Bei der Mission im eigenen Land sieht der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, „viel Luft nach oben“. Er habe bereits vor 14 Jahren drei Prioritäten genannt: Zunächst die Mission, zweitens die Jüngerschaft und erst drittens Strukturreformen. „Leider sind wir mehr bei der Strukturreform hängen geblieben“, so Kardinal Schönborn in seiner letzten großen Begegnung mit Journalisten am Montagabend in Wien. Wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag am 22. Januar 2025, an dem Schönborn auch mit der Annahme seines Rücktritts durch Papst Franziskus rechnet, stellte sich der seit 1995 amtierende Erzbischof von Wien noch ein letztes Mal den Fragen österreichischer und deutscher Medien. „Die Tagespost“ war dabei.
Während seiner 30-jährigen Amtszeit sei die Zahl der Katholiken in der Erzdiözese Wien um rund 20 Prozent zurückgegangen, zog Schönborn Bilanz. „Ich glaube, da gibt es nichts schönzureden.“ Die Entwicklung der Mitgliederzahl der katholischen Kirche sei „ein Schmerzpunkt“, aber auch Teil der gesellschaftlichen Entwicklung. Insgesamt habe die Bindung an Institutionen nachgelassen, das betreffe auch Parteien und Gewerkschaften. Zudem sei Säkularisierung ein „gesamteuropäischer Megatrend“. Kardinal Schönborn setzt diesbezüglich auf die Sinnsucher, also auf Menschen „auf der Suche nach Antworten auf die großen existenziellen Fragen“. Hier habe das Christentum „ein großes Angebot“ und „tiefe Ressourcen“. Wörtlich: „Wenn wir insgesamt als Religionsgemeinschaft etwas Sinnvolles tun wollen für diese Gesellschaft, dann ist es, die Sinnsucher und die Sinnfrage überhaupt zu stärken“.
Rechtgläubigkeit nicht durch Beliebigkeit ersetzen
Ein Zurück zur Kirche der Nachkriegszeit kann und soll es laut dem Wiener Erzbischof nicht geben. Schönborn bekannte sich in der Fragerunde am Montagabend zu einer „liberalen Demokratie, die auf der Basis der Menschenrechte und der Freiheit steht“. Hier könne das Christentum „Elemente einbringen, die für ihre Zukunft entscheidend sind“, etwa die Würde jedes Menschen und die Transzendenz-Offenheit. Dazu bedürfe es aber „geistlicher Menschen, an denen man sich orientieren kann“. Schönborn weiter: „Was soll das Christentum anderes machen, als Orientierung geben und aus dieser Orientierung zu leben helfen?“ Bei der Aufnahme von Kandidaten ins Priesterseminar seien ihm stets zwei Fragen wichtig: Ob sich der Seminarist für Gott und für die Menschen interessiert.
Auch über seine Emeritierung hinaus will sich der Wiener Kardinal mit dem Dialog der Religionen beschäftigen, der ein „Dialog in religiöser Tiefe und nicht in der Oberflächlichkeit“ sein müsse. Dieser setze aber eine „eigene gefestigte Haltung im Glauben“ voraus. „Die Rechtgläubigkeit ist nicht ersetzbar durch Beliebigkeit“, sagte Kardinal Schönborn. „Eine liberale Grundhaltung darf nicht eine Grundhaltung der Beliebigkeit sein.“ So sei auch die Voraussetzung für eine weitgespannte Brücke die Existenz tiefer Fundamente und fester Pfeiler, die die Brücke tragen.
Tiefer Riss in der Orthodoxie
Auf eine Frage dieser Zeitung nach dem ökumenischen Dialog mit der russischen Orthodoxie bedauerte Kardinal Schönborn, „dass es im Moment praktisch keine Möglichkeit gibt, im Dialog mit Moskau zu sein. Aber das wird nicht so bleiben.“ Er selbst kenne den heutigen russischen Patriarchen Kyrill noch aus dessen Zeit als Metropolit und Außenamtschef des Moskauer Patriarchats. „Das, was sich jetzt abspielt, ist auch innerhalb der Orthodoxie eine große Wunde.“ Schwierig sei die aktuelle Situation vor allem „für die orthodoxen Schwesterkirchen, weil es einen ganz tiefen Riss in die Orthodoxie selber hineingebracht hat“. Insgesamt solle man im ökumenischen Dialog weniger „über theologische Fragen streiten, in denen wir nicht weiterkommen, wie den Primat des Papstes oder die Lehre vom Heiligen Geist“, sondern darüber sprechen, was der Auftrag Jesu heute bedeutet. „Was heißt Evangelisierung für euch und für uns?“
Angesprochen auf sein enges Verhältnis zu den drei Päpsten seiner Amtszeit schilderte der Wiener Kardinal seine Beziehung zu Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus. Man habe ihm vorgeworfen, „ein Wendehals“ zu sein, weil er sich mit drei Päpsten gut verstand. Schönborn dazu: „Ich glaube nicht, dass ich ein Wendehals bin. Es hat sich wirklich so ergeben, dass ich alle drei sehr bewundere: wirklich große und sehr überzeugende Menschen. Das hat mich aber nicht daran gehindert, bei allen dreien auch da und dort Bauchweh zu haben.“ Auf die Bitte von Journalisten, das zu präzisieren, wollte Schönborn aber nur bei einem vierten Papst – bei Paul VI. – konkret werden: „Ich hatte Bauchweh mit seiner Ostpolitik. Wir haben ja in Österreich den Kommunismus wirklich hautnah in der Nachbarschaft erlebt. Also da hatte ich manchmal, bei allem Respekt, die Sorge: Das ist zu blauäugig.“ (DT/sba)
Lesen Sie einen ausführlicheren Bericht über die letzte Begegnung von Kardinal Christoph Schönborn mit Medienvertretern am Donnerstag in Ihrer „Tagespost“.