Die erste Auslandsreise Papst Leos XIV. in die Türkei und in den Libanon hat in israelischen Medien ein gemischtes Echo ausgelöst: Die Reaktionen reichen von der Sorge um verfolgte Christen über Kritik an vermeintlichen Unterlassungen des Papstes bis hin zu Appellen für Dialog und Migration.
Auf der Plattform „All Israel News“ deutet Maayan Hoffman die Tage in Beirut als möglichen Wendepunkt: Hinter der poetischen Rhetorik von „Einheit, Versöhnung und Frieden“ erkennt sie eine leise Botschaft an führende muslimische Vertreter, die Verfolgung von Christen zu beenden. Hoffman verweist auf alarmierende Zahlen des christlichen Hilfswerks „Open Doors“: Weltweit stehen rund 380 Millionen Christen unter massivem Druck, Tausende werden wegen ihres Glaubens getötet, vor allem in mehrheitlich muslimischen Staaten. Gerade deshalb wirft sie dem Vatikan vor, bislang zu vorsichtig mit islamistischen Tätern umzugehen. Das könnte sich nach dem Papstbesuch ändern.
Orthodoxer Rabbiner kritisiert Papst Leo
Der orthodoxe Rabbiner Pesach Wolicki, den Hoffman ausführlich zitiert, bemängelt, der Papst verurteile Israels Raketenangriff auf eine Kirche in Gaza sehr konkret, bleibe jedoch vage, wenn es um die Massaker durch islamistische Gruppen wie den IS gehe. Täter würden nicht klar benannt, Terror nicht ausdrücklich als islamistisch bezeichnet. Hoffmans Plädoyer: Juden und Christen, die von denselben Extremisten angegriffen würden, müssten gemeinsam deutlicher auftreten. Der Libanon-Besuch könne nur dann über Symbolik hinausweisen, wenn Leo XIV. künftig Täter offen benenne und Regierungen stärker unter Druck setze.
Ebenfalls auf „All Israel News“ geht Jonathan Feldstein mit dem Papst noch schärfer ins Gericht. In Anspielung auf die Baseball-Biografie des Papstes spricht er von drei „Strikeouts“. Erstens habe Leo XIV. die Bedrohung der libanesischen Christen nicht klar genug benannt. Seine Ermutigung, im Land zu bleiben, vergleicht Feldstein mit dem Rat an eine misshandelte Frau, beim gewalttätigen Partner auszuharren. Zweitens kritisiert er Leos Festlegung auf eine Zwei-Staaten-Lösung als „einzige“ Option, während der Schutz der Christen unerwähnt bleibe – insbesondere nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Drittens wirft Feldstein dem Papst ein „Anbiedern“ an den Islam vor: Statt islamistischen Terror beim Namen zu nennen und eine dezidiert christliche Friedensperspektive zu formulieren, bleibe Leo bei freundlich wirkender, aber letztlich wirkungsloser Diplomatie.
Demgegenüber hebt die Zeitung „The Times of Israel“ vor allem die Aufforderung des Papstes hervor, die Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen im Libanon solle Europa und den Vereinigten Staaten als Vorbild dienen. Betont wird seine Warnung vor einer „ausgrenzenden Denkweise“, die Nationalismus und Isolationismus fördere. Gleichzeitig halte der Papst an der traditionellen vatikanischen Linie fest, wonach zwei Staaten für Israelis und Palästinenser die einzige realistische Lösung seien, und sieht den Heiligen Stuhl als potenziellen Vermittler.
Hat die Hisbollah den Papst instrumentalisiert?
Seth J. Frantzman rückt in der „Jerusalem Post“ stärker die libanesische Innenpolitik und die Rolle der Hisbollah in den Mittelpunkt. Die schiitische Miliz instrumentalisiere den Papst für ihr Narrativ von „Widerstand“ und Koexistenz, verweigere aber weiterhin jede Entwaffnung. Arabische Medien zitieren laut Frantzman den maronitischen Patriarchen Bechara Boutros Rai, der im Besuch eine Friedensbotschaft sehe, zugleich aber auf Entwaffnung der Hisbollah dränge. Für Frantzman stehen die Bilder von Vatikan- und Hisbollah-Flaggen nebeneinander sinnbildlich für die Ambivalenz des Moments: ein starkes Zeichen, das an den Machtverhältnissen jedoch wenig ändere, während sich die israelische Armee weiter auf eine mögliche Konfrontation im Norden vorbereite.
„Ynetnews“ berichtet über die große Messe an der Küste Beiruts, bei der Leo erneut zu Waffenverzicht und Dialog aufrief – vor rund 160.000 Gläubigen. Der Besuch wird hier als kurzfristiger „Schutzschirm“ wahrgenommen: Viele Libanesen hofften, dass während der Anwesenheit des Papstes kein neuer Krieg ausbricht, und fürchten umso mehr, was nach seiner Abreise geschehen könnte.
In „The New Arab“ bezeichnet Dario Sabaghi den Papstbesuch aus libanesischer Perspektive als „Ruhe vor dem Sturm“. Er verweist auf israelische Verstöße gegen die Waffenstillstandslinie und anhaltende Luftangriffe, die im Land die Angst vor einem neuen Krieg schüren. Sabaghi zeichnet Leo XIV. weniger als politischen Akteur denn als moralische Stimme – als jemanden, der „in eine Dynamik hineinspricht, die sich seiner Kontrolle entzieht“.
So ergibt sich ein doppeltes Bild: Für kritische, israelnah argumentierende Autoren wirkt Leo XIV. gegenüber islamistischen Tätern zu nachgiebig und gegenüber Israel zu hart. Sein Libanon-Besuch erscheint aus dieser Perspektive als verpasste Chance, sich noch deutlicher an die Seite bedrängter Christen zu stellen. Gleichzeitig machen andere Berichte deutlich, dass der Papst den Libanon bewusst als Labor für Koexistenz, Dialog und Zwei-Staaten-Diplomatie gewählt hat – im Bewusstsein, dass seine Versöhnungsbotschaft zwischen Hisbollah-Raketen, israelischer Abschreckung und christlicher Existenzangst zerrieben werden könnte.
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