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Die Visitation im Erzbistum Köln betrifft die Glaubwürdigkeitskrise der Kirche in Deutschland. Diese nagt nicht nur an den Gläubigen am Rhein. Ein Kommentar.
Erzbistum Köln - Dom
Foto: Oliver Berg (dpa) | Papst Franziskus hat eine Überprüfung des Erzbistums Köln von Kardinal Woelki angeordnet. Er entsendet eine sogenannte Apostolische Visitation in das größte deutsche Bistum, das sich seit Monaten in einer Krise befindet.

Krise könne ein produktiver Zustand sein, behauptete der Schriftsteller Max Frisch. Man müsse ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Das Eingreifen des Vatikan im Erzbistum Köln bietet durchaus die Chance, ein Befreiungsschlag für den im Lagerdenken erstarrten deutschen Katholizismus zu werden. Die Apostolische Visitation durch Kardinal Arborelius von Stockholm und den Vorsitzenden der Niederländischen Bischofskonferenz, Bischof van den Henden schafft Raum für Gespräche und den besonnenen Blick von außen. Vor allem ist sie eine Abfuhr an jene, die Kardinal Woelki einen kurzen, demütigenden Prozess gewünscht hätten.

Der Vatikan schwingt kein Fallbeil gegen Woelki

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Wäre der Papst deren Vorstellungen gefolgt, so hätte der Münsteraner Bischof Genn als Dienstältester der Rheinischen Kirchenprovinz im Auftrag des Heiligen Stuhls über Woelkis Zukunft mitentschieden. Doch der Vatikan schwingt kein Fallbeil gegen Woelki und hat davon abgesehen, die vorliegenden Rücktrittsgesuche aus Köln zügig anzunehmen. Kardinal Arborelius gehört einer Bischofskonferenz an, deren Beobachter bei der letzten Synodalversammlung freimütiger als jeder andere ausländische Gast die Defizite des Synodalen Wegs ansprach. Selten wurde innere Unabhängigkeit von finanziellen Zuwendungen aus Deutschland an die eigene Ortskirche eindrucksvoller unter Beweis gestellt.

Nun wird die „komplexe pastorale Situation“ im Erzbistum zur Sprache kommen – und diese lässt sich nicht schwarz-weiß abbilden. Mancher wertkonservative Katholik am Rhein hadert derzeit mit dem Kardinal, während kirchlich fernstehende Missbrauchsbetroffene eisern zu Woelki halten. In vielen Pfarreien konnte der Kardinal in den vergangenen Wochen völlig unbehelligt firmen. Ob der Synodale Weg zur Folie der Visitation wird, bleibt abzuwarten. Ungeachtet aller Polarisierungen eint die Gläubigen im Erzbistum Köln die Überzeugung, dass eine strafrechtliche Aufarbeitung von Missbrauchsfällen allein die Wogen nicht dauerhaft glätten kann. Über alle Fronten hinweg unbestritten ist auch, dass die Seelsorge und die Förderung der Pfarreien stärker in den Fokus der Bistumsleitung rücken sollten. Nichts hat an der Kölner Basis mehr Schaden angerichtet als der Eindruck, die eigene Pfarrei rangiere auf der Prioritätenliste des Bistums weit unten.

Wunsch nach glaubwürdigen Hirten

Auch wenn sich die Kölner Bischöfe aufgrund ihrer Treue zum Lehramt beim Synodalen Weg in der unbequemen Rolle der Opposition gegen eine liberale Mehrheit im deutschen Episkopat wiederfinden, deren Rolle in der Missbrauchsaufarbeitung alles andere als geklärt ist, sind sie doch Prototypen für das, was manchem deutschen Bischof noch bevorstehen könnte. Den Wunsch nach glaubwürdigen Hirten haben nicht nur die Gläubigen am Rhein. Auch in Essen, Trier, Münster und München hat das Vorgehen der Bistumsleitung bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen nicht alle überzeugt, obwohl man dort noch längst nicht so weit ist wie am Rhein.

An welchen Kriterien die Glaubwürdigkeit eines Bischofs und seine Möglichkeit, pastoral zu wirken, festgemacht werden, was berechtigte Kritik und was billiges Mobbing ist, sind Fragen, zu deren Klärung die Visitatoren beitragen können. An der Glaubwürdigkeit der Hirten scheiden sich allerorten die Geister. Zöge man die Linien von Köln heute konsequent aus, wären etliche deutsche Bistümer reif für eine Visitation.

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