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Hanka Kliese: Antifaschistisch, feministisch und gläubig

Die SPD-Politikerin Hanka Kliese wuchs ohne Gott und Kirche in der DDR auf. Heute versucht sie, aus dem Glauben heraus Politik zu gestalten. Ein Porträt.
Landesparteitag der SPD Sachsen
Foto: Monika Skolimowska (ZB) | Hanka Kliese nimmt ihre Tochter manchmal zu politischen Terminen mit, wie hier bei dem Landesparteitag der SPD in Sachsen 2018.

Hanka Kliese bezeichnet sich als „fröhliche Feministin“. Auf konservativ eingestellte Katholiken wirkt es oft befremdlich, wenn sich eine überzeugte Christin wie die stellvertretende Vorsitzende der sächsischen SPD als Feministin bezeichnet. „Fröhlich“ ist auch nicht unbedingt ein Begriff, den viele als erstes in Verbindung mit Feministinnen bringen. Allein Hanka Klieses Pullover, den sie bei dem Zoom-Gespräch trägt, strahlt Fröhlichkeit und Wärme aus: Er ist sonnengelb und hat einen weißen Spitzenkragen.

Sie lässt sich nicht in eine Schublade stecken

Die 41-Jährige lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Während einer Rede bei einem Landesparteitag der SPD Sachsen 2018 steht mit ihr hinter dem Rednerpult ihre kleine Tochter in Socken und Stoffhose. Hanka Kliese will ihre Politik an den Lebensumständen der Menschen orientieren. Jenen Menschen zum Beispiel, die das Gespräch mit ihr in den Bürgersprechstunden aufsuchen, die in ihrem Büro in Chemnitz stattfinden. „Lebensrealität“ ist ein Wort, das sie häufig benutzt. Das Vorhaben der Ampel-Koalition, sogenannte „Verantwortungsgemeinschaften“ einzuführen ist aus Hanka Klieses Sicht so eine Orientierung an so einer Lebensrealität. „Ich beobachte in meiner Umgebung, dass es neben der klassischen Familie vor allem Mütter gibt, die mehr oder weniger alleine erziehen. Das ist keine Entscheidung, die aufgrund eines Lifestyles getroffen wurde. Das sind Entscheidungen, die das Leben schreibt, die man sich oft nicht aussucht“, erklärt die Politikerin, die selber alleinerziehende Mutter ist.

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Auch wenn es quantitativ so sei, dass das Vater-Mutter-Kind-Modell zahlenmäßig stärker vertreten ist als beispielsweise Patchworkfamilien, so leisteten diese qualitativ dieselbe Sorgearbeit. Warum sollten Homosexuelle, die sich um Angehörige ihrer Familie kümmern oder der Partner einer alleinerziehenden Mutter, der ihre Kinder im Homeschooling betreut, nicht auch mitbenannt werden, fragt Hanka Kliese. Sie lehnt ab, wenn die Einführung der „Verantwortungsgemeinschaft“ als Konkurrenz oder gar Verdrängung der Kernfamilie gesehen werde. Denn auch diese Kernfamilie werde schließlich weiterhin gefördert. Sie stellt aber fest, dass es keine Abwertung der klassischen Familie geben dürfe und der Vater beziehungsweise eine männliche Bezugsperson einen großen Wert für Kinder habe. Deshalb setze sich ihre Partei dafür ein, dass in den Kitas mehr männliche Erzieher gebe. „Das ist, was der Staat leisten kann. Wie Menschen sich entscheiden zu leben, ist Privatsache, denke ich“, hebt die stellvertretende Vorsitzende der sächsischen SPD-Landtagsfraktion hervor.

Sinn für Maß und Mitte

Hanka Kliese hebt ihren Sinn für Maß und Mitte hervor. „Das wissen meine Genossen und Genossinnen“, sagt sie mit einem Lächeln. Sie neigt dazu, Themen von verschiedenen Seiten zu beleuchten. So auch bei Abtreibung. Sie sei Feministin, aber das würde nicht bedeuten, dass ihr das Recht auf Leben unwichtig sei. Die Forderung einiger linksliberalen Politiker, Abtreibung straffrei zu machen, sieht Kliese mit gemischten Gefühlen. Sie wünsche jeder Frau, selber über ihren Körper bestimmen zu können. Zugleich beobachtet die Politikerin einen Tendenz, dass der Zugang zu Abtreibung, zum Beispiel durch die „Pille danach“, sehr niederschwellig gemacht werde. Sie berichtet von Frauen, die ihr erzählten, dass sie die Abtreibung ihres Kindes bereut hätten. Für die Politikerin ist es klar, dass Frauen im Normalfall schon vor der Geburt eine Bindung zu ihrem Baby aufbauen. „Ich kann von mir behaupten, dass ich in den sogenannten Zellhaufen verliebt war und Muttergefühle ihm gegenüber hatte“, sagt sie lachend. Etwas, das unbedingt beibehalten werden solle, sei die verpflichtende, ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung. „Wenn es für Abtreibung überhaupt keine Hürde der Selbstreflexion mehr gibt, dann geht das in die falsche Richtung“, betont Kliese.

Hanka Kliese
Foto: Hendrik Schmidt (dpa-Zentralbild) | Die 41-jährige Sozialdemokratin 2019 beim Wahlkampf für die sächsische Landtagswahl.

Der christliche Glaube wurde Hanka Kliese nicht in die Wiege gelegt. Sie ist in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen mit Eltern, die überzeugte Sozialisten waren. Die Eltern unterrichteten Deutsch an Hochschulen in Kroatien und Nordkorea und glaubten an das System der SED. Gegen Religion hatten sie nichts, es wurde einfach nicht darüber gesprochen. Dabei hat sich Hanka Kliese schon als Kind zu der Kirche und dem Glauben hingezogen gefühlt. Ein wichtiger Impuls war für sie das Freiwillige Soziale Jahr in einer Behinderteneinrichtung. Dort arbeiteten etliche Christen. Es imponierte der damaligen Abiturientin, wie der christliche Glaube dort mit Leben und Aktivität gefüllt wurde. Sie sah behinderte Menschen, die Kraft aus dem Glauben schöpften. Der Weg in die evangelische Kirche wurde durch die Geburt ihrer Tochter fortgeführt. Hanka Kliese wollte sie taufen lassen, fand es aber befremdlich, dass die Taufe für viele Menschen nicht mehr als ein sinnentleertes Ritual gewesen sei. Sie begann, selbst in der Bibel zu lesen und tauschte sich mit gläubigen Kollegen über das Gelesene aus. Schließlich meldete sie sich für einen sechsteiligen Glaubenskurs an. Die Pfarrerin, die den Kurs leitete, prägte sie und ist für sie bis zum heutigen Tag ein Vorbild. „Der Glaube ist für mich ein schönes Grundrauschen, das mein Leben begleitet“, formuliert Kliese. Er helfe ihr, Schicksalsschläge anzunehmen. Abends betet sie mit ihrer Tochter gerne für Bekannte, die krank sind.

Glaube als Leitfaden für die politische Arbeit

Der Glaube ist ihr auch ein Leitfaden in der politischen Arbeit. Ein Zitat des südafrikanischen Bischofs und Menschenrechtsaktivist Desmond Tutu inspiriert sie: „Die größte Fähigkeit ist es, den Menschen als Menschen zu sehen.“ Den Menschen als Menschen, und nicht als Summe politischer Überzeugungen zu betrachten, falle manchen Politikern schwer. Das Zitat zu leben drückt sich für Hanka Kliese zum Beispiel darin aus, sich zum Gedenken an einen verstorbenen als rechtsextrem empfundenen Landtagskollegen von seinem Platz zu erheben, was manchen Kollegen Überwindung koste. Die studierte Politikwissenschaftlerin sieht die Aufgabe von Christen in der Politik darin, geistiger Impulsgeber zu sein und ethisch-moralische Debatten anzustoßen. Das betreffe Themen wie die sogenannte „Sterbehilfe“, Abtreibung, Triage oder auch den Umgang mit Menschen mit Behinderung. „Da wünsche ich mir, dass Christen eine gewisse Meinungsführerschaft übernehmen. Sie sollten diejenigen sein, die in solchen Fragen Orientierung geben, weil manche bei diesen Themen orientierungslos sind.“ In ihrer Partei, der SPD, gebe es eine Grundwertekommission, sagt sie. Die bestünde vorrangig aus Christen.

Würde Hanka Kliese nicht besser in die CDU/CSU passen, da diese Partei sich in ihrem Programm zum christlichen Menschenbild bekenn?. „Gerade in der SPD fühle ich mich sehr gut aufgehoben“, ist die Antwort der Politikerin. Ein Grund, warum sie sich nicht in der Union engagiert, seien Themenfelder wie Grenzen, Geflüchtete oder Entwicklungshilfe. Hier nimmt Kliese bei der Union eine „unmenschliche Haltung“ wahr, die immerhin Koalitionspartner ihrer Partei im sächsischen Landtag ist. „Wie hier über die Abschiebung von Familien, die gut integriert sind, gesprochen wird, zerreißt mir das Herz“, bekennt Kliese. Dazu käme, dass in ihrer ostdeutschen Heimat nach der Wende viele Christen in die SPD eingetreten wären, die zu DDR-Zeiten schon in der Kirche und damit im friedlichen Widerstand aktiv waren. Evangelisch, antifaschistisch, politisch: In diesen Fußstapfen scheint Kliese zu wandeln – genauso wie ihr Vorbild, Dietrich Bonhoeffer.

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Emanuela Sutter

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