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Eucharistischer Kongress: Ein großes Glaubensfest auf Budapests Straßen

Der Papst kam mit einer geistlichen Botschaft nach Budapest, nicht um Orbán zu belehren.
Papst kam mit einer geistlichen Botschaft nach Budapest
Foto: Gregorio Borgia (AP)

"Wo ist die Story?“, fragt nervös mein Sitznachbar im Pressezentrum auf dem Budapester Heldenplatz. „Was sagt der Papst gegen den Orbánismus?“, will er auf Englisch und Italienisch von Kollegen wissen. Wer mit diesem Spot den Papstbesuch in Ungarn beleuchtete, musste enttäuscht werden. Kein Showdown zwischen dem migrationsfreundlichen Franziskus und Viktor Orbán. Migration sei bei der Begegnung des Papstes mit Orbán, dessen Stellvertreter Zsolt Semjén und Staatspräsident János Áder – alle drei praktizierende Christen – gar kein Thema gewesen, ließ der Vatikan wissen. Es sei um die Rolle der Kirche, den Umweltschutz und die Förderung der Familie gegangen.

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Die Besucher des Kongresses interessieren sich nicht für Kritik an Orbán

Das konnte nicht alle Journalisten davon abhalten, Mahnworte des Papstes an die ungarische Politik oder Kirche herauszudestillieren. Vor einem „falschen Messianismus“ warnte Franziskus in seiner Predigt vor rund 200 000 Gläubigen, die sich auf dem Heldenplatz und in den umliegenden Straßen versammelt hatten. „Auch wir würden lieber einen mächtigen Messias haben als einen gekreuzigten Knecht“, doch zeige sich der Herr im Brot: „bereit, gebrochen, ausgeteilt und gegessen zu werden.“ Vor der „Logik der Welt“, wo nur Ehre, Privilegien, Stärke und Durchsetzungskraft zählten, warnte der Papst. Er lud ein, „unsere Religiosität vor der Eucharistie zu reinigen“.

Dann beim Angelus noch sein Appell, sich „zu verwurzeln ohne sich zu verschanzen“. War da nicht doch eine diplomatische Kritik an Orbán oder wenigstens an den ungarischen Bischöfen herauszulesen oder hineinzuinterpretieren? Oder sollte Franziskus gar selbst das sein, was er von Bischöfen und Priestern oft fordert: geistlicher Gottesmann statt politischer Protagonist? Die Menschenmassen – sichtlich aus allen Schichten der ungarischen Gesellschaft – die sich am vergangenen Sonntag ab den frühen Morgenstunden zu Fuß kilometerweit durch die Straßen von Budapest schoben, um mittags mit dem Papst zu feiern, stellten solche Fragen nicht. Da waren Alte und Junge, Familien mit kleinen Kindern, die geduldig viele Stunden auf den vierten Papstbesuch in der Geschichte des Landes warteten. Zweimal hatte Johannes Paul II. Ungarn mit seinem Kommen geehrt (1991 und 1996); zuvor hatte nur Leo IX. im Jahr 1052 das Königreich Ungarn besucht.

Papst trifft Vertreter der Ökumene und des Judentums

Vor der Messe auf dem Heldenplatz, auf dem eine Woche zuvor der 52. Internationale Eucharistische Kongress eröffnet worden war, traf der Papst im „Museum der Schönen Künste“ Vertreter der Ökumene und des Judentums, denen er die „Erziehung zur Geschwisterlichkeit“ ans Herz legte. Angesichts jüngster Missverständnisse um eigene Aussagen zur Tora, war es wichtig, dass der Papst den Antisemitismus als eine „Lunte, die gelöscht werden muss“ bezeichnete, und eine starke Geste, dass die jüdische Gemeinde ihm eine Tora-Rolle überreichte. „Wir Juden und Christen wissen, was es heißt, ein Fremder zu sein, verfolgt zu werden, zum Tode verurteilt zu werden“, meinte ein ungarischer Oberrabbiner in seiner Ansprache an Franziskus. Er sprach die dunklen Schatten der Vergangenheit an, aber auch die Annäherung: „Wir haben viel getan, um im anderen keinen Fremden, sondern einen Freund und Bruder zu sehen.“

Das katholische Ungarn auf den Straßen der Stadt

Der siebenstündige Besuch des Papstes in Budapest war der fulminante Schlussakkord einer achttägigen Symphonie namens Eucharistischer Kongress. Wie am Sonntag, so hatte die Polizei auch am Samstagabend Plätze und Hauptverkehrsadern in Budapest gesperrt, weil der Primas von Ungarn und Erzbischof von Esztergom-Budapest, Kardinal Péter Erdö, zur feierlichen Abschlussmesse des Kongresses auf den Kossuth-Platz vor dem Parlament geladen hatte. Mehrere zehntausend Gläubige fanden sich auf dem nach dem calvinistischen, anti-habsburgischen Freiheitskämpfer benannten Platz ein, doch eine weit größere Menschenmenge sammelte sich in den umliegenden Straßen.

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„Die Heilige Messe berührt die Herzen der Menschen auch heute“, sagte Erdö in seiner Predigt. Unter den rund hundert konzelebrierenden Bischöfen aus aller Welt waren der jüngst emeritierte Präfekt der Litugiekongregation, Kardinal Robert Sarah, und der Erzbischof von Quito in Ecuador, Alfredo José Espinoza. Ihm überreichte Erdö am Ende der Messe eine Miniatur jenes Missionskreuzes, das zum Symbol des Eucharistischen Kongresses erklärt worden war. In Quito nämlich wird 2024 der nächste Eucharistische Weltkongress stattfinden.

Ehrengast: Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel

Ehrengast hier wie später bei der Papstmesse war das Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie, der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios. Er sagte auf dem Kossuth-Platz: „Was wir in der heiligen Kommunion erfahren, kann nicht getrennt werden von unserem Leben in der Welt. Die Gläubigen, die sich in der Eucharistie mit dem Herrn vereinen, müssen auch in der Welt eucharistisch leben.“ So bekomme der „eucharistische Geist“ eine „verwandelnde Kraft für die Gesellschaft“. Vielleicht lag ja genau hierin der Grund, weshalb Menschen aus 74 Ländern trotz aller Corona-Hürden zum Internationalen Eucharistischen Kongress nach Budapest gekommen waren, um sich eine Woche lang Predigten, Katechesen und Impulse zur Eucharistie anzuhören?

Es waren mehrere Hunderttausend, die am Samstagabend in einer mehrstündigen Prozession singend, betend und mit Kerzen vom Parlament durch abgesperrte Straßen zum Heldenplatz zogen. Vorneweg Scharen von Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Rittern und Pfadfindern, dann von freundlichen Freiwilligen behutsam dirigiert die betenden Menschenmassen. Für ein paar Stunden übernahm das katholische Ungarn die sonst recht säkular wirkende Hauptstadt des Landes. Einen Vorgeschmack hatte es bereits am Vorabend gegeben, als zur eucharistischen Anbetung in die Stephansbasilika geladen wurde, doch nicht nur die große, nach dem heiligen Staatsgründer benannte Kirche, sondern auch der Vorplatz mit Betern gefüllt war. Auch hier hatte die Regie von Kardinal Erdö ein ökumenisches Zeichen gesetzt: Neben katholischen Verlagen waren auch ein lutheranischer Verlag und ein Stand der orthodoxen Eparchie auf dem Stephansplatz präsent.

Am Samstag lud die Kirche alle Familien zu einem fröhlichen Fest auf die grüne Margareteninsel Budapests ein. Katholische Orden, Bewegungen und Familieninitiativen präsentierten ihre Programme, boten vor allem Unterhaltsames für Kinder und Jugendliche, Erholung für die Eltern. Aus Deutschland war das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis mit einem Stand vertreten. Etwa 12 000 Jugendliche strömten am Freitagabend zum Jugendtreff „Forráspont“ (Siedepunkt), der zuerst lautes Rockkonzert, dann stille Anbetungsstunde war.

Eine Woche geistliche Inspiration und Vertiefung

Bereits am Mittwoch war der einwöchige internationale Kongress aus dem Messegelände in die ganze Stadt hinausgeschwappt. In vielen Kirchen zelebrierten Bischöfe und Kardinäle aus aller Welt Messen. Die moderne Vorstadtkirche „Zu den heiligen Engeln“ in Gazdagréti war bereits eine Stunde vor Messbeginn überfüllt, weil Kardinal Robert Sarah angekündigt war. Viele Menschen lebten heute, als ob es Gott nicht gebe, sagte der afrikanische Kurienkardinal in seiner Predigt. Ohne Gott sei jedoch das Leben selbst in Gefahr. „In der Stille geben wir Gott die Gelegenheit, zu unserem Herzen zu sprechen“, so Sarah, der warnte, dass Aktivismus das innere Leben zerstöre.

Erstaunlich wenig aktivistisch wirkte trotz hunderter Vorträge und paralleler Veranstaltungen in mehreren Sprachen der Eucharistische Kongress, dessen Kernprogramm fünf Tage lang das Messegelände „Hungexpo“ beherrschte. Da erzählten Bischöfe aus dem Irak, aus Myanmar, Kamerun, Nigeria und Korea von den Sorgen, Nöten und Leiden ihrer Gläubigen. Da inspirierten theologische Meister wie die Kardinäle Angelo Bagnasco und Dominik Duka. Da legten Innovatoren der pastoralen Erneuerung wie Johannes Hartl und der amerikanische Monsignore Michael White ihre Konzepte der Neuevangelisierung dar. „Wir wollen das Wochenende zu einem Erlebnis machen“, sagte White, der mit seinem Bestseller „Rebuilt“ berühmt wurde. Er erklärte, warum in seiner Pfarrei in Baltimore die Gastfreundschaft bereits auf dem Parkplatz beginnt. Wie auf dem Eucharistischen Kongress, den die Kirche von Ungarn zu einem Erlebnis gemacht hat.

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