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PRO: Keine Notlösung

Was für konfessionell-kooperativen Religionsunterricht spricht. Von Mathias Bröckl
Gemeinsamer Religionsunterricht
Foto: dpa | Pro: Es gibt gute Argumente, die für einen konfessionsübergreifenden Unterricht sprechen.

Religion ist privat“: 2009 noch widersprach die Linkspartei dem Volksbegehren „Pro Reli“, das die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religionsunterricht auch für Berlin durchsetzen wollte.

„Religion ist ein Teil unserer Lebenswelt. Religiöse Bildung ein unverzichtbarer Bestandteil allgemeiner Bildung.“ Das schreiben nicht nur Bischof Markus Dröge und Erzbischof Heiner Koch im Vorwort zum jetzt verabredeten „Schulcurriculum für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den Klassenstufen 1–6“, es scheint sich auch über den kirchlichen Bereich hinaus langsam sogar in Berlin durchzusetzen. Auch wenn „Pro Reli“ damals gescheitert ist, die Einschätzung wächst, dass es falsch ist, vielleicht sogar gefährlich, Religion ins Private zu verbannen. Das ist dann noch nicht wirklich „Pro Reli“, aber doch ein Schritt zu der Einsicht, dass wir religiöse Menschen sind. Vielleicht war es nie wichtiger als heute über den eigenen Glauben auskunftsfähig zu sein, im eigenen Bekenntnis zu Hause und gleichzeitig anschlussfähig. Überzeugungen bilden sich im offenen und öffentlichen Dialog mit anderen Überzeugungen. Der Religionsunterricht in konfessioneller Kooperation leistet dazu einen wesentlichen Beitrag.

Die Lebenswelt von katholischen Schülerinnen und Schülern im Erzbistum Berlin ist eine besondere: Zwar beträgt der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung rund neun Prozent, dennoch ist es in vielen Teilen der Stadt keine Seltenheit, dass nur ein Kind pro Klasse katholisch ist. Mehr als 25 000 Kinder und Jugendliche nehmen am katholischen Religionsunterricht teil, darunter aber auch Ungetaufte, Muslime oder evangelische Christen.

Auch die Rahmenbedingungen für den Religionsunterricht im Erzbistum Berlin sind besonders: Zwar refinanziert das Land Berlin auf einer komplizierten rechnerischen Grundlage den Religionsunterricht, doch gibt das Erzbistum Berlin zusätzlich rund fünf Millionen jährlich, um Religionsunterricht zu ermöglichen. Nur die Tatsache, dass Religionslehrerin mittlerweile ein Mangelberuf geworden ist, haben wir mit anderen (Erz-)Bistümern gemeinsam.

Das Projekt eines Religionsunterrichts in konfessioneller Kooperation ist keine Notlösung. Es ist das Ergebnis und die Grundlage für eine Ökumene, die schon in deutlich schwereren Zeiten zusammengestanden hat. Es ist daher kein Zufall, dass wir das Projekt an einer staatlichen Schule im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg vorgestellt haben. Regina Vertgewall für das Erzbistum Berlin und Sarah Venus für die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) wussten, dass sie nur gemeinsam stark genug sein könnten, ihr Angebot eines konfessionellen Religionsunterrichts dauerhaft zu etablieren. Schon seit langer Zeit sind sie nicht mehr nur geduldet, sondern eine echte Bereicherung des Schulalltags und des Kollegiums, wie der Schulleiter ungefragt zu Protokoll gibt.

Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht ist und bleibt konfessioneller Religionsunterricht. Ein Etikettenschwindel findet nicht statt. Ausgewiesen als Evangelischer Religionsunterricht beziehungsweise als Katholischer Religionsunterricht wird er konfessionell-kooperativ erteilt. Die entscheidende Rolle dabei spielt die Lehrkraft, die nicht neutral, sondern konfessionell eindeutig beheimatet ist. Auf dieser Grundlage ist der konfessionell-kooperative Religionsunterricht auch grundsätzlich offen für Schülerinnen und Schüler, die nicht der evangelischen oder der katholischen Kirche angehören.

Das Neue an diesem gemeinsamen Weg ist, dass evangelischer und katholischer Religionsunterricht nicht nebeneinander stehen, sondern unter besonderen Bedingungen in einem Fach kooperieren. Erzbistum und EKBO haben sich auf ein Curriculum verständigt, das sicherstellt, dass die Kernthemen in den Perspektiven beider Konfessionen unterrichtet werden.

Mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung durch die beiden Bischöfe besteht die Möglichkeit, den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht weiter zu entwickeln und zu profilieren. Dazu werden jetzt Schulen ausgewählt, zunächst in Berlin, dann auch in Brandenburg, bei denen dies mit Blick auf die Lerngruppengrößen geboten scheint. Ziel der konfessionellen Kooperation ist, dass religiöse Bildung in der Schule gestärkt und möglichst vielen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geboten wird, am Religionsunterricht teilzunehmen.

Gleichzeitig hat der konfessionell-kooperative Religionsunterricht die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler konfessionelle Perspektiven in ihrer Wechselseitigkeit zu verdeutlichen. Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht zielt in diesem Sinne auf Wahrnehmung und gegenseitige Verständigung. Ziel ist die Stärkung eines Bewusstseins für die eigene Konfessionalität, im Wissen um unterschiedliche konfessionelle Prägungen und religiös-weltanschauliche Überzeugungen.

Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht ist ein sichtbares Ergebnis des zu Ende gehenden Christusjahres. Denn er zeigt, was möglich ist und was nicht.

„Ökumene bewährt sich auch in den Differenzen“, so Erzbischof Koch bei der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung. Die Kooperation im Religionsunterricht leugnet keineswegs bestehende Differenzen, im Gegenteil, vielleicht macht sie sie sogar umso schmerzlicher deutlich. Grundlage für die Kooperation ist natürlich ein Vertrag, aber dieser Vertrag ist getragen von einem grundsätzlichen Vertrauen. Einem Vertrauen, nicht vereinnahmt zu werden, einem Vertrauen, das, was gemeinsam gemacht werden kann, auch gemeinsam anzugehen. Es wurde – nicht nur in diesem Zusammenhang – der Begriff der „versöhnten Verschiedenheit“ kritisch bewertet. Dabei trifft er es ganz gut, wenn wir den darin liegenden Widerspruch aushalten zwischen der Versöhnung und der Verschiedenheit. Und uns nicht mit dem Erreichten zufriedengeben. Religion ist ein Teil unserer Lebenswelt. Die Kooperation im konfessionellen Religionsunterricht trägt dazu bei, dass es so bleibt.

Mathias Bröckl, Schulrat im kirchlichen Angestelltenverhältnis, ist Leiter der Abteilung Religionsunterricht im Erzbischöflichen Ordinariat Berlin.


Hintergrund

Das Erzbistum Berlin geht in Sachen Religionsunterricht zukünftig einen ökumenischen Sonderweg: Mit der Vereinbarung, die am 13. Oktober vom evangelischen Bischof Markus Dröge und Erzbischof Heiner Koch in Berlin unterzeichnet wurde, wollen die Kirchen angesichts der besonderen Herausforderungen des Religionsunterrichts insbesondere in Berlin und Brandenburg einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den Schulen anbieten.

Das bisherige Modell des nach der jeweiligen Konfession getrennten Religionsunterrichts solle auf diesem Wege weiterentwickelt werden, teilte das Erzbistum Berlin in einer Pressemitteilung mit. Das Ziel sei die Bildung stabiler Religionsgruppen, ein effektiver Personaleinsatz und nicht zuletzt die Stärkung der religiösen Bildung in der Schule. „Das Neue an diesem gemeinsamen Weg ist, dass evangelischer und katholischer Religionsunterricht nicht nebeneinander stehen“, sagt der Berliner Erzbischof Heiner Koch (Foto: dpa), „sondern unter besonderen Bedingungen in einem Fach kooperieren, wobei sichergestellt ist, dass die Kernthemen in den Perspektiven beider Konfessionen unterrichtet werden.“ Überzeugungen bildeten sich im Dialog mit anderen Überzeugungen, ergänzt Koch. „Der Religionsunterricht in konfessioneller Kooperation leistet dazu einen wesentlichen Beitrag.“

Ähnliche Kooperationen wollen die Bistümer Aachen, Essen, Münster und Paderborn mit den drei evangelischen Landeskirchen von Nordrhein–Westfalen eingehen. Demnach soll ab dem Schuljahr 2018/19 aufgrund der rückläufigen Zahl an christlichen Schülern ein konfessionell-kooperativer Religionsunterricht angeboten werden.

Eine Ausnahme bildet das Erzbistum Köln, welche sich nicht an dem Projekt beteiligt. Dort sei weiterhin mehr als jeder dritte Schüler katholisch, sodass kein Handlungsbedarf für alternative Modelle bestehe, hieß es zur Begründung. Die evangelische Kirche im Rheinland bedauere diesen Entschluss und sei enttäuscht über das Erzbistum.

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte sich kürzlich in Fragen der Ökumene zu Wort gemeldet und auf die Unterschiede zwischen den Konfessionen und das fehlende Christusbekenntnis hingewiesen.

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