Ausgerechnet im Umgang mit dem Souverän, dem eigenen Volk, erweisen sich seine gewählten Vertreter häufig so sensibel wie ein Schaufelbagger-Geschwader. Jüngstes Beispiel: die Biopolitik. Just auf einem Feld, auf dem es für viele Bürgerinnen und Bürger wenn auch keineswegs nur, so doch auch um unbedingte Überzeugungen geht, im Grunde also um Unverhandelbares, stellen die oft ethisch äußerst flexiblen Abgeordneten wieder einmal unter Beweis, was ihnen solche Überzeugungen wert sind. Nämlich wenig bis überhaupt nichts.
Anders lässt sich nicht erklären, dass der Bundestag sich anschickt, auf den letzten Metern bis zu den Neuwahlen am 23. Februar mit der „Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ und der „Einführung einer Widerspruchsregelung“ bei der Organspende gleich zwei ethisch heftig umstrittene Gesetzesvorlagen doch noch in Windeseile durch das Parlament zu prügeln.
Das Volk bleibt auf der Strecke
Nicht, dass es unmöglich wäre, binnen der verbleibenden fünf Sitzungswochen jeweils eine Öffentliche Anhörung von Sachverständigen durchzuführen, beide Gesetzesvorlagen in den zuständigen Fachausschüssen und im Anschluss daran ein letztes Mal im Parlament zu beraten. Nur bleibt das Volk dabei ein weiteres Mal auf der Strecke. Dass hinter beiden Vorhaben jeweils auch eine mächtige Lobby sitzt, für die es dabei auch um viel Geld geht, macht die Sache selbstverständlich nicht besser, sondern schlimmer. „Seht, um wen wir uns kümmern“, lautet die unausgesprochene Botschaft, die die Parlamentarier damit an das Volk senden.
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat“ lebe „von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren“ könne, lautet das so berühmte wie vielzitierte „Böckenförde-Diktum“. Zu diesen Voraussetzungen gehört auch, dass die Bürger ausreichend Zeit erhalten, sich bei derart komplexen Fragen mit den Fakten vertraut zu machen, sich Meinungen bilden und – wo vorhanden – auch unbedingte Überzeugungen artikulieren zu können.
„Beinfreiheit“ und die „unterspülte Demokratie“
Handstreichartig durchgeführte Gesetzesverfahren vermögen zwar die heißen Themen aus dem Wahlkampf herauszuhalten und ermöglichen Politikern zweifellos mehr „Beinfreiheit“. Am Ende aber hinterlassen sie bei den Wählerinnen und Wählern vor allem das Gefühl der Übertölpelung und Überwältigung.
Der Eindruck, nicht hinreichend gehört oder gar „stumm geschaltet“ zu werden, ist wie ein Bumerang. Der aufgestaute Frust entlädt sich in den Sozialen Netzwerken, wo er von AfD und BSW – Protestparteien, die es nur aus diesem Grunde gibt – mühelos „bewirtschaftet“ und bei Bedarf auch radikalisiert werden kann. „Projekten“ mag auf diese Weise zum Sieg verholfen werden. Doch mit jedem dieser „Siege“ wird die Demokratie nur weiter ausgehöhlt und gefährlich unterspült, bis sie am Ende von niemandem mehr vermisst wird.
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