Für kurze Zeit sah es so aus, als würde Donald Trump im turbulenten US-Wahlkampf einen gemäßigteren Ton anschlagen. Es dauerte jedoch nicht lange, ehe der Präsidentschaftskandidat der Republikaner in den gewohnten „Modus Attacke“ wechselte. Das mag insbesondere daran liegen, dass er in Person von Kamala Harris im November nun doch eine wesentlich konkurrenzfähigere Kontrahentin zu schlagen hat, als es Joe Biden gewesen wäre.
Jüngst sorgte Trump mit fragwürdigen Äußerungen zur ethnischen Identität der amtierenden Vizepräsidentin für Schlagzeilen. Harris, Tochter einer aus Indien stammenden Mutter und eines jamaikanischen Vaters, habe lange ausschließlich mit ihrer indischen Abstammung geworben, jetzt wolle sie „als schwarz wahrgenommen“ werden. „Ich weiß es nicht, ist sie indisch oder ist sie schwarz?“, fragte Trump, wohlgemerkt bei einem Auftritt vor der nationalen Vereinigung schwarzer Journalisten in Chicago.
Harris bietet Angriffsfläche
Die Behauptungen sind nicht neu: Schon während ihres gescheiterten Wahlkampfes 2020 musste sich Harris gegen Angriffe wehren, sie hebe stets einen anderen Teil ihrer ethnischen Abstammung hervor, um in unterschiedlichen Minderheiten-Milieus Stimmen abzugreifen. Die breite Kritik daran, dass Trump dies nun noch einmal aufwärmt – übrigens auch von Republikanern – ist berechtigt. Denn einerseits hat sich Harris schon immer auch als schwarz identifiziert. Zudem scheint es Trump, ob aus Überzeugung oder taktischem Kalkül, einfach nicht akzeptieren zu wollen, dass Menschen auch einen vielfältigen ethnischen Hintergrund aufweisen können und nicht „nur schwarz“, „nur indisch“ oder auch „nur weiß“ sein müssen. Dass Harris schwarz ist, schließt nicht aus, dass sie sich gleichzeitig auch stark mit ihren indischen Wurzeln identifiziert und diese betont.
Dass Trump die Rassismus-Karte spielt, ist politisch kaum nachvollziehbar und könnte ihm bei der Wahl noch zum Verhängnis werden. Es gäbe so viele Möglichkeiten, Kamala Harris aufgrund ihrer politischen Inhalte anzugreifen und zu stellen. Nur einige Beispiele: ihr hingebungsvoller Aktivismus für sogenannte „reproduktive Freiheit“, sprich für ein möglichst weitreichendes „Recht“ auf Abtreibung; ihre fragwürdige Positionierung gegenüber Glaubens- und Gewissensfreiheit, die insbesondere Katholiken beunruhigen sollte; oder ihre magere Bilanz bei der Bekämpfung der Migrationskrise.
All das sollte Trump ins Zentrum seiner Strategie gegen Harris stellen. Wenn die Republikaner sie dagegen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder – wie auch bereits geschehen – aufgrund ihrer Kinderlosigkeit attackieren, könnte das Harris die Stimmen eben jener moderaten und unentschlossenen Wähler einbringen, die beide Kandidaten bräuchten, um sich im November durchzusetzen.
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