Gott allein habe verhindert, dass das Undenkbare geschehe, schrieb Donald Trump auf seiner eigenen Social-Media-Plattform „Truth Social“ am Tag nach dem Attentat auf ihn. Typisch trumpische Megalomanie, mag da mancher gedacht haben. Aber eine solche Schelte, so verdient sie sonst auch sein mag, ist in diesem konkreten Fall unangebracht. Denn Tatsache ist nun einmal: Der 45. Präsident der USA ist um Haaresbreite dem Tod entronnen. Ein paar Zentimeter näher und das tödliche Geschoss hätte nicht Trumps Ohr touchiert, sondern seinen Kopf getroffen. Wenn es aber um Leben und Tod geht, ist es eine für Politiker wie Bürger gleichermaßen natürliche Reaktion, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass das eigene Leben letztlich in Gottes Hand liegt. Das gilt freilich zu jeder Sekunde unseres Daseins, wird uns aber meist nur in Extremsituationen bewusst.
Auch theologisch lässt sich gegen Trumps Verweis auf das Wirken des Allmächtigen nichts einwenden: Denn die göttliche Vorsehung – also die zeitliche Ausführung des in der Ewigkeit gefassten göttlichen Weltplans – hat keinerlei blinde Flecken: Nichts geschieht gegen Gottes Vorsehung oder unabhängig von ihr. Sicher, das Übel wird von Gott, der durch und durch gut ist, nicht direkt gewollt, sondern nur zugelassen. Im Falle des Trump-Attentats ist dies in erster Linie der Tod des Zuschauers Corey Comperatore. Der 50-Jährige hatte sich heldenhaft auf seine Familienmitglieder geworfen, um sie vor den Kugeln zu schützen, und wurde dabei selbst tödlich verwundet. Der Vater zweier Kinder und ehemalige Feuerwehrhauptmann war nicht nur treuer Anhänger Donald Trumps, sondern auch ein frommer Christ und Kirchgänger.
Warum genau Gott derart Schreckliches wie die Tötung eines unschuldigen Familienvaters zulässt, wird uns hienieden immer ein Rätsel bleiben. Wir können aber darauf vertrauen, dass Gott jedes Übel, das er zulässt, letztlich in ein größeres Gut verwandeln wird. Er allein versteht es, selbst das Böse zum Instrument des Guten zu machen.
Bevor Trump die Bühne betrat, sprach der ukrainisch-katholische Priester Jason Charron das Eröffnungsgebet. Darin bat er um die Unterstützung des Heiligen Geistes, damit das amerikanische Volk mit Gott ins Reine komme, sich miteinander versöhne und daraus die Kraft schöpfe, das Land wieder großartig zu machen.
Alles nur politisches Kalkül?
In der Tat gibt es seit dem gescheiterten Attentat erste zarte Anzeichen dafür, dass der Paraklet eine Wende in den Herzen der politischen Eliten, allen voran im Inneren Trumps selbst, herbeiführen könnte. Wie der katholische Philosoph Edward Feser auf „X“ treffend analysierte, ist Trumps größtes Laster der Stolz und seine größte Tugend – wie nicht zuletzt seine unmittelbare Reaktion auf das Attentat bewiesen hat – der Mut. Da der Hochmut in der Regel auch den Jähzorn bedingt, wäre es zu erwarten gewesen, dass der in seinem Stolz verletzte Präsidentschaftskandidat mit wüsten Verbalattacken gegen seine politischen Gegner reagiert, die ihn in den letzten Jahren dämonisiert haben.
Doch bisher kam kein Wort des Zornes, keine Silbe des Hasses über Trumps Lippen. Stattdessen rückte er in einer gleichermaßen mitfühlend wie präsidial wirkenden Stellungnahme die Heilung der gesellschaftlichen Zerrissenheit und die Einheit aller Amerikaner in den Mittelpunkt: In diesem Augenblick, so Trump, sei es wichtiger denn je, zusammenzustehen und den wahren amerikanischen Charakter zu zeigen; das Böse dürfe den Sieg nicht davontragen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass hinter diesen Aussagen ein kluges politisches Kalkül steckt. Aber gerade Christen sollten nicht so zynisch sein, zu glauben, das politisch Opportune könne niemals mit dem Gottgefälligen zusammenstimmen.
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