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Mit Matzenbrot und mobilem Altar

Wie die Augustiner mitten in der Würzburger Innenstadt mit einem besonderen Raummodell Gläubige und Passanten zur Gottesbegegnung einladen.
Augustinerkirche Würzurg
Foto: Gehrig, Moussong | Die goldene Wand des "ZwischenRaums" der Augustinerkirche ist bewusst frei von jeglichen religiösen Symbolen: Jeder soll sich willkommen fühlen.

Es ist ein später Nachmittag in der von Besuchern überfluteten Würzburger Innenstadt. Der frühe November verbraucht seine letzten Sonnenstrahlen über den Köpfen der Marktbesucher. Die ersten Gäste machen sich schon wieder auf den Heimweg, eine gefüllte Straßenbahn klappert über die Schienen des Dominikanerplatzes. Zwischen den Passanten singt ein Straßenmusikant in sein Mikrofon, um ihn herum spaltet sich die Menge. Auf den Stufen vor der Augustinerkirche sitzt ein junges Paar. Mit einer brennenden Zigarette in der Hand unterbrechen sie für einen kurzen Moment ihren Samstagsbummel. Hinter ihnen öffnet sich das von Plakaten flankierte Portal.

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Beim Eintritt durch die Türen verhindert eine große braune Wand den Blick in das Kirchenschiff. Von ihr spricht der Heilige Augustinus zu den Eintretenden in goldenen Lettern herab: „Ich will, dass Du bist!“ Pater Alfons Tony, der Prior des Würzburger Augustinerklosters, steht in der Vorhalle des Sakralbaus. In einer grünen Jacke und schwarzen Sandalen führt er nicht nur durch die Kirche seiner Gemeinschaft, sondern auch durch die Ordensgeschichte der Augustiner und die Vergangenheit der Bischofsstadt am Main. Die Kirchentür fällt ins Schloss, der Lärm der Passanten weicht der Stille des Gotteshauses.

Zwischen Karschmerz und Osterfest: Der ZwischenRaum

Schon im sogenannten ZwischenRaum hält er inmitten der beiden Muttergottes-Bilder an, die von gegenüberliegenden Wänden auf die Besucher schauen: Maria vom Guten Rat und Maria Trost. In den brennenden Opferlichtern vor ihnen spiegeln sich die anhaltenden Gebete ihrer Besucher. Die festliche Verehrung beider (Wunder-)Bilder hat für den Augustinerorden eine besondere Bedeutung und eine Tradition von vermutlich fast 600 Jahren.

Auf der Rückseite des ZwischenRaumes findet sich die Figur des Karsamstag-Christus: Gezeichnet von den Wandmalen des Karfreitags beginnt Christus bereits, sich aus dem Grab zu erheben. Christus zeigt sich dabei dem Verweilenden nicht als ein Anbetungsgegenstand, sondern in der Erfahrung von Leid und Tod gemeinschaftlich, dem strahlenden Ostersonntag entgegen. Vor ihm erhebt sich eine eingezogene goldene Wand, vor der Kerzen flackern und Leuchtspuren auf ihr hinterlassen.

P. Alfons Tony
Foto: Gehrig, Moussong | Pater Alfons Tony war zwischen 2011 und 2019 über zwei Wahlperioden lang Augustinerprovinzial.

 „Dieser Ort“, erklärt Bruder Alfons, „ist eine Einladung zum Verweilen für Menschen mit ihren gebrochenen Biographien, Abbrüchen und Neuanfängen.“ Hier können sie mitten im Trubel der Stadt innehalten und in ihrer Sehnsucht auf eine Zukunft hoffen, die sich wieder auftut. Wie am Vortag des Auferstehungsfestes eröffnet sich ein freudiger Blick von der schmerzhaften Gegenwart auf das goldene Osterschimmern.

Nicht nur architektonisch ist dies ein Zwischenraum, sondern auch sinnbildlich: „Dieser Zwischenraum will ernst genommen und gestaltet sein.“ Er ist ein besonderer Ort, ein Drehkreuz zwischen dem hektischen Alltag der Welt und dem Ort der heiligen Eucharistie. Er ist frei von religiösen Symbolen gehalten, erklärt Pater Alfons: „Alle sind willkommen! Egal ob Katholisch, evangelisch, ob fromm oder zweifelnd oder vielleicht auch ein Atheist, der momentan gar nicht glauben kann“.

Das Himmlische Jerusalem als Leitmotiv der Raumgestaltung

Der Blick geht über die Trennwand oder an ihr vorbei hinein in den großen Kirchenraum. Hier soll das augustinische Charisma ihren Ausdruck finden. Alles steht ebenerdig und ist nicht nur organisatorisch beweglich. Im Zentrum der Stuhlraum-Ellipse stehen sich der Ambo, als Ort des Wortes Gottes, und der Altar, als Ort der Menschwerdung des göttlichen Wortes und Zentrum der Mahlgemeinschaft in Christus, gegenüber. Diese Art der Raumgestaltung wird seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil als Communio-Modell bezeichnet und soll in den Gottesdiensten den Aspekt der Gemeinschaft betonen.

Pater Alfons setzt zu einem historischen Exkurs an. Während eines Luftangriffs auf Würzburg im Zweiten Weltkrieg war auch die Augustinerkirche getroffen worden. In nur wenigen Minuten verbrannte die gesamte Innenausstattung. Nach dem Krieg folge der eilige Wiederaufbau, das Innere wurde mit zusammengesammelten Gegenständen wie religiösen Bildern und Heiligenfiguren eingerichtet. Nach acht Jahren der Neukonzipierung des pastoralen Konzepts wurde die Kirche vom September 2010 bis November 2011 umgestaltet. Das elliptische Modell der Kirchen-Raumplanung stand im Zentrum der Umbauten. Der Augustinermönch erzählt von den Reaktionen der Menschen am Tag der Wiedereröffnung der Kirche: „Die Einen waren begeistert, die anderen waren entsetzt und haben gesagt, das ist nicht mehr meine Kirche. Und die Dritten waren verunsichert“. Trotzdem wurden viele von ihrer Neugierde in den umgestalteten Raum gezogen: Bis zum Beginn der Corona-Pandemie stiegen die Zahlen der Gottesdienstbesucher stark an.

Für die Innenstadtpastoral der Brüdergemeinschaft ist dies ein Segen. Das Leitmotiv für das pastorale Konzept der Augustinerkirche zitiert Bruder Alfons direkt aus dem Galaterbrief des Apostels Paulus: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ Auch das moderne Altarbild des „Neues Jerusalem“ aus der Apokalypse des Johannes soll diesen Gedanken bezeichnen: Was in unserer Welt noch Statussymbole sind, wie zum Beispiel Gold und Edelsteine, wird im Himmlischen Jerusalem zu Baumaterial.
„Dieses himmlische Jerusalem zu finden, in dem alle Menschen gleich sind und Gott unter ihnen ist“ sei die Vision der Würzburger Augustiner.

Trotzdem weiß Pater Alfons, dass dies nur eine „Vision“ bleiben kann. Auch wenn die Kirchenämter im Communio-Modell in den Hintergrund treten sollen, „können wir auf Strukturen nicht verzichten“. Trotzdem wird in dem Raumkonzept auf einen separaten Sitz für den Gottesdienstleiter verzichtet. Die Gemeinde sitzt sich selbst gegenüber, in ihrer Mitte das Wort und das Brot, versammelt um Christus. Während der Eucharistiefeier erhält jeder ein eigenes Matzenbrot und einen Becher mit Wein, so wird nach Pater Alfons für jeden die „Mahlgemeinschaft erlebbar“: Es ist „kein profanes Mahl, sondern ein ritualisiertes in Christus“.

Die Besonderheit des Augustinischen Pastoral in Würzburg

Die pastorale Arbeit der Augustiner beruft sich in den Innenstädten auf eine lange Tradition. Nicht nur im 13. Jahrhundert, als ihr Bettelorden im großen Städtewachstum seinen ersten pastoralen Dienst übernehmen konnte, standen die Armen, Trauernden und Vergessenen im Mittelpunkt. Pater Alfons erinnert etwa an die 1960er Jahre: „Wenn eine Frau ungewollt schwanger geworden ist und das Paar vom Pfarrer nicht getraut wurde, wo sind sie hingegangen? Zu den Augustinern!“ Dieses Beispiel zeigt: „Das macht uns schon aus, dass wir Menschen ernst nehmen. In einer großen Offenheit auf ihre persönliche Situation und ihre Verschiedenheit eingehen“. In den Tätigkeiten der einzelnen Brüder zeigt sich die Verschiedenheit auch innerhalb des Ordens selbst: So wirken sie je nach Charisma in der Kirche, als Krankenpfleger oder auch in ihrem „Gesprächsladen“ direkt am Dominikanerplatz.

Inzwischen hat hier der Menschenstrom noch weiter zugenommen. In der Augustinerkirche merkt man davon wenig. Sie ist eine kleine Oase der Stille, mitten am gefüllten Wochenende und im Herzen der Würzburger Innenstadt. Eine Auszeit für die Passanten, die nicht nur durch den Türspalt blicken, sondern wirklich eintreten. Eine Einladung für alle.

Der Text ist im Rahmen des Reportage-Projekts „Christliches Leben in Würzburg“ des Tagespost-Nachwuchsprogramms entstanden.

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