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"Roe vs. Wade": Worin die Sprengkraft des Urteils liegt

Niemand sollte sich von der Aufregung um das US-Abtreibungsurteil in die Irre führen lassen. Der Weg zu neuen Gesetzen auf bundestaatlicher Ebene wird nicht einfach sein.
Umstrittenes Grundsatzurteil "Roe vs. Wade" gekippt
Foto: Steve Helber (AP) | Eine Gruppe Abtreibungsgegner feiert vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofs der USA mit Sekt, nachdem der Oberste Gerichtshof das umstrittene Grundsatzurteil "Roe vs. Wade" gekippt hat.

Mit der heutigen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Fall „Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization“ wurde die Rechtslage in Sachen Abtreibung grundlegend neu kalibriert. Das Gericht hat die fast fünf Jahrzehnte dauernde extrem permissive Abtreibungsregelung der USA beendet, was heftige Gegenreaktionen rund um den Globus hervorgerufen hat. Jetzt braucht es einen kühlen Kopf und einen kritischen Geist, um zu verstehen, was das Urteil in Dobbs wirklich bedeutet und welche internationalen Auswirkungen der Fall wahrscheinlich haben wird. 

Vorbei mit Abtreibung "on demand"

Das Urteil gibt rechtlich gesehen nach fast 50 Jahren dem amerikanischen Volk die Abtreibungsdebatte zurück. Die Sprengkraft des Urteils liegt nämlich nicht in einer Stellungnahme zur geltenden Abtreibungsregelung selbst – diese ist im Urteil nicht enthalten – sondern in der Feststellung, dass die Kompetenz zur Regelung von Abtreibung in den Händen der Bundesstaaten liegt. Bundesstaaten haben also seit heute die Freiheit wiedererlangt, ihre eigenen Abtreibungsgesetze in einem demokratischen Prozess zu bestimmen, auch wenn diese in Richtung mehr Lebensschutz gehen, was seit dem Urteil in "Roe v. Wade" im Jahr 1973 unmöglich war. Dieses hatte Abtreibung „on demand“, also ohne triftigen Grund, bis zur Geburt ermöglicht und es Bundesstaaten unmöglich gemacht, Leben besser zu schützen. 

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Die USA sind eines von nur sechs Ländern weltweit – China und Nordkorea gehören dazu –, das bedingungslose Abtreibung während der gesamten neun Monate der Schwangerschaft zulässt. 

Auch wenn unser eigenes Abtreibungsrecht in Deutschland und die anhaltenden Widersprüche zwischen Gesetz und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alles andere als ideal ist, muss man doch anerkennen, dass wir glücklicherweise weit entfernt sind von der radikal-liberalen Abtreibungsregelung, die durch Roe v. Wade eingeführt wurde. In Deutschland ist Abtreibung (noch) ein Straftatbestand des Strafgesetzbuches und es gibt zumindest de jure die Indikationenregelgung, die besagt, dass Abtreibung eines triftigen und im Gesetz definierten Grundes als Rechtfertigung bedarf. Verpflichtende Beratung gehört genauso dazu wie die Durchführung einer Abtreibung durch einen Arzt. Auch wenn in Deutschland de facto jede Frau, die abtreiben will, das auch kann, geht es hier doch um Rechtsgrundsätze, die nicht überschätzt werden können. Der Oberste Gerichtshof hat heute erlaubt, dass Bundesstaaten ähnliche Gesetze und flankierende Maßnahmen wie hierzulande erlassen dürfen. 

Deutschland beschreitet den gegenteiligen Weg

Es ist ein trauriger Zufall, dass zeitgleich mit der Ermöglichung von mehr Lebensschutz in den USA Deutschland mit der Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung den gegenteiligen Weg beschritten hat. Es ist der erste Schritt einer langfristigen Strategie, die darauf abzielt, Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen und als ein „Recht“  bzw. eine Gesundheitsleistung umzudeklarieren. 

Trotz aller Aufregung über das Urteil in den USA sollten wir die Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren. Die große Mehrheit der Länder weltweit verbietet Abtreibung auf Verlangen, und diejenigen, die sie erlauben, begrenzen sie meist auf die ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft. Zudem unterstützt nur einer von drei Amerikanern die ultraliberale Abtreibungsregelung des eigenen Landes.

Die Welt kann vieles von den letzten fünf Dekaden in Amerika lernen. Natürlich hat ein ausländisches Gericht keinen direkten Einfluss auf andere Länder, aber es zeigt doch der Welt, dass es in einer Demokratie eminent wichtig ist, eine robuste und informierte Diskussion um grundlegende Menschenrechte aufrechtzuhalten. Das Urteil sagt im Wesentlichen eins: Abtreibungsregelungen müssen im demokratischen Prozess diskutiert und unter Umständen neu geregelt werden dürfen, und zwar nicht nur in Richtung Liberalisierung, sondern auch zum besseren Schutz des ungeborenen Lebens. 

Mehr Lebensschutz geht nicht gegen die Frau

Eines ist jedoch klar: Der Weg zu neuen Abtreibungsgesetzen auf bundestaatlicher Ebene in den USA wird alles andere als einfach sein. Den Schaden von fast 50 Jahren ultraliberaler Abtreibungspraxis wiedergutzumachen, ist eine Herkulesaufgabe. Hierzulande kann man nur hoffen, dass die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Medizin und Soziologie in der politischen Debatte Gehör finden, die unzweifelhaft auf die Menschlichkeit des ungeborenen Kindes hinweist und damit auf ein unbedingtes Recht auf Leben. 

Zudem ist es gerade jetzt in Deutschland wichtig klarzustellen, dass es kein internationales Menschenrecht auf Abtreibung gibt. Jede anderslautende Behauptung ist Rhetorik von Aktivisten. Das internationale Menschenrechtssystem gründet sich auf den Respekt des Lebens, was das Recht des ungeborenen Lebens einschließt. Deutschland hat die rechtliche Freiheit, ungeborenes Leben zu schützen und wenn wir eine wirklich fortschrittliche Gesellschaft sein wollen, müssen wir auf die Verwirklichung dieses Grundrechts hinarbeiten. 

Viel Luft nach oben gibt es in unserer Wohlstandsgesellschaft immer noch bei der Unterstützung, die Frauen und Familien brauchen, um Kinder in ihrem Leben willkommen zu heißen. Auf mehr Lebensschutz hinzuarbeiten bedeutet nicht, gegen die Frau zu sein. Niemand sollte sich von der Aufregung um das US-Urteil in die Irre führen lassen. Anerkennung des Rechts auf Leben aller Menschen ist die einzige Position, die einer freien Gesellschaft würdig ist, und an der letztlich der Respekt aller anderen Grundrechte hängt. 

 

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