Hohes Haus – Gebäude bekommen eigentlich keine protokollarische Anrede. Der Bundestag ist aber nicht irgendein Gebäude, sondern eine Institution, eine Institution mit Würde. Und wer zu ihm spricht, der redet nicht nur zu seinen Abgeordnetenkollegen, er spricht, wenn man so will, zu Deutschland. Denn das zeichnet das Parlament aus: Jeder Abgeordnete repräsentiert das ganze deutsche Volk.
Dies scheint leider immer öfter vergessen zu werden. Ganz konkret: Auch die Abgeordneten der AfD sind Repräsentanten des Volkes. Ob einem das gefällt oder nicht. Über die Wahl ins Parlament entscheiden eben die Wähler und nicht irgendeine Kommission, die vorher prüft, wer denn moralisch zuverlässig sei oder nicht.
Forderungen nach mehr "direkter Demokratie"
Mit diesem Repräsentationsmodell ist die Bundesrepublik in den letzten sieben Jahrzehnten sehr gut gefahren. Trotzdem gibt es immer wieder Stimmen, die mehr sogenannte „direkte Demokratie“ einfordern. Etwa durch Volksabstimmungen. Da haben wir auch schon gleich den entscheidenden Begriff: Volk.
In der politischen Geschichte reklamieren immer wieder Gruppen für sich, im Namen des Volkes zu sprechen. Sie nehmen dann in Anspruch, zu wissen, was der „volonté générale“ sei. Solche Demagogen (hier passt der Begriff tatsächlich) bedienen sich gerne der Instrumente der sogenannten „direkten Demokratie,“ um das übliche parlamentarische Verfahren zu umgehen.
Wir sollten solchen Verführungen widerstehen, die hergebrachten Institutionen zu schwächen. Die Skepsis, die ganz gewiss viele Bürger dem Parlament entgegenbringen, ist alt. Die „Quatschbude“ von der einst Kaiser Wilhelm mit Blick auf den Reichstag seiner Zeit sprach, leider eine Vorstellung, die auch heute noch ihre Anhänger hat. Dagegen hilft nur Bildung: Parlamentarismus ist ein demokratischer Stil, den nicht nur Abgeordnete einzuüben haben. Der Bürger an sich kann hier etwas darüber lernen, wie demokratischer Streit in unserer Gesellschaft durch Verfahren geregelt wird. Wer das weiß, wird nicht mehr seltsam gucken, wenn das Wort vom „Hohen Haus“ fällt.
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