Die Erleichterung ist groß, dass der Papst die Zeit im Krankenhaus überlebt hat. Gegenüber der Tageszeitung „Corriere della sera“ hat der Chef des Ärzteteams, das ihn während der 38 Tage in der Gemelli-Klinik behandelt hat, nochmals bestätigt, dass Franziskus am 28. Februar keine Luft mehr bekam und die Mediziner um das Leben des 88-Jährigen kämpfen mussten.
Jetzt ist der Papst außer Gefahr. Aber seinen Zustand hat die ganze Welt am Sonntag bei seiner Entlassung gesehen. Es gelang Franziskus, den Daumen zu heben, zu winken und mit schwacher Stimme einige Worte zu sprechen. Als man ihn von hinten daran erinnerte, machte er über den etwa dreitausend Personen vor der Klinik ein Segenzeichen – nicht mit erhobenen Armen, sondern aus dem Handgelenk heraus, so als seien die Oberarme eng an den Brustkorb geschnürt. Auf der Fahrt zum Vatikan hatte er die Nasenkanüle zur Sauerstoffzufuhr wieder angelegt. Vor der Marienbasilika Santa Maria Maggiore verließ Franziskus nicht das Auto, der Erzpriester der Basilika erhielt einen Strauß Blumen für die vom Papst so verehrte Marienikone.
Scharfer Protest gegen Appell des Papstes
Zwei Monate Rekonvaleszenz haben die Ärzte dem Papst verordnet. Ohne Reisen, ohne öffentliche Termine, ohne Audienzen und mit nur wenigen Einzelgesprächen. Franziskus soll ruhen – in der Hoffnung, dass die Lungenentzündung nicht wieder aufflammt. „Vorerst werden dem Papst nur die wichtigsten Fragen vorgelegt, die Entscheidungen von seiner Seite erfordern, auch um ihn nicht zu sehr zu belasten“, gab Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin am Montagabend am Rande einer Veranstaltung der Päpstlichen Akademie für das Leben vor Journalisten zu Protokoll.
Da hatte die israelische Botschaft beim Vatikan gerade scharfen Protest gegen einen Appell des Papstes eingelegt, der in dessen schriftlich verbreiteter Ansprache zum sonntäglichen „Angelus“ zu lesen war: „Ich bin bestürzt über die erneuten schweren israelischen Bombardierungen im Gazastreifen, die viele Tote und Verletzte gefordert haben. Ich fordere, dass die Waffen sofort schweigen und der Mut zum Dialog wiedergefunden wird, damit alle Geiseln freigelassen werden und ein endgültiger Waffenstillstand erreicht wird.“
Die israelische Botschaft hielt dagegen: Die jüngsten Luftangriffe geschähen „in vollem Einklang mit dem Völkerrecht“. Parolin musste den Papst verteidigen: „Wir haben kürzlich mit dem Roten Kreuz gesprochen, und auch sie sind in großen Schwierigkeiten. Die Bombardierung von Zivilisten, die Tötung von Helfern sind Handlungen, die genau gegen die Menschenrechte verstoßen. Heute gibt es keinen Respekt mehr vor dem humanitären Völkerrecht. Das ist eine der großen Schwächen unserer Zeit“, sagte er dann am Montagabend.
Es kann keinen abgeschotteten Papst geben
Der diplomatische Zwischenfall zeigt, dass es einen abgeschotteten Papst eigentlich nicht geben kann. Vor allem dann, wenn er mit Botschaften und schriftlich verbreiteten Ansprachen weiter an die Öffentlichkeit geht. Franziskus kann Ernennungen abzeichnen, ihm vorgelegte Texte ergänzen, Berichte über die wichtigsten diplomatischen Schritte des Vatikans lesen. Aber er kann keine Bischofskonferenzen empfangen – auch die regelmäßigen Beratungen mit den Leitern der wichtigsten Kurienbehörden finden auf kaum absehbare Zeit nicht mehr statt. Vor allem fehlt das, was Franziskus immer ausgiebig getan hat: das persönliche Gespräch, oft auch über das Telefon.
Das Befinden von Franziskus erinnert an das von Johannes Paul II. in seinen letzten Lebensmonaten: Auch da war es schließlich ein sehr kleiner Kreis, der die wichtigsten Entscheidungen in der Kurie fällte. Schon spekulieren manche Medien, dass der Rat der den Papst beratenden Kardinäle aufgestockt werde und das Regiment über die Kirche übernimmt. Ein Vakuum „ganz oben“ kann der Vatikan nicht gebrauchen.
Die Emotionen waren groß, als man am Sonntag Franziskus nach über einem Monat wieder sehen konnte. Auf dem Petersplatz, wo viele Menschen den Auftritt des Papstes auf dem Balkon der Klinik auf Videowänden verfolgten, kamen manchen die Tränen. Aber im Vatikan wächst die Sorge, dass sich Franziskus nicht mehr zur alten Form aufschwingen kann. Dann bräche ein völlig neues Kapitel im Pontifikat des Lateinamerikaners an – und sehr wahrscheinlich das letzte.
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