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Ein Gefühl von stiller Feierlichkeit

Der Weltjugendtag kann beides sein: Riesige Party und stille Kraftquelle. Sicher ist: An Geist fehlt es nie.
Weltjugendtag kann beides sein: Riesige Party und stille Kraftquelle
Foto: IMAGO/Leonel de Castro/Global Imagens (www.imago-images.de) | Die Freude über den Glauben ist gut und schön, sie darf laut sein. Aber erst in der Stille bekommt das Leid eine Stimme, das uns als Christen im Herzen dazu anstößt, etwas zu verändern.

Ist vielleicht die Luft raus? Es ist ruhiger in Lissabon, viel ruhiger, obwohl wieder zehntausende Pilger im Parque Eduardo VII. eingezogen sind. Und Franziskus ist auch da, sitzt vor den hellblauen Türmen in seinem Sessel aus Holz. „Man merkt, dass die Leute erschöpft sind“, sagt eine der Begleiterinnen unserer Gruppe. Aber es ist nicht nur das: Ein Gefühl von stiller Feierlichkeit durchzieht Lissabon an diesem Freitag, bevor der Kreuzweg beginnt. Ja, der Weltjugendtag ist eine riesige Party. Das hatten wir jetzt zwei Tage: Heute warten die Leute auf mehr. 

Beim Kreuzweg bringen sie das zu Gott, was sie belastet: Krieg, Krankheit, zerbrochene Elternhäuser, der Druck, den das Zeitalter der sozialen Medien mit sich bringt, Naturkatastrophen durch die Klimakrise. Die Andacht ist nicht rein äußerlich oder performativ, sie wirkt echt, hat ernste Anliegen. Die Jugendlichen knien, hören den Zeugnissen zu, und verfolgen die Tänzer mit den Augen, die den Kreuzweg in eine atemberaubende Performance auf den Tuchtürmen über dem Papst übertragen. Ja, die Freude über den Glauben ist gut und schön, sie darf laut sein. Aber erst in der Stille bekommt das Leid eine Stimme, das uns als Christen im Herzen dazu anstößt, etwas zu verändern. Still sein und zuhören: Das musste den Pilgern in Lissabon keiner erst sagen. 

Leichte Veränderung in der Stimmung spürbar

Schon am Morgen war die leichte Veränderung in der Stimmung spürbar: Im Parque da Granja, in Benfica, einem Stadtteil von Lissabon. Eine weite Grünfläche ist heute von mehreren hundert Pilgern besetzt. Mehrere Essensstände bieten Kaffee, Hotdogs und Sandwiches an, und auf den zementierten Wegen, die vereinzelt Bäume säumen, gehen die einheimischen Lissaboner mit ihren Hunden spazieren. Dort beginnt eine der englischsprachigen „Rise-Up“-Katechesen mit einer Eucharistischen Prozession, an der Spitze der US-amerikanische Bischöfe Robert Barron

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Barron hat weltweit eine große Fangemeinde an Katholiken. Sie schauen die Videos, lesen die Bücher, die Barron über sein Evangelisations-Apostolat „Word On Fire“ veröffentlicht. Es sind mindestens fünfzig Priester, wenn nicht mehr, die sich der Prozession anschließen, einige von ihnen schwenken Weihrauchfässer. Ein Chor singt. Barron platziert das Heilige Sakrament auf dem Altar. Es ist still, während die Teilnehmer knien: Im Wind wehen ihre Fahnen: Australien, USA, Irland, England und Südkorea. Dann hält der Bischöfe seine Katechese: „Betet, betet, betet!“, beschwört er die Pilger, führt sie über unterschiedliche Gedanken zum Gebet hin. Sein zentraler Punkt: Beten heißt, die Güte Gottes auszukosten: Und die Stille ist wertvoll, weil wir in ihr Ruhe finden, im gegenwärtigen Moment ankommen.

Mehrere Bühnen im Park sind als Stationen gedacht, die die Jugendlichen durchlaufen können. Auf Steinen können sie Zettel mit den Dingen kleben, die sie von Gott trennt und diese dann in einen Müllcontainer werfen. Eine Station lädt zur Gewissenserforschung und Beichte ein. Bei einer dritten bekommen die Pilger Schriftworte auf Papierblumen, die sich öffnen, wenn man sie ins Wasser setzt. Diese Schriftworte können sie dann untereinander teilen, um sich gegenseitig zu bestärken. 

Zuflucht im deutschen Pilgerzentrum

Während sich die Stadt langsam aufheizt, suche ich wie viele andere Zuflucht im deutschen Pilgerzentrum. Dort gibt es Klimaanlagen, Wasserspender und Handyladestationen. Auf dem Broschürenstand findet sich die grüne Grundordnung des BDKJ, gelbe Hefte, die mich einladen, am „Berufungsparcours“ teilzunehmen, Flyer für eine Unterschriftensammlung für eine „offene Kirche“ mit Frauenpriestertum und Eheschließung für die, die sich als LGBTQ identifizieren, und einen Stapel von Kärtchen der Loretto-Gemeinschaft. Einige Bischöfe laufen auch durch: Offenbar hatten sie einen Termin bei der deutschen Botschaft nebenan und haben hier im Auditorium ein paar Dinge zwischengelagert. Einige gehen eilig durch die Menge, andere versuchen, ins Gespräch zu kommen. Die exzessive Werbung für den „Berufungsparcours“ erinnert schmerzlich daran, wie wenig Leute sich in Deutschland für das Priesteramt oder Orden interessieren. 

Auch im Pilgerzentrum liegt Abschiedsstimmung in der Luft. Jemand verteilt die letzten Reste Wassereis aus der Kühltruhe: „Das muss leer werden!“ Auch in den Klassenzimmern der Unterkünfte. „Ich wünschte, ich könnte mir jetzt ein Hotel nehmen“, hört man es unter den Jugendlichen, während sie für die Reise zum Parque Trejo packen, wo sie unter den Sternen schlafen, bis der Papst sie am Sonntagmorgen weckt. Die, die krank geworden sind, bleiben in behelfsmäßigen Unterkünften. Die deutschsprachige Gruppe im Stadtteil Lumiar kommt in der Kirche des Heiligen Johannes des Täufers unter. „Im Haus des Herrn will ich wohnen allezeit“, zwinkert ein Pilger aus der Loretto-Gemeinschaft. Drei von ihnen haben sich eine Erkältung eingefangen, zwei haben unter der Sonne gelitten. Erst am Mittwoch, in vier Tagen, geht es für sie weiter mit dem Autobus: Erst nach Fatima, dann Nizza. Zeit für Maria, Zeit für den Strand, und dann erst wieder in die Heimat – kein Wunder, das sie eine Pause brauchen.

Die Luft ist nicht raus

Aber nur, weil einige der Pilger müde sind oder die Stille suchen, heißt es nicht, dass die Luft raus ist. Videos und Fotos aus den verschiedenen Reisegruppen zeigen, dass bei den Unermüdlichen auf dem Weg zum Feld die Stimmung schon wieder zurückgekehrt ist. Ich bin gespannt, was die Mitglieder meiner Reisegruppe, die zum ersten Mal beim Weltjugendtag sind, von ihren Erfahrungen erzählen werden. Aber auch hier in der Kirche, wo die Jugendlichen unter Marienstatuen und in Seitenaltären schlummern, kann nicht die Rede davon sein, dass es an Geist fehlt. Vor dem mit Goldornamenten Altarraum knien einige zwischen Koffern und Rucksäcken und beten.


Begleiten Sie unsere Autorin Sally-Jo Durney in den nächsten Tagen auf dem Weltjugendtag in Lissabon. Alle Tagebuch-Einträge finden Sie hier

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