Der evangelisch-lutherische Pastor Christophe Costi (Jahrgang 1988) aus Deutschland untersucht in seinem Buch „Maria, wer bist du?“ katholische Mariendogmen anhand der Bibel. Er findet, Katholiken und Protestanten sind einander näher, als sie denken, und zeigt die Bedeutung Marias für den christlichen Glauben. Sein Werk ist inspiriert durch das Buch „Behold, your Mother“ vom amerikanischen Katholiken und Konvertiten Tim Staples.
Herr Costi, Maria als Mutter Gottes feiern heißt Jesus feiern, schreiben Sie. Welche Rolle spielt sie für Ihren Glauben?
Seit ich mich gezielt mit Maria beschäftigt habe, ist es für mich realer geworden, dass Gott ein Mensch wurde. Es war mir natürlich schon vorher klar, dass Maria uns Gott als Menschen geboren hat. Aber durch die Beschäftigung mit Maria als Mutter Gottes sind mir mehr Facetten von Jesus deutlich geworden. Maria hat weder in meiner Familie noch in dem Glauben, aus dem ich komme, eine Rolle gespielt. Das ist ein Themenfeld, das ich mir selber erschlossen habe. Mit dem Titel „Mutter Gottes“ hatte ich theologisch nie ein Problem. Es deckt sich, finde ich, gut mit dem, was die Bibel sagt.
Was hat sich geändert, seitdem Sie sich mit der katholischen Marienlehre vermehrt auseinandergesetzt haben?
Die Beschäftigung mit Maria hat meinen Glauben nicht verzerrt oder verunstaltet, im Gegenteil: Ich liebe und schätze Jesus noch mehr als zuvor. Ich merke, dass Maria in meinem Denken präsenter geworden ist, und als Konsequenz davon ist Jesus für mich noch nahbarer, greifbarer. Im Bereich der Theologie sind mir viele neue Horizonte aufgegangen, und das Thema Maria aus katholischer Sicht hat mir klargemacht, wie viel es zu entdecken gibt, wenn man über den Tellerrand der eigenen Konfession schaut.
Was sind aus evangelischer Sicht die Kritikpunkte an der katholischen Marienlehre?

Vor allem, dass Maria so sehr erhöht werde, dass Jesus ins Hintertreffen gerät. Ihre Verehrung, so empfinden es viele Protestanten, überschreite die Grenze zur Anbetung, sei zu übermenschlich und daher unangemessen.
Was sagt dann Ihr evangelisches Umfeld zu Ihren Auseinandersetzungen mit Maria?
Die Reaktionen reichen von einem „Da bin ich skeptisch, aber ich bin mal gespannt auf das Buch“ bis hin zu Begeisterung, dass ich mich da hineingrabe. Spannenderweise scheine ich bei dem Thema Maria bei vielen einen Nerv zu treffen. Ich kann es noch nicht genau benennen, aber das scheint Fragen aufzugreifen, die offenbar auch bei einigen evangelischen Geschwistern da sind. Es geht mir nicht darum, dass man mir in allem zustimmt, aber mein Ziel ist es, in der Gemeinde Jesu Brücken zu bauen. Ich möchte durch gewissenhafte Bibelauslegung zeigen: Die Gräben zwischen Christen unterschiedlicher Gemeinden sind nicht immer so unüberwindbar, wie wir vielleicht denken. Und in allem geht es darum, Jesus zu feiern und ihn ins Zentrum zu stellen. Das ist auch der Gedanke hinter aller Beschäftigung mit Maria.
Was ist die größte Bereicherung der katholischen Marienlehre für Sie?
In meiner lutherischen Tradition stehen die Verlorenheit des Menschen und unsere Erlösungsbedürftigkeit im Fokus. Die Bibel zeigt, dass wir so von der Sünde infiziert sind, dass wir komplett auf Gottes Liebe angewiesen sind. Wir können uns nicht so machen, dass wir zu einer Beziehung mit ihm fähig sind. Und das Problem dabei ist, wir verfehlen so den Sinn unseres Lebens und verlieren das ewige Leben nach dem Tod, wenn wir nicht in einer Beziehung mit Gott leben. Das macht es umso wunderbarer, dass Gott selbst sich in Jesus ganz für uns hingibt und uns aus Gnade zu sich einlädt.
Die katholische Marienlehre hat mir die andere Seite der Medaille deutlich gemacht: Jesus hat unser kaputtes Menschsein geheilt, und es wird von Gott erfüllt. Wenn ich mein Leben Jesus gebe, dann kommt er wirklich in mein Leben hinein und er verändert es auch, weil er in mir lebt. Einerseits also Gottes Gnade, aber auch die tiefe Veränderung, die er in mir und in seiner Gemeinde vollzieht. Das ist mir durch Maria klarer geworden.
Man sagt, Martin Luther betete den Rosenkranz. Sie auch?
Noch nicht. Ich möchte es ausprobieren, muss mich da aber noch reinfuchsen.
Im Evangelium spricht Elisabet Maria mit „Begnadete“ an. Daraus möchten Sie noch nicht Marias Unbefleckte Empfängnis herauslesen. Glauben Sie an ihre unbefleckte Empfängnis und wenn ja, woran genau machen Sie sie fest?
Zur Klärung: Die Unbefleckte Empfängnis meint nicht die Jungfrauengeburt von Jesus, sondern dass Maria schon bei ihrer eigenen Zeugung aus Gottes Gnade ohne Sünde gewesen sei. Ihre Erlösung ist sozusagen vorgezogen.
Und ja, dieser Bibelvers für sich genommen belegt für mich noch nicht, dass Maria von Gott vorerlöst ist. Die Aussage, dass Maria begnadet ist, verstehe ich aus meinem evangelischen Verständnis so: Gott hat sie erwählt, die Mutter seines Sohnes zu sein. Maria hat deswegen einen besonderen Platz in seiner Rettungsmission für uns Menschen und auch eine besonders einzigartige Beziehung zu Jesus.
Ich bin skeptisch, was die unbefleckte Empfängnis angeht. Anders als bei der ewigen Jungfräulichkeit Marias fehlen mir klare Indizien aus der Bibel. Aber ich kann das stehen lassen, wenn meine katholischen Geschwister daran glauben. Wenn sie merken, dass es ihre Beziehung zu Jesus vertieft und bereichert, dann freue ich mich mit.
Sehen Sie in Maria die neue Eva?
Ja. In der Kirchengeschichte wurde immer wieder gesagt, die beiden sind Gegenbilder. Eva sagt zusammen mit Adam „Nein“ zu Gott. Maria dagegen sagt mutig und vertrauensvoll „Ja“ zu ihm. Dadurch wird sie die lebendige Tür, durch die Jesus zu uns kommt. Das ist keine rein katholische Vorstellung, das steht zum Beispiel auch in der evangelischen Wuppertaler Studienbibel. Noch ein Indiz: Eva wird in der Bibel „Mutter aller Lebenden“ genannt. Maria wird von Gott als Mutter Jesu auserwählt und so schenkt sie jedem von uns Jesus, der das wahre Leben in Person ist. Damit wird auch sie eine „Mutter aller Lebenden“, und zwar im Glauben. Das ist natürlich allein Gottes Initiative und sein Handeln, aber auf der menschlichen Ebene verdanken wir Maria Jesus. Darum finde ich den Titel „neue Eva“ durchaus passend.
Aus katholischer Sicht ist Maria „Gottes Speerspitze“ im Kampf gegen den Teufel. Ist Maria im Kampf gegen das Böse nicht unverzichtbar?
Nein, unverzichtbar ist nur Jesus. Der Fokus liegt auf ihm. Stellt man sich aber die Kirche als Speer gegen den Teufel vor, dann kann ich gut unterschreiben, dass sie die Speerspitze ist. Sie hat Ja dazu gesagt, die Mutter Jesu zu werden. Gott gebraucht sie darum auf eine ganz einmalige Weise als Wegbereiterin für Jesus. Damit hat sie natürlich an vorderster Front dazu beigetragen, dass der Teufel und alles Böse einst beseitigt werden. Nicht weil es ohne sie nicht gegangen wäre, aber so hat Gott sich entschieden. Sein größter Herzenswunsch ist es ja, mit uns Menschen zusammen zu sein. Das wird da real, wo Menschen Jesus in ihr Leben einladen, und dass wir das tun dürfen, das hat Gott uns durch Maria möglich gemacht.
Christophe L. P. Costi, Maria, wer bist du?, Basel: Fontis Verlag, 2025, 248 Seiten, Klappenbroschur, EUR 22,90
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