Erntedank wird in Deutschland meist am ersten Sonntag im Oktober gefeiert und entspringt einer alten biblischen Praxis, Gott für die Gaben der Erde zu danken. Erntedank ist zwar kein Hochfest, aber doch ein hoch einzuschätzendes Fest, geht es doch letztlich darum, dankbar zu sein für das, was man hat und Gott zu vertrauen, dass er jedem gibt, was er zum Leben braucht — keinen Luxus, aber genug. Klingt einfach, ist es aber nicht immer.
In einer Welt, die einerseits von Klimawandel, sozialer Ungleichheit, wirtschaftlichen Umbrüchen und geopolitischen Spannungen, von Geschwindigkeit, Konsum, Effizienz, Autonomie und Selbstoptimierung geprägt ist, ist der Mensch versucht, entweder zu jammern, alles Gute selbstverständlich zu nehmen oder immer mehr haben zu wollen. Papst Franziskus stellte fest, dass Konsumismus und Wohlstand der Menschheit sehr geschadet haben.
Die aristokratischste aller Tugenden
Für Dankbarkeit scheint wenig Platz zu sein, dabei gilt sie als die aristokratischste aller Tugenden. Leider nur ist sie – wie so viele aristokratische Dinge – völlig aus der Mode gekommen. Notwendig ist sie trotzdem, führt sie doch direkt ins Herz des himmlischen Vaters, aus dem Gelassenheit, Liebe, Vertrauen und das alles verändernde himmlische Shalom fließen. Gott ist eine dankbare Fröhlichkeit angenehmer als eine unaufhörliche, gleichsam anklagende Traurigkeit, lehrte der heilige Paulinus von Nola. Umgekehrt ist Undankbarkeit nach Ignatius von Loyola „die Wurzel aller Sünde“.
Echte Dankbarkeit ist keinesfalls typisch katholisch oder ein moralischer Imperativ, sondern vielmehr eine Lebensversicherung gegen schlechte Laune, Trägheit und Freudlosigkeit. Bei Dankbaren ist das Glas halb voll statt hab leer. Dankbare Menschen sind zufriedener und finden in allem etwas Gutes, wie beispielsweise auch der selige Charles de Foucauld es vorlebte. Von ihm stammt der Ausruf: „Danke, mein Gott, danke! Alles, was du tust, ist gut.“
Haltung zur Schöpfung, zum Mitmenschen und zu Gott neu überdenken
So ein Satz kann bisweilen wie ein harter Brocken in der Kehle stecken bleiben. Und doch ruft gerade das Erntedankfest zum Danken auf. Und zwar nicht nur für das tägliche Brot — an dem uns in unseren Breitengraden meist ohnehin nicht mangelt. Erntedank fordert uns heraus, unsere Haltung zur Schöpfung, zum Mitmenschen und zu Gott neu zu überdenken, die Fesseln des Egoismus zu sprengen und mit Freude andern zu helfen, die weniger haben als man selbst.
Voraussetzung dafür ist Dankbarkeit, eine Lebenshaltung, die nicht nur Katholiken gut zu Gesicht steht. Sie hat etwas zutiefst Elegantes; der Dankbare bewegt sich durchs Leben, als hätte er Champagner im Blut: beschwingt, leicht und nie verbittert. Wer dankbar ist, wirkt gelassener. Und Gelassenheit – das wusste schon der alte Adel – ist der wahre Luxus, den man sich leisten kann.
Dankbarkeit macht wirklich reich
Dankbarkeit macht wirklich reich, nicht dem Geld nach, aber doch im Alltag, in den kleinen Dingen. Ob man nun lernt, seinen morgendlichen Kaffee dankbar zu genießen, über die wunderschönen Wolken- und Farbpracht des Himmels oder die Schmetterlinge zu staunen, die beim Spaziergang in der Natur an einem vorbeifliegen, ob man sich freut über die Freunde, die einen nicht verlassen, obwohl man sich einen Fauxpas geleistet hat, oder darüber, dass man ein Dach über dem Kopf hat, auch wenn es kein Traumhaus ist und Renovierungsarbeiten einen immer wieder in die Pflicht rufen. Sogar über die zersprungene Kaffeekanne kann man gelassen hinnehmen, weil man weiß, dass man sich eine neue leisten kann. Dankbare Menschen versprühen eine heitere, unaufgeregte, beinahe souveräne Eleganz.
Und nein, Dankbare sind nicht spießig. Sie sind im guten Sinne rebellisch. In einer Welt, in der das perfekte Selfie zählt und überhaupt Perfektion inszeniert wird, ist ein dankbarer Mensch wie ein Zuhause, in dem man sich gleich heimisch fühlt. Dankbare Menschen sind attraktiv.
Aristokratie auf zwei Beinen
Hier also das Plädoyer für die Dankbarkeit, nicht nur zum Erntedankfest: Dankbarkeit ist nobel und wirkt ein wenig wie Aristokratie auf zwei Beinen. Dankbarkeit kostet nichts, veredelt hingegen das Sein und lässt selbst das Banale genießen. Gerade Katholiken sollten hier vorbildlich voranschreiten, ist das zentrale Glaubensgeheimnis der katholischen Kirche doch die Eucharistie, „das Sakrament des Dankes“, wie Papst Johannes Paul II. es in seiner Enzyklika „Ecclesia de eucharistia“ aus dem Jahr 2003 hervorhob. Wer Eucharistie feiert, übt sich in der Dankbarkeit.
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