal Nzapalainga und Bischof Gazzera vermag die Kirche in anderen Krisenregionen zu inspirieren. Sie zeigt – bei allen Unterschieden zwischen Ländern, Situationen und Kulturen –, worauf es ankommt: auf die Bereitschaft, das eigene Leben für den Frieden einzusetzen; auf das beharrliche Bemühen um Dialog zwischen den Konfliktparteien; auf den Mut, Unwahrheiten und untragbares Verhalten klar zu benennen; auf die aktive Einbindung der Bevölkerung – und viel Gebet. 

Ab 2013 hatten die Seleka, ein Bündnis überwiegend muslimischer Rebellengruppen, in der rohstoffreichen, aber extrem armen Zentralafrikanischen Republik Angst und Schrecken verbreitet durch Plünderungen, Zerstörungen, Folterungen und Massaker. Als Reaktion – zunächst aus Notwehr – formierte sich die Anti-Balaka-Miliz, bestehend aus Animisten und Christen. In dem blutigen Konflikt wurde Religion von politischen und militärischen Akteuren instrumentalisiert und verschärfte die Gewalt. 

Dass es dennoch nicht zu einem flächendeckenden Religionskrieg kam, ist unter anderem der intensiven, mutigen Friedensarbeit der Kirche zu verdanken. Kardinal Nzapalainga wies früh jede religiöse Legitimation der Milizen zurück, reiste – oft unter Lebensgefahr – zusammen mit dem Imam Omar Kobine Lamaya, Präsident des Höheren Islamischen Rates der Zentralafrikanischen Republik, und dem protestantischen Pastor Nicolas Guérékoyaméné-Gbangou, Präsident der Evangelischen Allianz, durch In- und Ausland und rückte durch Politik und Medien verbreitete Narrative zurecht. Das Trio machte klar: Der herrschende Krieg stellt keinen religiösen Konflikt zwischen Muslimen und Christen dar, sondern einen Kampf um Macht und Rohstoffe. 

Unerschrocken verurteilte die Kirche die Verbrechen beider Seiten und setzte sich für den Schutz der Zivilbevölkerung ein – das zweitgrößte Lager für Vertriebene in Bangui war von Dezember 2013 bis Februar 2017 das Gelände des Karmels mit bis zu 15 000 Vertriebenen.

Gott allein hat das letzte Wort

„All diese Menschen sind unsere Schäfchen, und ich bin herumgereist, um ihnen zu versichern, dass wir sie verteidigen und bereit sind, unser Leben für sie hinzugeben“, so das beeindruckende Zeugnis des Kardinals. „Wir waren da, um ihre Tränen abzuwischen und sie zu ermutigen: ‚Gott allein – nicht das Böse – hat das letzte Wort. Richtet euren Blick auf Christus, das Licht. Am Horizont zeichnet sich etwas Neues ab. Gott verlässt uns nicht.‘“

Bischof Gazzera erklärt: „Die Kirche hat ihre Arme und die Türen Hunderter Häuser geöffnet, um Vertriebene aufzunehmen, ohne Unterschied ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit. Gleichzeitig hat sie jedoch erkannt, dass es notwendig ist, tiefergreifend zu intervenieren und darauf hinzuarbeiten, dass die Konfliktparteien sich treffen, diskutieren und in einen Dialog treten können, damit die Bevölkerung nicht in die Rolle des Opfers gedrängt wird, sondern im Mittelpunkt der Dialog- und Vermittlungsarbeit stehen kann.“

So wurden in Städten und Dörfern lokale Komitees mit Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen geschaffen, die – anstelle des abwesenden Staates – auf Basisebene Konflikte regelten und für Themen wie Plünderungen und Waffenhandel sensibilisierten. Auch der Kardinal versuchte auf seinen Inlandsreisen mit dem Imam und dem Pastor, Konflikte zu schlichten und vorzubeugen, indem die verschiedenen Gruppen angehört und ihre Berichte verglichen wurden, um Gerüchte auszuräumen und der Wahrheit Raum zu geben. 

„Für den Frieden muss man bereit sein, sich gegenüberzustehen“, stellt der Kardinal klar. Und dafür müsse man auch bereit sein, den Rebellen gegenüberzutreten: „Frieden schließt man mit Feinden, mit denen, die ich als Teufel betrachte. Und dann entdecke ich, dass der andere ein Herz hat, das lieben kann.“

Einsatz unter Lebensgefahr

Unermüdlich, oft unter akuter Lebensgefahr und mit dem Rosenkranz als einziger Waffe, begab sich der damalige Pater Aurelio immer wieder in die Höhle des Löwen, um zwischen den beiden Milizen zu vermitteln. So habe er „mit schwer bewaffneten Menschen diskutiert, die Drogen und Alkohol konsumieren und von Gewalt und Arroganz erfüllt sind“. Nicht jeder habe „Lust gehabt, sich hinzusetzen und die Sichtweise des anderen anzuhören“, berichtet er gegenüber der „Tagespost“. Doch sei es entscheidend, unabhängig von den vereinfachten Versionen der Medien zu versuchen, die Gründe des anderen zu verstehen.

Dieudonné Nzapalainga
Foto: Erzbistum Bangui | ...und Kardinal Dieudonné Nzapalainga.

Aber auch, manche ihrer Taten klar und deutlich zu verurteilen, um sie vor ihre eigene Verantwortung zu stellen und ihnen einen Weg der Umkehr zu eröffnen. Hass habe er nie empfunden – wohl aber Wut gegenüber dem Unrecht und dem schrecklichen Blutvergießen. „Es ist wichtig, diese Wut zu spüren, um sich dem Bösen entgegenstellen zu können. Krieg und Gewalt dürfen niemals normal werden.“ Als Pater Aurelio in Bozoum einen Seleka-Rebellen wegen der grausamen Folter zweier seiner „Schäfchen“ zur Rede stellte, ohrfeigte man ihn so heftig, dass er zu Boden stürzte; ein anderes Mal wurde sein Auto mit Steinen beworfen. Häufig wurde er mit Kalaschnikows bedroht. Doch er wich nicht zurück, sondern blieb – „mithilfe der Gnade Gottes“ – bei der Bevölkerung, die ihn so dringend brauchte. 

Kardinal Nzapalainga und Bischof Gazzera erinnern daran, dass Kriege nicht plötzlich ausbrechen. „Oft sind wir es selbst, die den Krieg nähren – durch unsere Worte, unsere Gesten“, warnt der Kardinal. Auch die Fähigkeit zur Vergebung muss im Kleinen trainiert werden, denn Frieden kann nur mit Vergebung beginnen. „Wir müssen dem Hass widerstehen und vom Glauben bewohnt sein“, so der Kardinal. „Der Herr hat uns geboten, das Böse nicht mit dem Bösen zu vergelten. Am Kreuz bat er den Vater, denen zu vergeben, die für seinen Tod verantwortlich waren.“ 

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In all den Friedensbemühungen spielte das Gebet eine tragende Rolle: Vor heiklen Treffen mit den Rebellen beteten die muslimischen und christlichen Vermittler gemeinsam. Die tägliche Eucharistiefeier schenkte Kardinal und Bischof Kraft und verwies sie auf das Vorbild Jesu, der sein Leben hingab, um der Welt seinen Frieden zu schenken. 
Jeder Krieg hat seine eigene Gestalt. Doch die Friedensarbeit in der Zentralafrikanischen Republik bleibt ein kraftvolles Zeugnis – ein Plädoyer für Hoffnung. Sie zeigt, wie verhindert werden kann, dass ein Konflikt die Herzen vergiftet und grenzenloser Hass zwischen Religionen und Konfessionen um sich greift. Am Ende, so erinnert Bischof Gazzera, bleibt nur, „die Friedensarbeit in Gottes Hände zu legen, im Vertrauen darauf, dass er allein die Herzen wirklich zu berühren vermag“. 

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