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Der Karfreitag der Kirche

Die Missbrauchsaufarbeitung bleibt ein Kreuzweg. Nun zeigt sich immer deutlicher, wie sehr Papst Benedikts Rolle dabei unterschätzt worden ist.
Papst Benedikts Kämpfe gegen Missbrauchen werden bis heute nicht gesehen.
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Papst Benedikts Kämpfe gegen Missbrauchen werden bis heute nicht gesehen.

Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in Kirchenkreisen ähnelt einem langen Karfreitag. Erst kürzlich hat ein Zusammenstoß zweier Vorkämpfer auf diesem Feld ein Schlaglicht auf die Mühen der Ebene im Vatikan geworfen.

Wut über Päpstliche Kommission

Der Jesuit Hans Zollner, Gründungsmitglied der 2014 von Papst Franziskus  ins Leben gerufenen Kinderschutzkommission, warf entnervt das Handtuch und kündigte seinen Rückzug an. Überraschend scharf fiel seine Begründung aus: Strukturelle und praktische Probleme machten seine Mitarbeit in der Päpstliche Kommission unmöglich. Der enttäuschte 56-Jährige sparte die Details nicht aus und beklagte fehlende Transparenz, unzureichende finanzielle Rechenschaftspflicht und Unklarheit darüber, nach welchen Kriterien Mitglieder ausgewählt werden. Auch die Kriterien, nach denen Entscheidungen gefällt werden, werden aus Sicht Pater Zollners nicht klar kommuniziert.

Dass Kardinal Sean O'Malley, Präsident der Päpstlichen Kinderschutzkommission, dem Jesuiten postwendend über den Mund fuhr und sich gegen dessen Kritik verwahrte, änderte nichts an Zollners vernichtender Kritik. Der Fall ist aufschlussreich, weil hier zwei in der Aufklärung und Präventionsarbeit erfahrene Kirchenmänner, denen Papst Franziskus persönliches Vertrauen geschenkt hat, einen Schatten auf ein prestigeträchtiges Vorzeigeprojekt des gegenwärtigen Pontifikats werfen.

Papst Benedikts ungesehener Kampf 

Nach Pater Zollners Philippika ist die Zeit offensichtlich reif, ungerechte Urteile und vorlaute Kritik am verstorbenen Papst Benedikt zu revidieren. Nach dessen Tod zeichnet sich deutlicher denn je ab, wie dick die Bretter gewesen sein müssen, die der deutsche Papst in Sachen Missbrauchsbekämpfung im Vatikan zu bohren hatte. Als Kardinal Ratzinger während seiner Amtszeit als Präfekt der Glaubenskongregation den Kampf gegen Missbrauch aufnahm, waren die Rahmenbedingungen wesentlich ungünstiger als heute: Es gab weniger geschultes Personal, kaum professionelle Anlaufstellen in den Bistümern und kein mit heute vergleichbares Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Mentalitätswandels in Kirchenkreisen.

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Dass es Joseph Ratzinger dennoch gelang, eine Null-Toleranz-Politik gegenüber den Tätern zu etablieren und nach seiner Wahl zum Papst äußerst strenge Vorschriften zur Bekämpfung des Missbrauchs zu erlassen, erscheint angesichts der Schwierigkeiten, die sich heute im Umgang mit dem Phänomen Missbrauch abzeichnen, in anderem Licht. Die Leistungen Benedikts auf diesem Feld sind nicht zuletzt im deutschsprachigen Raum wenig gewürdigt und teilweise glatt unterschätzt worden. Fraglos ist der Mentalitätswandel noch nicht auf allen Ebenen der Kirche angekommen.

Nicht jeder Diözesanbischof nimmt sich ein Beispiel an Joseph Ratzinger, der als erster Bischof von Rom Missbrauchsopfer persönlich traf und gegen massive Widerstände nicht locker in der Bestrafung der Täter ließ. Vor allem hat der verstorbene Papst, trotz der Fliehkräfte in den Bistümern, sich nicht in Strukturdebatten geflüchtet, um den Kern des Problems – die Sünde und ihre Folgen – nicht deutlich ansprechen zu müssen. Die Begriffe „Buße“ und „Umkehr“ sind in Benedikts Homilien exemplarisch entfaltet worden. Rückblickend betrachtet verdient der deutsche Papst endlich eine faire Würdigung für seine unterschätzte Leistung als Vorkämpfer gegen Missbrauch – vor allem in seiner deutschen Heimat.

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