Ehe Donald Trump am Samstag von Agenten des Secret Service vom Podium der Wahlkampfkundgebung in Pennsylvania geführt wurde, wo ihn ein Schuss des 20-jährigen Attentäters Thomas Matthew Crooks am Ohr traf und weitere Kugeln wohl nur um Zentimeter verfehlten, bewies er trotz des Schocks unnachahmlichen politischen Instinkt. Am Ohr blutend, riss er kämpferisch die rechte Faust nach oben, seine Lippen formten das Wort „Kämpft!“. Im Hintergrund wehte die amerikanische Flagge. Die Szene, von einem Fotografen festgehalten, dürfte zu einem der ikonischen Bilder der amerikanischen Geschichte werden. Vielleicht wird man rückblickend einmal sagen, dass an jenem 13. Juli die Präsidentschaftswahl entschieden wurde.
Trump, der nur dank schier unvorstellbaren Glücks oder göttlichen Beistands mit dem Leben davonkam, hat nun selbst in der Hand, wie sich das schreckliche Attentat auf den weiteren Verlauf des Wahlkampfs auswirkt. Eine der entscheidenden Fragen: Wird er als Versöhner einer zerrissenen Nation auftreten, in der das Eskalationspotenzial noch einmal gestiegen ist? Oder wird er mit seiner Rhetorik weiter spalten, wie einige seiner Parteifreunde unmittelbar nach dem Attentat?
Trump will die Moderaten überzeugen
Bislang hat sich Trump klugerweise für den Weg der verbalen Abrüstung, ja der Versöhnung entschieden. Wie bereits nach der TV-Debatte mit US-Präsident Joe Biden gab er sich souverän, fast staatsmännisch. Es sei wichtiger denn je, „dass wir geeint bleiben und unseren wahren Charakter als Amerikaner zeigen“, erklärte er beispielsweise. Diese Worte kann man nur unterschreiben.
Natürlich steckt dahinter auch politische Strategie. Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner weiß genau: Die glühenden Fans hat er als Wähler ohnehin in der Tasche. Jetzt gilt es, die Moderaten, die Unentschlossenen zu überzeugen, vielleicht sogar einige Republikaner, die sich bislang geschworen hatten, nie für Trump zu stimmen. Diesem Zweck diente bereits die sanfte Kurskorrektur im neuen Parteiprogramm zum Lebensschutz und zur Ehe, die nun nicht mehr explizit als Verbindung „zwischen einem Mann und einer Frau“ definiert wird.
Der scharfe Anti-Trump-Wahlkampf der Demokraten wird scheitern
Für die Wahl im November hat Trump nun alle Trümpfe in der Hand. Das Attentat hat ihm gleich mehrere zugespielt. Einer davon: Die Demokraten können Trump erst einmal nicht mehr derart scharf attackieren wie zuvor. Auch Biden ist gezwungen, seine Rhetorik herunterzufahren – selbst mit gut begründeter Kritik werden sie sich in den nächsten Wochen immer auch den Vorwurf einfangen, man habe durch das Attentat ja gesehen, wozu der scharfe Anti-Trump-Wahlkampf führe.
Doch genau das ist eine wesentliche Schwachstelle von Bidens Wahlkampagne: Im Zentrum stand und steht der Kampf gegen Trump, weniger der Kampf für ein eigenes Programm, eine eigene Vision für Amerika. Das reichte bereits 2020 nur knapp zum Sieg. Und wird in diesem Jahr, unter den Vorzeichen eines Donald Trump, der sich zum Märtyrer für die Belange des einfachen amerikanischen Bürgers erhebt, in die Niederlage führen.
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