Erzbistum Köln

Kardinal Woelki: Vom Geächteten zum Pionier

Kardinal Woelki hat in der Missbrauchsaufarbeitung Maßstäbe gesetzt. Nun hat er mehr Beinfreiheit.
Kardinal Woelki räumte Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen ein
Foto: Oliver Berg (dpa-Pool) | Mit Blick auf systembedingte Ursachen falschen Umgangs mit Missbrauchsfällen regte Kardinal Woelki Änderungen im Kirchenrecht an.

Im Erzbischöflichen Haus in Köln sind in dieser Woche laetarefarbene Rosen angeliefert worden: ein Dankeschön von Gläubigen an Kardinal Woelki für die durchgehaltene Durststrecke während der letzten Monate. Der Gang zum "medialen Schafott" (Björn Gercke) ist Woelki nicht nur erspart geblieben, weil sowohl das Gercke-Gutachten als auch das nicht gerichtsfeste Gutachten der Münchner Kanzlei, in das in den nächsten Tagen Einblick gewährt wird, ihm keine Pflichtverletzungen bescheinigen. Auch das respektvolle Schweigen der deutschen Bischöfe und zahlreicher Gremien spricht dafür, dass das Erzbistum Köln in puncto Missbrauchsaufarbeitung Standards gesetzt hat - trotz einiger reflexartiger, durchaus unreflektiert wirkender Kritiken unmittelbar nach der Veröffentlichung. 

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Unbequeme Lehren für künftige Entscheidungen

Das Kölner Gutachten liefert unbequeme Lehren für künftige Entscheidungen: absolute Transparenz über das Vorgefallene dürfte unerreichbar bleiben. Auch Frauen in Führungspositionen sind kein Selbstläufer. Die Justitiarin, der neun Pflichtverstöße vorgeworfen werden, begann ihre Laufbahn in der Ära Meisner als Vorzeigefrau des Erzbistums.

Selbst der Münsteraner Kirchenrechtler und notorische Woelki-Kritiker Thomas Schüller schwenkte schließlich ein und ließ sich in der Kölnischen Rundschau mit der Einschätzung zitieren, das Gutachten sei "grundsolide". Am Dienstag berichtete Generalvikar Markus Hofmann - das Gercke-Gutachten bescheinigt ihm ebenso wie Kardinal Rainer Maria Woelki, dass er keine Pflichtverletzung begangen hat - dass bereits Anfragen nach dem Gutachten aus dem Ausland vorliegen. In einer empathischen und zugleich sehr dezidierten Ansprache hatte der Kölner Erzbischof zuvor noch einmal begründet, warum er einen Rücktritt ablehnt: "Die moralische Verantwortung einfach mitnehmen und gehen zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche - das ist mir zu einfach. Und in meinen Augen ist es auch falsch: So ein Rücktritt wäre nur ein Symbol, das nur für eine kurze Zeit hält." Er könne es nur aus seinem Amt heraus besser machen und werde in Zukunft alles dafür tun, dass möglichst keine Fehler mehr passieren können. Rückhalt erfährt der Kardinal auch von Betroffenen. Claudia Blessing, Mitglied im Betroffenenbeirat des Erzbistums, zeigte sich gegenüber dieser Zeitung dankbar für die Entscheidung des Kardinals, den Strafrechter Gercke mit der Untersuchung beauftragt zu haben. "Es hat sich gelohnt", stellte sie mit Blick auf die im Oktober getroffene Entscheidung des Kölner Oberhirten fest, das Münchner Gutachten nicht zu veröffentlichen.

Erneut räume Woelki Fehler ein

Erneut räumte Woelki am Dienstag Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen ein und zitierte noch einmal den Bannspruch, der ihm aus Kirchenkreisen in der erhitzten Debatte der letzten Monate entgegengeschlagen war. "Du schadest uns allen". Dieser Einschätzung wird inzwischen von den Betroffenen selbst widersprochen (Seite 9). Dennoch bleibt der Blick in die Zukunft von Selbstkritik untermauert: Woelkis Maßstäbe an sich selbst liegen höher als das Vermeiden justiziabler Entscheidungen: Es gehe nicht nur darum, das Richtige zu tun, "sondern alles Menschenmögliche zu tun. Und das habe ich nicht getan." Mit Blick auf den bundesweit bekannt gewordenen Fall des Düsseldorfers Pfarrers O., der Woelki persönlich nahestand, unterstrich der Kardinal, es wäre besser gewesen, wenn er den Fall nach Rom gemeldet hätte.

Mit Blick auf systembedingte Ursachen falschen Umgangs mit Missbrauchsfällen regte der Kardinal Änderungen im Kirchenrecht an. So müssten Verjährungsfristen von sexualisierter Gewalt ausgeweitet und Widersprüche im Kirchenrecht und in den Leitlinien der deutschen Bischöfe zum Umgang mit Missbrauchsfällen ausgeräumt werden. Woelki kritisierte auch, dass Missbrauchstaten von Priestern im kirchlichen Recht immer noch nur als Verstoß gegen das Zölibatsversprechen gesehen würden. Ausdrücklich forderte er einen Perspektivwechsel hin zur Sicht der Opfer. 

Erzbistum Köln stellt Acht-Punkte-Plan auf

Zwecks praktischer Umsetzung hat das Erzbistum dafür einen Acht-Punkte-Plan aufgestellt: Die Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission, zu der Kardinal Woelki bereits am 15. März eine Vereinbarung mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Johannes Wilhelm Röhrig unterzeichnet hat. Hinzu kommen Mittel für die erhöhten Anerkennungsleistungen für Betroffene, eine regelmäßige Kontrolle beschuldigter Kleriker und Laien, die personelle und organisatorische Stärkung der Intervention, die Evaluierung und Weiterentwicklung der Prävention, die zukünftige Arbeit des Betroffenenbeirats entsprechend der Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz sowie eine verbesserte Aktenführung durch Digitalisierung, Nachverfolgbarkeit und Manipulationssicherheit. Ein weiterer wichtiger Baustein sind Veränderungen in der Priesterausbildung durch eine psychologische Standortbestimmung, ein Vorbereitungsjahr mit Sozialeinsätzen und eine stärkere Einbeziehung von Frauen in der Ausbildung.

Wie die vom Dienst freigestellten Kleriker künftig innerhalb der Diözese aufgestellt sein werden, entscheidet Kardinal Woelki nicht allein. Das Kölner Domkapitel hat sich in dieser Woche bereits mit der Frage befasst. Eine Entscheidung steht aber noch aus. Das selbe gilt für die Frage, wie jener durchaus respektierter Verstorbener künftig gedacht wird, denen das Gutachten Pflichtverletzungen bescheinigt, darunter die Kardinäle Höffner und Meisner. Vor allem stellt sich nun die Frage, ob Kardinal Woelki die nötige Beinfreiheit wiedergewonnen hat, um sich anderen Debatten zu widmen. Sein klares Nein zu Segnungen homosexueller Partnerschaften im "Bonner Generalanzeiger" dürfte ein Vorbote gewesen sein. 

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