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Söding: „weder ethisch noch juristisch ein Dilemma“

„Schutz des ungeborenen Lebens war, ist und bleibt der empfindlichste Punkt“: Der ZdK-Vize stellt die freidrehende Debatte um Menschenwürde und Lebensrecht wieder auf festen Grund.
Thomas Söding
Foto: JakobxStudnar (www.imago-images.de) | Ein Herz für (Jesus-)Kinder: ZdK-Vize Thomas Söding.

Mit einem Essay für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) hat sich der Theologe und Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Söding, in die Debatte um Frauke Brosius-Gersdorf und das Naturrecht eingeschaltet. Sein überaus lesenswerter Beitrag trägt den Titel „Naturrecht ist keine Erfindung“. Darin verteidigt Söding das Naturrecht gegen die Kritik des evangelischen Theologen Friedrich Wilhelm Graf und löst obendrein – gewissermaßen im Vorbeigehen – Frauke Brosius-Gersdorfs „Dilemma“.

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Die hatte in ihrer Verzichtserklärung geschrieben: „Da die Menschenwürdegarantie nach herrschender Meinung nicht abwägungsfähig ist, wären bei Geltung der Menschenwürdegarantie für den Embryo ab Nidation Konflikte mit den Grundrechten der Schwangeren nicht lösbar. Ein Schwangerschaftsabbruch wäre dann unter keinen Umständen rechtmäßig, auch nicht bei Gefährdung des Lebens der Frau. Es ist aber bestehende Rechtslage, dass ein Abbruch bei medizinischer (§ 218a Abs. 2 StGB) und kriminologischer (§ 218a Abs. 3 StGB) Indikation legal ist. Die verfassungsrechtliche Lösung kann denklogisch nur sein, dass entweder die Menschenwürde abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt.“

Keine katholische Speziallehre

Wie Söding schreibt, ist eine Abtreibung nach Paragraph 218a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs „nicht rechtswidrig“, „wenn er geschieht, um das Leben der Mutter zu retten.“ Die katholische Theologie widerspreche dem nicht. „Im normativen Kern unterscheidet sie präzise zwischen der direkten und der indirekten Wirkung einer Handlung.“ Bereits Papst Pius XII. habe 1951 festgestellt, „dass zwar eine intendierte Abtreibung moralisch immer unerlaubt sei, dass aber, um das Leben der Mutter zu retten, die ‚unvermeidliche Nebenfolge‘ in Kauf genommen werden müsse, dass der Embryo stirbt.“ Auch sei „die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Wirkung keine katholische Speziallehre, sondern der allgemeingültige Grundsatz einer Verantwortungsethik, für die Menschenwürde nicht zur Disposition steht. Es braucht also keine Abstufung, sondern eine konsequente Anwendung des Menschenwürdeschutzes, um zu erkennen, dass weder ethisch noch juristisch ein Dilemma besteht.“

Das eigentliche Problem liege tiefer. Söding: „Ernst-Wolfgang Böckenförde hat es nach der Jahrtausendwende im Streit mit Horst Dreier aufgedeckt, dem Lehrer von Frauke Brosius-Gersdorf. Dreier wurde 2008 nicht Verfassungsrichter, weil er in der Kommentierung von Artikel 1 des Grundgesetzes ausgeführt hat, dass der Staat dem Embryo keine Menschenwürde zuerkennen solle. Böckenförde hingegen argumentiert: Der Rechtsstaat verleiht die Menschenwürde nicht, sondern garantiert sie. Er hat keine Definitionshoheit über sie, sondern muss sich auf Normen und Werte, auf Überzeugungen und Argumente beziehen, die seine Gesetze begründen und deren Befolgung mit Leben erfüllen.“

Theologen müssen Menschenwürde verteidigen

Abgeordneten könne es „nicht verwehrt werden, sich bei parlamentarischen Abstimmungen in Gewissensfragen auf das zu beziehen, was ihnen ihr Glaube sagt. Der Schutz des ungeborenen Lebens war, ist und bleibt der empfindlichste Punkt, an dem der Staat seine Aufgabe zu erfüllen hat, die Menschenwürde zu schützen und Rechtsfrieden zu garantieren.“

Das Grundgesetz sei „nicht gottgegeben, sondern ‚im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen‘ vom Souverän erlassen, dem ‚Deutschen Volk‘. Diese Verantwortung zu deuten, ist die Aufgabe der Rechtswissenschaften, ihr zu entsprechen, die der Legislative wie der Exekutive, sie zu sichern, die der Rechtsprechung.“ „Aufgabe der Theologie“ sei es nicht, „sich aus dem öffentlichen Diskurs der Politik und der Jurisprudenz zurückzuziehen, sondern nachzuweisen, dass und wie die Kirchen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fördern, die Menschenwürde verteidigen, die Menschenrechte begründen, der Gerechtigkeit dienen und gleichzeitig helfen, die Versuchung der Überhöhung politischer Macht zu bestehen“. (DT/reh)

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