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Hirte zwischen Dialog und Klarheit

Kardinal Grzegorz Ryś wird Erzbischof von Krakau. Sein Markenzeichen: Er ist ein mann der Mitte und verbindet Tradition und Glaubenslehre mit Offenheit und gelebter Pastoral.
Kardinal Rys wird neuer Erzbischof von Krakau
Foto: IMAGO/Maria Laura Antonelli / Avalon | Für die einen ein einsamer Rufer, für die anderen ein Hoffnungsträger: Kardinal Grzegorz Rys.

Mit der Ernennung von Kardinal Grzegorz Ryś zum neuen Metropoliten von Krakau setzt Papst Leo XIV. ein deutliches Signal: Die traditionsreiche Diözese erhält einen Hirten, der für Dialogfähigkeit, theologische Klarheit und pastorale Nähe steht. Schließlich gehört der 61-jährige Kardinal seit Jahren zu den profiliertesten Stimmen der polnischen Kirche – respektiert, auch wenn er manchen provoziert.

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Ryś wurde am 9. Februar 1964 in Krakau geboren. Hier studierte er Theologie sowie Kirchengeschichte an der Päpstlichen Akademie der Theologie. 1988 empfing er die Priesterweihe durch Kardinal Franciszek Macharski. 1994 promovierte er über mittelalterliche Volksfrömmigkeit, 2000 habilitierte er sich über Jan Hus und das Große Schisma. Schon früh zeigte sich sein Interesse an Forschung, Kirchengeschichte und der Verbindung von Glaubenslehre mit gelebter Pastoral.

Eng mit der lokalen kirchlichen Tradition verbunden

Dieser Dreiklang bestimmte auch Ryś ’ weiteren Weg: Als Direktor des Archivs des Metropolitankapitels und später als Rektor des Priesterseminars war er eng mit der lokalen kirchlichen Tradition verbunden. Viele Jahre leitete er eine Pilgergruppe zur Fußwallfahrt nach Jasna Góra. Zudem engagierte er sich in der Neokatechumenalen Gemeinschaft und der Bewegung „Oase“.

Berührungsängste mit den Medien hatte Ryś nie. Seit Mitte der 1990er-Jahre arbeitet er publizistisch, unter anderem für „Tygodnik Powszechny“ und das Monatsmagazin „Znak“, beide Medien werden eher dem linken Flügel der katholischen Publizistik Polens zugeordnet.

Im Blick: Ökumene, Katechese und Evangelisierung

2011 empfing er die Bischofsweihe, sein Leitwort „virtus in infirmitate“ („Kraft in der Schwäche“) begleitet ihn seither. Inspiriert von den Schriften des von ihm verehrten polnischen Priester-Philosophen Józef Tischner (1931–2000) rief Ryś als Weihbischof interreligiöse Begegnungen wie „Echo von Assisi“ und den Zyklus „Dziedziniec Pogan“ (Vorhof der Heiden) ins Leben, der den Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen fördern soll. Bei den Weltjugendtagen 2016 in Krakau bereitete er die Meditationen des Kreuzwegs vor.

2017 ernannte Papst Franziskus Ryś zum Erzbischof von Lódz. Dort führte er eine Diözesansynode durch, führte das Ständige Diakonat ein, gründete die Katechistenschule und das Internationale Diözesanseminar für Mission und Neuevangelisierung Redemptoris Mater. 2023 wurde der umtriebige kleine Mann mit der Mecki-Frisur von Papst Franziskus zum Kardinal erhoben.

Ryś: Christentum ist „Einheit des Menschengeschlechts“

In Lódz entwickelte Ryś sich zu einer moralischen Instanz jenseits kirchlicher Grenzen. Er engagierte sich für Ökumene, interreligiösen Dialog – insbesondere mit dem Judentum – sowie für eine christlich begründete Haltung zu Migration und gesellschaftlicher Spaltung. Beim 28. Tag des Judentums in Polen 2025 kritisierte er ein Banner, das Chanukka und Weihnachten gegeneinander ausspielte, als „antichristlich“. In einem Hirtenbrief mahnte er zudem: Das Christentum sei keine „Stammesreligion“, sondern die Offenbarung der „Einheit des Menschengeschlechts“.

Trotzdem haftet Ryś das Etikett eines „schweigenden Kardinals“ an, weil er sich während politisch turbulenter Jahre selten zu rechtsstaatlichen Verstößen äußerte. Der Philosoph Tadeusz Bartos nannte zwei mögliche Gründe: taktisches Schweigen, um für Krakau wählbar zu bleiben, oder Rücksicht auf die Einheit des Episkopats. Ryś zeigte aber auch Mut, etwa durch die Einrichtung einer Kommission zur Untersuchung sexuellen Missbrauchs – ein Schritt, den viele als überfällig und konsequent begrüßten.

Ein Brückenbauer – dialogisch, aber nicht beliebig

Mit seiner Ernennung nach Krakau wird Ryś nun in eine Schlüsselposition der polnischen Kirche gerufen. Viele sehen in ihm einen Brückenbauer, der nach den Kontroversen unter seinem Vorgänger, Erzbischof Marek Jedraszewski, einen neuen Ton setzen könnte – dialogisch, aber nicht beliebig. Dabei hilft Ryś sein Image als geistlicher Lehrer, der besonders junge Leute anzusprechen versteht und bisher keine Scheu vor dem postmodernen Lebens- und Denkstil zeigt, der sich auch in Polen rasant verbreitet hat.

Das macht ihn für manche zu einem Hoffnungsträger, wenn auch zu einem einsamen Rufer in einer Bischofskonferenz, die gesellschaftlichen Streitfragen oft ausweiche, wie es in den polnischen Medien heißt.

Tatsächlich erhält Krakau mit Ryś einen Hirten, der überzeugt ist, dass christliche Stärke nicht in Abgrenzung liegt, sondern in Treue zum Evangelium – selbst wenn sie unbequem ist. Einer, der Tradition nicht museal versteht, sondern als lebendigen Auftrag, der die Wunden der Kirche nicht ignoriert, sondern behandeln will. „Kraft in der Schwäche“ eben.


Der Autor ist Journalist und lebt in Warschau.

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