Drei Jahre nach „Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization“, mit dem der Oberste Gerichtshof der USA sein Grundsatzurteil „Roe v. Wade“ aus dem Jahre 1973 kassierte und die rechtliche Regelung vorgeburtlicher Kindstötungen wieder an die Parlamente der Bundesstaaten verwies, ist aus dem Kampf gegen Abtreibung einer gegen die Abtreibungspille geworden. Wundern kann das nicht. Bei 63 Prozent aller vorgeburtlichen Kindstötungen ist die „abortion pill“ mittlerweile das „Mittel der Wahl“. Nun hat das tödliche Präparat Gesellschaft bekommen.
Anfang des Monats erteilte die Arzneimittelbehörde „Food and Drug Administration“ (FDA) dem Pharmahersteller „Evita solutions LLC“ die Erlaubnis, eine generische Version der Abtreibungspille auf den Markt zu bringen. Die still und heimlich erteilte Lizenz hat Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus gegen die FDA und Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. aufgebracht. Senator Josh Hawley, einer der Wortführer des „Project 2025“, scheute sich nicht, von „Verrat“ an den Lebensrechtlern zu sprechen, die Präsident Trump und seinen Vize Vance erst in ihre Ämter gebracht hätten. Der „Washington Examiner“ zitiert den Republikaner, der den Staat Missouri im Senat vertritt, mit den Worten, er sei von der Trump-Administration über die Entscheidung „getäuscht“ worden. Auf dem Kurznachrichtendienst „X“ legte Hawley noch einmal nach: „Die FDA hatte versprochen, eine umfassende Sicherheitsüberprüfung des chemischen Abtreibungsmittels durchzuführen, stattdessen hat sie jedoch gerade grünes Licht für den Vertrieb neuer Versionen dieses Mittels gegeben. Ich habe das Vertrauen in die Führung der FDA verloren.“
Die Regierung hält sich nur ans Gesetz? Nun ja.
Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, verteidigte die FDA. Die Zulassung des Präparats sei keine „Befürwortung dieses Medikaments“. Die Beamten hielten sich „lediglich an das Gesetz“. Tatsächlich sieht Titel 21 des „United States Code“, wie die Sammlung sämtlicher Bundesgesetze genannt wird, vor, dass das Gesundheitsministerium Generika, die chemisch mit einem bereits zugelassenen Präparat identisch sind, nicht die Zulassung verweigern darf. Allerdings gilt das nur, wenn die vom Hersteller vorgelegten Daten den Standards für Sicherheit und Wirksamkeit entsprechen.
Und genau daran gibt es erhebliche Zweifel. Ende April hatte das „Ethics & Public Policy Center“ eine Studie veröffentlicht, welche die Versicherungsdaten von 865 272 Frauen auswertete, denen zwischen 2017 und 2023 der Wirkstoff Mifepriston zum Zweck einer vorgeburtlichen Kindstötung verschrieben wurde. Das schockierende Ergebnis: In rund elf Prozent der Fälle erlitten Frauen binnen 45 Tagen nach einer Abtreibung mit Mifepriston „eine Sepsis, eine Infektion, eine Blutung oder ein anderes schwerwiegendes oder lebensbedrohliches unerwünschtes Ereignis“ – und damit rund 22 mal so häufig, wie vom Hersteller ursprünglich angegeben.
Dazu muss man wissen: 2016 hatte die FDA die Zulassung des Präparats zur Durchführung von Abtreibungen von der siebten Schwangerschaftswoche auf die zehnte ausgeweitet und zugleich die Zahl der erforderlichen Arztbesuche von drei auf einen reduziert. Außerdem genehmigte die Behörde die Verschreibung des Präparats durch „Nicht-Ärzte“ und hob die Pflicht zur Berichterstattung über „nicht tödliche Zwischenfälle“ auf. 2021 erlaubte die FDA die Zustellung der Abtreibungspille auf dem Postweg. Anfang 2023 kippte sie die persönliche Vorstellung der Schwangeren bei einem Arzt.
„Schandfleck für die Präsidentschaft Trumps“
Niemand muss die Hersteller-Angaben aus dem Jahr 2000 anzweifeln, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass diese unter dem massiv geänderten Abgaberegime unmöglich noch gültig sein können. Der gesunde Menschenverstand reicht völlig aus. Lebensrechtler fordern denn auch seit Längerem, die Abgabe des Präparats wenigstens wieder an eine Ultraschalluntersuchung der Schwangeren zu knüpfen, um zumindest lebensgefährliche Eilleiterschwangerschaften ausschließen zu können. Erst Mitte September hatte Kennedy Jr. angekündigt, sein Ministerium werde die Sicherheit der Abtreibungspille überprüfen.
Und nun das. Marjorie Dannenfelser, Präsidentin der Lebensrechtorganisation „Susan B. Antony Pro-Life America“, bezeichnete die Entscheidung der FDA, die Verfügbarkeit der Abtreibungspille auszuweiten, als „rücksichtslos“ und „unverantwortlich“. Die Präparate „nehmen ungeborenen Kindern das Leben, setzen Frauen und minderjährige Mädchen ernsthaften Risiken aus, stärken Missbrauchstäter und treten die von den Bundesstaaten erlassenen Gesetze zum Schutz des Lebens mit Füßen“. Kristan Hawkins, Präsidentin der Lebensrechtsorganisation „Students for Life of America“ sprach gar von einem „Schandfleck für die Präsidentschaft Trumps“. Nach Ansicht der Lebensrechtler wäre es für die FDA ein Leichtes gewesen, die Zulassung der generischen Version aufzuschieben und an den Ausgang der Prüfung zu knüpfen.
Stattdessen feiert nun die Abtreibungslobby. „Evita Solutions ist der Ansicht, dass alle Menschen Zugang zu einer sicheren, erschwinglichen, hochwertigen, wirksamen und mitfühlenden Gesundheitsversorgung haben sollten, einschließlich Schwangerschaftsabbrüchen“, tönt das Unternehmen, das sich – nomen est omen – nach dem spanischen Diminutiv von Eva benannt hat, auf seiner Homepage. Und Kiki Freedman, Mitbegründerin und CEO des Telemedizin-Anbieters für vorgeburtliche Kindstötungen „Hey Jane“, erklärte: „Durch die Erweiterung der Generika-Optionen unterstreicht die Behörde die einwandfreie Sicherheitsbilanz von Mifepriston.“
22 mal mehr Nebenwirkungen als angegeben?
Viele republikanische Abgeordnete und Senatoren wollen das nicht hinnehmen. Vergangenen Donnerstag forderten Lindsey Graham und 50 weitere Senatoren in einem Schreiben an FDA-Kommissar Marty Makary, „die Zulassung neuer Generika“ des Präparats mit dem Wirkstoff Mifepriston „auszusetzen“ und „sich dafür einzusetzen, dass alle Generika von Mifepriston in die laufende Neubewertung einbezogen werden“.
Die Senatoren forderten die FDA ferner auf, die Sicherheitsvorkehrungen zur Regulierung der Abtreibungspille wieder einzuführen, darunter die Verpflichtung zur persönlichen Abgabe. Der Postversand habe es „Missbrauchstätern, Menschenhändlern und sogar Minderjährigen ermöglicht, Abtreibungspillen zu erwerben.“ Weiter heißt es in dem Schreiben: „Entgegen der von den Medien verbreiteten Darstellung, dass die Einnahme von Abtreibungspillen ‚sicherer als die Einnahme von Tylenol’ sei, zeigen die Beweise, dass das Risiko schwerwiegender medizinischer Komplikationen nach der Einnahme von Mifepriston mindestens 22-mal höher ist als auf dem Beipackzettel angegeben. Tatsächlich kommt es bei mehr als jeder zehnten Frau, die Mifepriston einnimmt, zu schwerwiegenden Nebenwirkungen.“
Einen Tag zuvor hatten 25 Kongressabgeordnete um den Vorsitzenden des „House Values Action Team“, Robert Aderholt, in einer gemeinsamen Erklärung das Gesundheitsministerium aufgefordert, die „gründliche Untersuchung der schädlichen Auswirkungen und unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit Mifepriston zügig voranzutreiben“. „Durch die Zulassung einer weiteren generischen Version dieser Pille“, riskiere die FDA, „die Gesundheit und Sicherheit von Frauen in den gesamten Vereinigten Staaten zu gefährden.“ Die Behörde müsse „ihrer Aufgabe, die öffentliche Gesundheit zu schützen und die Sicherheit von Arzneimitteln zu gewährleisten, treu bleiben“, so Aderholt.
Den Bundesstaaten sind die Hände gebunden
Nur was, wenn die Trump-Administration das im Falle der Abtreibungspille nicht wünscht? Im Wahlkampf hatten sich sowohl Trump als auch Vance gegen ein bundesweites Verbot ausgesprochen und versichert, den Zugang zur Abtreibungspille aufrecht zu erhalten. Anfang Oktober 2024 schrieb Trump auf „X“ in Großbuchstaben: „Jeder weiß, dass ich ein bundesweites Abtreibungsverbot unter keinen Umständen unterstützen würde und es sogar mit meinem Veto blockieren würde, da es Sache der Bundesstaaten ist, basierend auf dem Willen ihrer Wähler, dies zu entscheiden.“
Doch solange die von der FDA erlassenen Bundesvorschriften für den Online- und Versandhandel in Kraft bleiben, sind den Bundesstaaten bei der Durchsetzung ihrer Gesetze die Hände gebunden. Ein Beispiel: Der 2018 von der Abtreibungsaktivistin Rebecca Gomperts gegründete Versandservice „Aid Access“ brüstet sich damit, gegen die Zahlung von 150 US-Dollar „in allen 50 Bundesstaaten von der FDA zugelassene Abtreibungspillen zur Verfügung zu stellen“. Laut Aid Access gehen 84 Prozent aller Bestellungen dabei in Bundesstaaten, die Abtreibungen verboten haben. Bei mehr als 200 .000 Packungen, die allein „Aid Access“ seit seiner Gründung versendet haben will, scheffelt die Firma nicht nur Millionen, sondern unterläuft Gesetze der Bundesstaaten, die Abtreibungen verboten haben, auch gleich hunderttausendfach.
Mag die Trump-Administration Lebensrechtlern auch künftig schöne Auge machen, mag Trump selbst weiter damit prahlen, als erster und bisher einziger US-Präsident auf dem „March for Life“ gesprochen zu haben. Der Lack ist ab. Unter „Pro Life“ verstehen Lebensrechtler anderes als die Politik des 79-Jährigen.
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