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Direktverbindung zu Gott

Warum man heiligen Orten trotz aller wohlmeinenden Initiativen frommer Menschen immer wieder anmerkt, dass sie heilige Orte sind. Ein Selbsterfahrungstrip.
Santuario Mentorella
Foto: Laky 1970/ Wikimedia (CC-BY-SA-4.0) | Die Wallfahrtskirche Madre delle Grazie della Mentorella ist ein Geheimtipp und ein Ort der zum Beten einlädt.

Auf 1 000 Metern Höhe war es direkt zehn Grad kühler. Als ich die Autotür öffnete und ins Freie trat, wehte mir ein leichter Windstoß den zarten Duft von blühendem Holunder in die Nase, bevor ich bemerkte, dass der interessanten Mixtur an Gerüchen auch ein großer Anteil an verbrannter Kupplung beigemischt war. Mit letzter Kraft hatte sich das Auto die steilen Hänge emporgekämpft, unter den neugierigen Augen einiger Kühe und sogar Pferden, die kurz den Kopf hoben. Ein Priester aus Deutschland saß am Steuer, er hatte vorgeschlagen, den Rosenkranz zu beten, was wir auch taten.

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Bassd scho

Als der Mann Gottes mit einer Hand lenkte und schaltete, während sein Rosenkranz in der anderen Hand immer wieder gegen das Lenkrad schlug, wusste ich nicht, welches Gebetsanliegen dringender war: Dass uns niemand auf dieser engen Straße entgegenkommt oder dass ich genügend Kraft bekomme, um mein Frühstück im Körper zu behalten. „Sie müssen sagen, wenn Ihnen da hinten schlecht wird“, rief der Priester zwischen zwei Ave-Maria mir zu. „Bassd scho“, winkte ich mit diesem Ausdruck fränkischer Schicksalsergebenheit ab. Als wir endlich unser Ziel erreichten, seufzte der Wagen erleichtert auf und mit ihm einige der Insassen.

Wir waren etwa 50 Kilometer gefahren und hatten Rom hinter uns gelassen. Während die Sonne in der Ewigen Stadt brutal auf das Kopfsteinpflaster brannte und die Straßen und Gassen zu Glutöfen verwandelte, fühlte ich mich auf dem angenehm kühlen Berg wie in einer Oase.

Ort des Gebets

Wir standen nun vor der Wallfahrtskirche Madre delle Grazie della Mentorella, ein „Geheimtipp“, wie mir versprochen. So geheim, dass Karol Wojtyla nach seiner Wahl zum Papst sieben Mal auf diesen Berg zurückkehrte, den er bereits als Kardinal regelmäßig besuchte. „Dieser Ort hat mir sehr geholfen, zu beten“, sagte der polnische Papst einmal, und als ich nun selbst dort war, wusste ich warum. Noch heute kann man dort die kleine Grotte betreten, in der der heilige Benedikt, der Gründer des Benediktiner-Ordens, zwei Jahre lebte. Die kleinen Steinstufen hinab in das Innere dieser Höhle sind über die Jahrhunderte hinweg ausgelatscht. Ein Foto an der Wand zeigte den damals frisch gewählten Papst Benedikt XVI., der im Oktober 2005 ebenfalls die Grotte besuchte und sich, mit einer Hand an der Wand, vorsichtig hinabtastete.

Ich finde es immer faszinierend, wie schnell man heiligen Orten anmerkt, dass sie heilige Orte sind. So auch hier. Die sicher wohlmeinenden Menschen, die sich um diesen Ort kümmern, haben viel dafür getan, dass nicht mehr allzu viel an jene Zeit erinnert, in der der heilige Mönchsvater Benedikt hier in der Stille die Nähe Gottes suchte. Ein kleiner, kitschiger Altar, der mit Familienfotos und abgebrannten Kerzen übersät ist, ein übergroßes Jesusbild von fraglichem künstlerischen Wert schmücken den Raum nun, der dann noch von wahllos an die Wand montierten Lichtern komplettiert wird, die ein hässliches blaues Licht verströmen.

Verbindung steht

Und doch ist dies ein heiliger Ort. Nicht, weil Benedikt von Nursia, Johannes Paul II. und Benedikt XVI. diese Höhle mit ihrer Anwesenheit adelten, sondern weil trotz der Innenausstattung sichtbar bleibt, was hier geschieht. Die rauen Felswände erzählen von Menschen, die hier die Stille suchten, um Gott wieder hören zu können. Ich merkte, wie ich ruhiger wurde und langsam in dieser Stille versank.

Plötzlich vibrierte mein Handy in der Hosentasche wie verrückt. Ich hatte wieder Netz, die ganzen Nachrichten kamen endlich durch. Draußen hatten sie vor Jahren einen neuen Handymasten installiert. Die Direktverbindung zu Gott steht schon länger.

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