In einem offenen Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, hat die Initiative „Neuer Anfang“ am Dienstag kritisiert, dass Bätzing sich zur abgesagten Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin nicht äußern wollte und den Fall zur Sache der Politik erklärt habe. Ein Bischof „als sakramental ermächtigter und gesendeter öffentlicher Zeuge des Evangeliums“ dürfe das öffentliche Wort dazu nicht verweigern, schreibt die Initiative und mahnt den Bischof, sich seiner Pflicht nicht zu entziehen.
Wörtlich heißt es in dem Brief: „Zeigen Sie Flagge! Kämpfen Sie! Und denken Sie gelegentlich daran, was Paulus dem Timotheus aus dem Gefängnis schrieb: ,Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung.‘“
Kirche darf der Politik nicht allein das Feld überlassen
In dem öffentlichen Schreiben legt der Neue Anfang dar, „inwiefern die Rechtsauffassung der Kandidatin in erheblicher Spannung zur Lehre der Kirche“ zu Lebensrecht und Menschenwürde stehe und verweist auf den 2019 verstorbenen Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde, der den Satz prägte, dass der säkulare Staat sich Voraussetzungen, von denen er lebt, nicht selber geben könne. Auch Papst Benedikt XVI. habe auf Natur und Vernunft als Quellen des Rechts verwiesen, so die Initiative weiter.
Dass der Bischof das öffentliche Wort verweigere, hält der „Neue Anfang“ für eine schwere Verletzung der bischöflichen Amtspflichten. Denn wenn sich eine Kandidatin für das Amt einer Höchstrichterin in fragwürdiger Weise zum Artikel 1 Abs 1 des Grundgesetzes äußere, gehe es „um die ethische Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“ Die These, dass die Behauptung, allem menschlichen Leben komme Menschenwürde zu, auf einem biologistisch-naturalistischen Fehlschluss beruhe, kündige den antitotalitären Grundkonsens der Mütter und Väter der deutschen Verfassung auf und widerspreche gleichzeitig der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und seiner Auslegung der Menschenwürdegarantie im Zusammenspiel mit dem Lebensrecht grundlegend. Nicht zuletzt beruhe sie „auf einem Konzept, das der zuletzt verbindlich durch das kirchliche Lehramt in Dignitas infinita vorgelegten Auffassung der Kirche diametral widerspricht.“
Wer anders als die Kirche sei „in der Pflicht, die ethischen Grundlagen unseres Gemeinwesens zu verteidigen“, für ihre Plausibilisierung zu kämpfen, fragt die Initiative weiter. Wo die unbedingte Geltung der Menschenwürde für alle Menschen in allen Stadien ihres Lebens strittig werde, dort müsse gestritten werden. Durch seine Äußerung, so der Vorwurf an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, sei er seinen Mitbrüdern im Bischofsamt, die sich für Menschenwürde und Lebensrecht öffentlich eingetreten sind, in den Rücken gefallen, schreibt der Neue Anfang, und erinnert Bätzing daran, dass es zu allen Zeiten die Aufgabe der Kirche gewesen sei, die Würde des Menschen zu schützen und zu verteidigen — vom Augenblick der Zeugung bis zu seinem natürlichen Ende und in allen gesellschaftlichen Kontexten. DT/dsc
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