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Streit um des Kaisers Bart

„Beenden“, „verlängern“, „aussetzen“: Warum die Debatte um das Ende der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ eine Scheindebatte ist und was stattdessen zählt.
Corona-Pandemie: „Beenden“, „verlängern“, „aussetzen“
Foto: Robert Michael (dpa-Zentralbild) | Wer in der Pandemie einen klaren Kopf behalten hat, der weiß auch, dass die Erklärung der „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ein juristisches Konstrukt ist.

Niemand bestreitet, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei ist. Im Gegenteil: So gut wie alle Experten gehen davon aus, dass die vierte Welle noch weitaus heftiger wird, als die drei vorangegangenen. Daran vermögen – was ein allerdings anderes Thema ist – erstaunlicherweise weder die mehr als 56 Millionen Menschen in Deutschland etwas zu ändern, die nach zwei Impfungen eigentlich den versprochenen vollen Impfschutz besitzen sollten, noch die fast vier Millionen Menschen, die bereits eine weitere Auffrischungs-Impfung (Booster) erhalten haben.

Doch statt sich zügig und einvernehmlich darüber zu verständigen, welche Maßnahmen nun ergriffen werden müssen, werfen Unionspolitiker den möglichen Ampelkoalitionären vor, mit der Beendigung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ ein völlig falsches Signal zu senden.

Ein verfassungsrechtlich bedenkliches juristisches Konstrukt

Wer sich etwa das Theater anschaut, das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder derzeit aufführt, der könnte sich an ein Gedicht Emanuel Geibels erinnert fühlen. In „Von des Kaisers Bart“ lässt Geibel drei Jünglinge darüber streiten, welche Farbe der Bart Kaiser Friedrichs Barbarossa gehabt habe. Ein Wort gibt das andere. Der Streit eskaliert, am Ende werden gar die Waffen gezückt: „Das gab ein grimmes Zanken // Um Weiß und Schwarz und Braun // Es sprangen die Klingen, die blanken // und wurden scharf gehaun.“

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Wer in der Pandemie einen klaren Kopf behalten hat, der weiß auch, dass die Erklärung der „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ ein juristisches Konstrukt ist. Eines, das der Deutsche Bundestag beschloss, um Bund und Länder in die Lage zu versetzen, zügig Verordnungen zur Bekämpfung der Pandemie zu erlassen, ohne diese jeweils im Bundestag debattieren und von diesem beschließen lassen zu müssen. Das sollte Zeit und Nerven sparen. Doch weil dieses Konstrukt verfassungsrechtlich bedenklich ist, wurde es stets befristet. Nach mehrmaliger Verlängerung läuft diese Frist nun an 25. November aus.

Es kommt allein auf den Instrumentenkasten an

Ergo können die Ampelparteien, die nun im Bundestag die Mehrheit besitzen, die „epidemische Lage von nationaler Trageweite“ auch gar nicht beenden. Nach Lage der Dinge können sie diese nur auslaufen lassen oder verlängern. Derzeit deutet alles darauf hin, dass die Ampelparteien die „epidemische Lage von nationaler Trageweite“ nicht verlängern werden. Stattdessen wird der Bundestag, voraussichtlich noch in dieser Woche, Änderungen des Infektionsschutzgesetzes beschließen, die die Länderparlamente, als die eigentlich zuständigen Akteure in die Lage versetzen, angemessen auf das Infektionsgeschehen zu reagieren. Dabei soll der Instrumentenkasten deutlich ausgeweitet werden. Debattiert wird, außer 3 G (geimpft, genesen, getestet), weitere Instrumente wie 2 G (geimpft, genesen) oder gar 2G plus (geimpft, genesen und negativ getestet) hinzuzufügen sowie die Einführung einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen.

Was davon jeweils zu halten ist, kommt darauf an, was, wann, wo und wie zum Einsatz kommt. Grundsätzlich ist es aber vernünftig, den Ländern, die bislang zudem höchst unterschiedliche Inzidenzen und Impfquoten aufweisen, eine umfangreiche Palette an Eingriffs- und Steuerungsinstrumenten zur Verfügung zu stellen. Wer wollte etwa bestreiten, dass beim Besuch des Friseurs sinnvollerweise andere Schutzmaßnahmen gelten sollten als etwa beim Besuch von Clubs und Diskotheken. Wer dagegen weiter um bloße Symbolpolitik streitet, wird sich Geibels Appell am Ende seines Gedichts gefallen lassen müssen. Dort es heißt es ziemlich nüchtern: „Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine, // nicht um des Kaisers Bart.“

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