Die Debatte um eine Neuregelung des § 218 StGB kommt nicht zur Ruhe. Unter der Überschrift „Gerade jetzt“ plädiert die stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“, Charlotte Parnack, im Leitartikel der aktuellen Ausgabe dafür, der Deutsche Bundestag solle den von Abgeordneten der SPD, Grünen und Linken vorgelegten Gesetzesentwurf noch vor Ende der Legislaturperiode weiter beraten und zur Abstimmung stellen.
Anders als Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz meine, sei „das Thema Schwangerschaftsabbrüche“ eben keines, „das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“. „Die große Mehrheit der Deutschen ist viel weiter“, schreibt Parnack mit Blick auf eine „Umfrage des Bundesfamilienministeriums“, derzufolge es „80 Prozent für falsch“ hielten, „Abtreibungen nach einer Beratung als rechtwidrig einzustufen“. Und weiter: „Den jetzt vorgelegten Gruppenantrag unterstützen namhafte Juristen, Ethikerinnen und sogar die EKD.“ Kirchliche Verbände riefen dazu auf, „ihn noch vor Ende der Legislatur zur Abstimmung zu bringen“. „Eine Neuregelung der Schwangerschaftsabbrüche wäre“, so Parnack abschließend, „nicht mehr die Konsequenz eines Kulturkampfs, der die Deutschen in zwei gleich große feindselige Gruppen spaltet. Sie wäre eher die Beglaubigung eines längst vollzogenen gesellschaftlichen Wandels“.
Bonner Moraltheologe plädiert für Erhalt des § 218 StGB
Unterdessen plädiert der Bonner Moraltheologe Jochen Sautermeister für den Erhalt der geltenden gesetzlichen Regelung. In einem Gastbeitrag für die Tageszeitung „Die Welt“ schreibt Sautermeister, „das deutsche Abtreibungsrecht“ balanciere „Selbstbestimmung und Lebensschutz seit Jahrzehnten erfolgreich aus“. Schwangere erhielten „rechtliche Unterstützung und Beratung, während das Lebensrecht des Ungeborenen gewahrt“ bliebe. „Die geltende Gesetzeslage“ spiegele „das Prinzip der doppelten Anwaltschaft wider: die Anwaltschaft für das Lebensrecht des Ungeborenen und die Anwaltschaft für das Recht auf Selbstbestimmung der Frau – gegen sozialen Druck, bei emotionaler Unsicherheit und trotz fehlender Ressourcen“. Sautermeister: „Einen verfassungsrechtlichen und ethischen Paradigmenwechsel anzustreben, der auf unzureichenden Grundlagen basiert und eine breite gesellschaftliche Debatte umgeht, widerspricht einer verantwortlichen Politik.“
Derweil hat der Deutsche Bundestag die vorläufige Tagesordnung für die Sitzungen vom 29. bis 31. Januar mit dem Vermerk veröffentlicht: „Zwischen den Fraktionen besteht kein Einvernehmen über die Tagesordnung der 209.-211. Sitzung.“ Bislang (Stand 10.1., 10.00 Uhr) findet sich dort kein Tagungsordnungspunkt für die Zweite und Dritte Lesung des von 328 Abgeordneten eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ (Bundestagsdrucksache 20/13775).
Das sagt die Geschäftsordnung des Bundestags
Laut der Geschäftsordnung des Bundestags hat jeder Abgeordnete das Recht, vor Beginn einer Plenarsitzung eine Änderung der Tagesordnung zu beantragen. Stimmt eine Mehrheit der anwesenden Abgeordneten dafür, muss die Tagesordnung entsprechend geändert werden. Da es sich bei dem „Entwurf eines Gesetzes zur Neureglung des Schwangerschaftsabbruchs“ um einen Gruppenantrag handelt, bei dem der Fraktionszwang aufgehoben ist, würde es in diesem Fall zu einer Namentlichen Abstimmung kommen.
Die Möglichkeit, dass der Bundestag in einer der verbleibenden Sitzungen doch noch final über eine Änderung des § 218 StGB berät und abstimmt, ist also keineswegs vom Tisch. Käme es dazu, dürfte es eng werden. Der Grund: Den 20. Deutschen Bundestag bilden 733 Abgeordnete. Für eine Mehrheit sind daher 367 Stimmen erforderlich. (DT/reh)
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