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Georg Michael Wittmann - Reformer in wirren Zeiten

Martin Lohmann präsentiert Bischof Wittmann als priesterliches Vorbild für die Gegenwart. Von Stefan Meetschen
Bischof Georg Michael Wittmann
Foto: Bistum Regensburg | Bischof Georg Michael Wittmann.

Synodaler Weg, neue pastorale Ideen und Empfehlungen – es mangelt in der Katholische Kirche nicht an Versuchen, die Kirche und den Glauben attraktiver machen zu wollen, um den priesterlichen Dienst in ein vermeintlich schöneres Licht zu rücken. Näher am Menschen, näher an der postmodernen Lebenswirklichkeit soll der Katholizismus sein, um die Kirche vor dem statistischen Ausbluten zu bewahren. Zeitgemäßer soll die Ecclesia sein und damit, so meint man, auch attraktiver für der Kirche Fernstehende.

Eine aktuelle Biographie des etwas in den Gedächtnishintergrund getretenen Regensburger Bischöfe Georg Michael Wittmann (1760–1833), verfasst von dem bekannten, auch für diese Zeitung schreibenden Publizisten Martin Lohmann zeigt nun, dass die derzeitige Krise der Kirche eigentlich kein wirkliches Novum ist – eine ähnliche Krise gab es mindestens auch schon einmal in der Zeit zwischen Aufklärung und Säkularisierung, als die Kirche in Bayern (aber nicht nur dort) intern wie extern von einer toxischen Mischung aus spießbürgerlicher Laxheit und freimaurerischem Relativismus bedroht wurde.

Und so wie damals scheinen auch heute die Lösungen eigentlich auf der Hand zu liegen: die Treue zu Jesus Christus, zur katholischen Lehre und Tradition, das Streben nach Heiligkeit, was immer auch die Nähe zum Menschen und die nötige Distanz zum Staat umfasst. Ein einfaches Programm, eigentlich, das Lohmann anhand der Person des ebenso emsigen wie demütigen Geistlichen Wittmann mit bewährter stilistischer Grandezza entfaltet: „Wittmann war kein Gegner des aufgeklärten Zeitgeistes. Es wäre für seinen eigenen Geist zu plump und eine Beleidigung gewesen, einfach nur ,dagegen‘ zu sein. Als intelligenter und geistesfreier Mensch las er zunächst einmal viel, um sich zu wappnen für eine dann notwendige Auseinandersetzung. Er suchte nach Argumenten und Begründungen, warum man einer doch letztendlich einseitig gegen den Glauben gerichteten Aufklärung und dem damit verbundenen Zeitgeist gegen die Kirche und ihre Seelsorge inhaltlich Alternativen und Ergänzungen, ja Korrekturen zufügen müsse.“

Kluges Abwägen im Licht des Glaubens

Der langjährige Regens des Bistums Regensburg habe eine ignatianische Herangehensweise gepflegt, ein kluges Abwägen im Lichte des Glaubens, weshalb ihm eine allzu große Nähe zum Staat missfiel. „Das System des aufgeklärten Staatskirchentums“, so Lohmann, „attackierte Wittmann, denn ihm war bewusst, dass dessen Priesterbild mit dem eines gottergebenen und durch das Gebet im Herzen freien sowie ausschließlich der Kirche treuen Seelsorgers nicht ganz kompatibel war.“ Weshalb sich der Kant-Kenner Wittmann in aller Entschiedenheit staatliche Einmischung bei der Selektion von Weihe-Kandidaten verbat. Auch bei der damals aufkeimenden Frage der konfessionsübergreifenden Ehe nahm Wittmann, angelehnt an das Konzil von Trient, einen eindeutig katholischen Standpunkt ein. Nicht aus engstirniger Verbohrtheit, sondern aus pastoraler Sorge und aus Realismus. Wie überhaupt, das macht Lohmann auf den verschiedenen biographischen Stationen mit Empathie deutlich, Realismus ein wichtiges charakterliches Kennzeichen der Persönlichkeit Wittmanns war.

Fünf Stunden Schlaf, vierzehn Stunden Arbeit

Denn: Auch und gerade in geistlichen Dingen liebte der Vielleser und Vielbeter Wittmann, der jeden Tag genau durchstrukturierte (fünf Stunden Schlaf, 14 Stunden Arbeit, eine Stunde Essen, vier Stunden Schriftlesung, Meditation und Anbetung), Klarheit und Geradlinigkeit. Das regelmäßige Gebet betrachtete er als das Fundament schlechthin – persönlich wie kirchlich. O-Ton Lohmann: Der „wache, sensible und kluge Beobachter im geistlichen Gewande“ bezweifelte nicht, „dass die Krise des Glaubens mit dem Schwinden des Gebetes etwas zu tun hatte. Und wenn es zu einer Erneuerung, zu einer im besten Sinne notwendigen Reform der Kirche mit ihrer eben auch dort vorhandenen Krise des Gebetslebens kommen sollte, müssten zuerst die Begeisterung wie auch die Selbstverständlichkeit des häufigen Gespräches und der ehrfurchtsvollen Anbetung Gottes neu entdeckt werden.“

Der Autor, der sich auf Wittmanns Schriften und die wichtigsten bisher erschienenen biographischen Texte stützt und diese immer wieder auch mit theologischen Reflexionen Benedikts XVI., Johannes Pauls II. und des Zweiten Vatikanischen Konzils in Beziehung setzt und damit in die Gegenwart transportiert, lässt keinen Zweifel daran, dass Wittmann diese Überzeugung authentisch vorlebte. Es war wohl gerade das disziplinierte Verwurzelt-Sein im Gebet, sowie eine früh kultivierte verbale Zurückhaltung, die Wittmann nicht nur die Fähigkeit schenkte, das wissenschaftliche und soziale Engagement zu verbinden, sondern die ihm auch früh den Ruf der Heiligkeit einbrachte. Bedenkt man, dass bereits 1956 ein Seligsprechungsprozess eingeleitet wurde, so gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass das Buch „Georg Michael Wittmann. Bischöfe, Seelsorger und Reformer“, zu dem Bischöfe Rudolf Voderholzer das Geleitwort verfasst hat, der Causa Wittmann eine neue Dynamik verleihen könnte. Martin Lohmann jedenfalls hat seinen Teil dazu beigetragen, um das stets demütig gesenkte Haupt des Hirten öffentlich neu emporzuheben. Informationsboxen, eine Zeitleiste sowie eine Übersicht der Regensburger Bischöfe zu Wittmanns Lebzeiten runden dieses gelungene Buch ab, das mit Auszügen aus Wittmanns Exerzitien-Texten zusätzlich geschmückt wird. Das ideale Buch für den Erstkontakt mit einem großen Hirten.

Martin Lohmann: Georg Michael Wittmann. Bischöfe, Seelsorger und Reformer. Verlag Friedrich Pustet, 2019, 152 Seiten, ISBN 978-3-7917-3038-7, EUR 12,95

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