Seit der Wahl Leos XIV. herrscht nicht nur unter zahlreichen Gläubigen weltweit geistliche Aufbruchsstimmung. Der Wechsel an der Spitze der katholischen Kirche hat auch der Rolle des Vatikans auf dem diplomatischen Parkett neues Gewicht verliehen. In einem kriegerischen Konflikt tritt dies besonders zutage: Viele erhoffen sich, dass der neue Papst einen entscheidenden Beitrag in den Bemühungen um einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine leisten kann.
Neue Nahrung gab dieser Hoffnung nicht zuletzt der US-Präsident Donald Trump, als er am Montag nach einem Telefonat mit Russlands Machthaber Wladimir Putin verkündete, der Vatikan unter Leo XIV. könnte der Ort potenzieller Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien sein. Am Dienstag bedankte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, den Leo XIV. am Rande seiner Inthronisierung in Audienz empfangen hatte, beim Papst dafür, dass sich der Vatikan als Gastgeber solcher Gespräche angeboten habe.
Leo XIV.: „Für einen gerechten und dauerhaften Frieden“
Auch wenn der Wunsch nach Frieden groß ist: In dem nun seit mehr als drei Jahren tobenden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war man schon oft an dem Punkt, an dem Verhandlungen unmittelbar bevorzustehen schienen. Die Kampfhandlungen fanden dennoch kein Ende. Wird sich dies nun unter Leo XIV. ändern? Fakt ist, dass der Papst seit Beginn seines Pontifikats einen diplomatischen Kurs verfolgt, mit dem er auf ein Ende der Kampfhandlungen drängt, ohne Opfer und Aggressor gleichzusetzen. Nach seiner Messe zur Amtseinführung am Sonntag betonte er: Die Ukraine warte auf Verhandlungen „für einen gerechten und dauerhaften Frieden“.
Man mag die diplomatischen Bemühungen des vatikanischen Zwergstaats belächeln, doch man sollte sie keinesfalls unterschätzen: In der jüngeren Vergangenheit traten Päpste immer wieder als Vermittler in internationalen Konflikten auf und verhinderten oft Schlimmeres, womöglich sogar einen Atomkrieg. So schreiben Historiker Johannes XXIII. (1958-1963) maßgeblichen Einfluss darauf zu, dass es während der Kuba-Krise im Oktober 1962 nicht zu einer Eskalation des Kalten Krieges kam. Und auch der unmittelbare Namensvorgänger des amtierenden Papstes, Leo XIII., trieb die Bemühungen des Vatikans als Friedensvermittler in zahlreichen internationalen Auseinandersetzungen voran. Sogar Franziskus, der aus diplomatischer Perspektive eher mit dem Scheitern seiner Friedensmission zwischen Russland und der Ukraine in Verbindung gebracht wird, kann auf Erfolge bauen: Zum einen bereitete er der Annäherung zwischen Kuba und den USA 2015 den Weg. Weit weniger gewürdigt wurde die Vermittlerrolle des argentinischen Papstes zwischen den Konfliktparteien im Südsudan. Machtlos ist der Vatikan also gewiss nicht.
Direkte Friedensverhandlungen im Vatikan gab es nie
Was es in der jüngsten Geschichte nie gab, sind direkte Friedensverhandlungen auf vatikanischem Boden. Das muss allerdings nicht heißen, dass ebensolche in absehbarer Zeit nicht tatsächlich dort stattfinden werden. Auch der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gab am Dienstag über die staatliche Nachrichtenagentur Tass bekannt, der Vatikan habe eine entsprechende Erklärung abgegeben, man sei sich des Angebots bewusst. Ein Angebot ist jedoch die eine Sache. Ob beide Seiten es auch annehmen würden, steht in den Sternen. Schon einmal ließ Putin Selenskyj abblitzen, als letzterer sich zu einem persönlichen Treffen in Istanbul bereit zeigte. Die Ukraine jedoch macht direkte Gespräche mit Putin zur Grundbedingung, um sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
Welche Strahlkraft vom Vatikan ausgeht, hatte schon das kurze, aber in der Bildsprache ikonische Treffen zwischen Trump und Selenskyj im Petersdom am Rande der Trauerfeier für Franziskus gezeigt. Der Vatikan befand sich zu der Zeit in Sedisvakanz, die Wirkung blieb zunächst auf die symbolische Ebene begrenzt. Nun ist der Stuhl Petri wieder besetzt – mit einem Pontifex, der in den drängendsten politischen Fragen der Zeit entschlossen zu agieren scheint. Ein Funken der Hoffnung angesichts der ansonsten trüben Aussichten.
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